100 Jahre Jugendstrafrecht
Ein Ludwigshafener Ex-Dealer erzählt von seiner Re-Integration

Das Jugenstraftrecht wird 100 Foto: luismolinero/stock.adobe.com

Von Julia Glöckner

Ludwigshafen. Dass Marc nach seiner Zeit als Drogendealer wieder ins Leben gefunden hat, führt er auf seine Jugendstrafe zurück. In der Weimarer Republik trat am 16. Februar 1923 das Reichsjugendgesetz in Kraft, an dem das heutige Jugendstrafrecht angelehnt ist. Statt nur zu strafen, stellt das Jugendstrafrecht die Erziehung des Jugendlichen in den Mittelpunkt. Es zielt darauf, die Entwicklung zu unterstützen, um zu einem straffreien Leben in sozialer Verantwortung zu befähigen.

Zehn Polizisten stürmten an dem heißen Sommertag vor rund 25 Jahren eine Wohnung in Frankfurt. Der damals 17-jährige Marc saß mit drei anderen Dealern beim Großhändler. Zehn Kilo Marihuana lagen auf dem Tisch. Die Polizei hatte den Drogenkurier verfolgt und so den Großdealer aufgespürt. Ein halbes Jahr später verurteilte ein Jugendrichter Marc zu zwei Jahren Haft.

Urteil je nach Einzelfall

Die Einzelfallbeurteilung ist im Jugendrecht wichtig, welche die Geschichte des Jugendlichen mitbedenkt. „Ich komme aus einer Suchtfamilie. Der emotionale Rückhalt und die Anerkennung, die mir zuhause fehlten, suchte ich bei meinen Freunden aus der Kiffer-Szene. Weil ich die Szene gut kannte, machte ich Sammelbestellungen beim Großdealer, erst hundert Gramm, später ein Kilo im Monat“, erzählt Marc, der heute in Ludwigshafen arbeitet und daher mit geändertem Namen anonym bleiben will.

Bei Drogenhandel und anderen schweren Delikten wie Körperverletzung, Raub, Vergewaltigung sprechen Jugendrichter bis zu fünfjährige Haftstrafen aus, was fünf Prozent aller Jugendstraftäter betrifft. Die meisten Jugendlichen begehen mittelschwere Delikte wie Ladendiebstahl, bei denen keine Haft, sondern Zuchtmittel wie Arbeitsstunden, Geldstrafen oder Jugendarrest auferlegt werden. Für Kleindelikte wie Schwarzfahren, Beleidigung oder Schlägereien bekommen sie Abstinenzgebote, Umgangsverbote und Anti-Aggressions-Trainings.

Erziehen statt Strafen

Vieles was Marc damals tat, ist für ihn heute nicht mehr nachvollziehbar, sagt er. Jugendliche denken ganz anders als Erwachsene. Sie müssen sich in der Gruppe beweisen, sehnen sich nach Unabhängigkeit und brechen dabei Regeln. Sie haben als Teenager neue Aufgaben zu bewältigen, wobei sie Unterstützung brauchen. Diese meistert nicht jeder gleich gut. Scheitern kann in Krisen und zu kriminellem Verhalten führen. Folgerichtig brauchen sie keine Strafe, sondern Unterstützung, was Jugendstrafe ausmacht.

Strafe im allgemeinen Strafrecht zielt auf Abschreckung, Wiederherstellung der Gerechtigkeit und Verteidigung des Rechts. Die Gleichbehandlung von Jugendlichen im Strafrecht vor 1923 zeigte, dass die langen Haftstrafen sie an den Rand der Gesellschaft drängten und weiter kriminalisierten. Der Kontakt mit Mitgefangenen störte ihre Entwicklung.

Regeln im Jugendknast sollen disziplinieren

Im Jugendknast gelten strikte Regeln und Tagesabläufe. Die Jugendlichen müssen zur Schule, Arbeit oder Ausbildung. Kontakte, Medienkonsum und Freizeitverhalten werden streng kontrolliert. Die meisten waren draußen sich selbst verantwortet. Sie sollen wieder lernen, ein geordnetes Leben zu führen. Je nach Diagnostik zu Haftbeginn werden ihnen Anti-Gewalt-Trainings, Drogengruppen, Sozialtherapien, Einzeltherapien und Beratungen zu Drogen, Berufswahl und Seelsorge angeboten. Sie sollen sich mit sich selbst und ihrer Zukunft auseinandersetzen, um nach dem Knast anders auf Krisen zu reagieren als mit Kriminalität.

Wie alle Drogendealer musste Marc im Gefängnis eine Therapie machen. „Ich lernte Probleme und Krisen anders zu bewältigen, als sie nur zu verdrängen. Drogen helfen beim Verdrängen. In der Schule lief es wieder gut, die ich draußen oft geschwänzt hatte. Die Erziehungsintervention war damals notwendig, um der Abwärtsspirale aus Scheitern in Beziehungen zu Familie und Schule, Sucht und Abdriften in die Schattenwelt zu entkommen. So nennen Kriminologen die Parallelwelt der Drogenszene.“

Während die Welt draußen für viele aus den Fugen geraten ist, erfahren die Jugendlichen, dass diese Welt hinter Gittern nach Regeln berechenbar funktionieren kann. Vertraute Sozialpädagogen und Therapeuten behandeln sie wertschätzend. Bedienstete geben zwar Regeln vor, aber auch Ratschläge, Motivation und sanktionieren erzieherisch. Dennoch sind die Jahre dort hart: Gefühle der Monotonie, Langeweile, Einsamkeit und das stark eingeschränkte Leben müssen die Jugendlichen aushalten können.

Jugendstrafrecht zeigt Erfolge: Rückfallquote sinkt

Angesichts der stetig sinkenden Rückfallquote gilt das Jugendstrafrecht als sehr erfolgreich. Ambulante Maßnahmen reichen bei den kleineren Delikten völlig aus, um die Jugendlichen von kriminellem Verhalten abzubringen. Auch der Jugendstrafvollzug zeigt Erfolge: 60 Prozent begehen danach nur noch kleinere Delikte wie E-Scooterfahren bei Trunkenheit. Ein Drittel kommt erneut ins Gefängnis. Die meisten hören etwa mit Mitte 20 auf, Straftaten zu begehen.

Widerrufe von Bewährungsprogrammen nach dem Knast gibt es kaum. Das zeigt, dass die Jugendlichen zunächst um Re-Integration bemüht sind.

Marc ging nach dem Knast in den Zivildienst nach Bremen und danach zum Studieren nach Mannheim, fern von der Heimat und seinem alten Umfeld. Er hat nie wieder gekifft. Heute hat der glücklich verheiratete Betriebswirt selbst zwei Kinder. „Einige meiner alten Freunde haben heute drogeninduzierte Krankheiten, Parkinson, Schizophrenie, Depressionen. Viele haben ihren Platz in der Gesellschaft nie wirklich gefunden“, sagt Marc. jg

Autor:

Julia Glöckner aus Ludwigshafen

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