Industrialisierung Oggersheims: Zeitreise durch 180 Jahre Sozialgeschichte

Überschwemmung der Kuhgasse in Oggersheim 1882 nach der Rheinbegradigung: In den Folgejahren wurden stabilere und höhere Dämme gebaut.  | Foto: Eugen Bernhard Hofmann
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  • Überschwemmung der Kuhgasse in Oggersheim 1882 nach der Rheinbegradigung: In den Folgejahren wurden stabilere und höhere Dämme gebaut.
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Oggersheim. Die Industrialisierung, das Zeitalter der Rationalisierung durch Maschinenkraft, setzte in Oggersheim schon früh ein. Ab 1830 setzten Gründer darauf, hohe Stückzahlen vom Band zu fertigen – und dabei den Einsatz von Kohle, Arbeit und Kapital zu minimieren. Die Menschen verwandelten die stagnierende Wirtschaft der Eigenversorgung und des Tauschs in eine dynamische mit hohem Wachstum. Der Pferdefuß: Der Wohlstand kam in den Anfängen bei den Arbeitern nicht an. 

Von Julia Glöckner

Einerseits brachte die Industrialisierung Wachstum und Wohlhabenheit: Waren wurden günstig und für alle erschwinglich. Der Handel durch Eisenbahn und Schifffahrt stellte viele Güter bereit. In ihren Anfängen brachte die Industrialisierung ohne Arbeits- und Sozialgesetze aber vor allem Elend über die Arbeiterklasse. Die Ausstellung „Fabrikarbeit in Oggersheim – eine sozialhistorische Zeitreise“ zeigt, wie Fabrikarbeiter in der Frühphase der Industrialisierung lebten, wie sie hausten und was sie aßen. Der Rundgang führt anhand von Relikten, historischen Briefen, Dokumenten und Fotos durch die Sozialgeschichte seit 1849. Sie zeigt die großen Errungenschaften des Wohlfahrtsstaats auf: die Soziale Sicherung, die Krankenkassen, den Arbeits- und Versicherungsschutz.

Leben für Arbeit

Durch die Landflucht drängten viele Menschen auf den Arbeitsmarkt der lokalen Industrie. Unternehmer hatten freie Auswahl – zulasten von Älteren oder Kranken, denen sie grundlos kündigen konnten. Die Überschuss von Arbeitnehmern auf dem Markt stärkte das Machtgefälle gegenüber den Fabrikarbeitern. Sie betrieben Lohndumping, kürzten den Lohn bei Verstößen gegen die Fabrikordnung, etwa fürs Zuspätkommen, und zahlten entsprechend der Leistung. Ältere Arbeiter bekamen also weniger. Es gab eine 7-Tage-Woche. Man arbeitete 14 bis 16 Stunden bei Hitze, Lärm und ohne Tageslicht in der Fabrikhalle. Hinzu kam der schlechte Arbeitsschutz in vielen Fabriken, den Unternehmer wegen der Kosten scheuten. Unfälle und Erkrankungen durch Staub oder Chemie waren keine Ausnahme.

Einzelne Arbeiter konnten allein nichts ausrichten. Sie organisierten sich in Gewerkschaften oder sozialistischen sowie sozialdemokratischen Organisationen und gewannen an Verhandlungsdruck, vor allem durch Streiks. Reichskanzler Bismarck erließ Verbote für alle sozialistischen Verbände, die SPD sowie die Gewerkschaften zwischen 1878 und 1890. Man organisierte sich weiterhin in der Arbeiterbewegung. Reichskanzler Bismarck sah sich unter Druck. Er erließ in den 1880ern einige Sozialgesetze, um den linken und sozialdemokratischen Kräften im Reich den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dazu gehörte die Einführung von Krankenkassen 1883 sowie der Unfallversicherungen 1884. 1887 gründeten sich die Berufsgenossenschaften, die bei Behinderung durch Arbeitsunfälle die Versorgung übernahmen. 1891 wurde der Arbeitsschutz vor Unfällen und Emissionen verpflichtend.

Eine der ersten Gewerkschaften Deutschlands auch in Oggersheim

Die Ausstellung legt einen Fokus auf Gewerkschaftsgeschichte in Oggersheim. "Eine der ersten Gewerkschaften war die Zigarrenarbeiter Assoziation von 1848. Einen illegalen Zweigverein gab es auch in Oggersheim, der sich auf Gerichtsbeschluss 1851 auflösen musste", sagt Michaela Ferner vom heimatkundlichen Arbeitskreis Oggersheim. Auch in der berühmten Samtfabrik kam es 1871 zu einem bedeutsamen Streik. Der Fabrikleiter konnte die Spinnereiarbeiter zur Wiederaufnahme überreden, nachdem man sich auf einen 12-Stunden-Tag und 12,5 Prozent mehr Lohn geeinigt hatte. 

Auch die Unternehmensgeschichten einzelner großer Fabriken sind in der Ausstellung dokumentiert. Viele sind  aus Erzählungen bekannt oder aus der Kindheit und Jugend, weil sie nach dem Krieg auf andere Produkte umstellten und bis in die 60er, einige wenige auch bis in die 80er fertigten. "Die Gießerei und Maschinenfabrik Schütze stand auf der Landstraße Richtung Mutterstadt, das Werksgelände begann bei der Ampelinsel", sagt Ferner. Einige sind heute zu Traditionsunternehmen geworden, wie die RheinFass, die Pommes Fabrik JoWu-frites oder die Brauerei Gebrüder Mayer.

Ohne die typischen Arbeiterparteien gäbe es heute kein so starkes Sozialsystem zum Schutz vor Gesundheitsschäden oder zur Absicherung vor Risiken wie Arbeitslosigkeit, Behinderung, Krankheit, Alter. Man muss nur nach Britannien schauen oder über den großen Teich, wo das Sozialsystem komplett liberalisiert ist.

In der Weimarer Republik gewannen die Gewerkschaften an Einfluss. Arbeitslosenhilfen wurden in der NS-Zeit allerdings wieder zusammengestrichen, sozialistische oder sozialdemokratische Organisationen zerschlagen. Seit der Gründung der Bundesrepublik haben sie wieder Einfluss, vor allem in Berufen mit hohem Fachkräftemangel. jg

Weitere Informationen: 
Die Ausstellung im Schillerhaus Oggersheim fußt auf der Chronik "Stadt. Land. Fabrik. Beiträge zur Geschichte der Stadt Oggersheim" von Friedemann Seitz. Der Eintritt zur Ausstellung ist frei.

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Autor:

Julia Glöckner aus Ludwigshafen

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