Ludwigshafen im Strukturwandel: So könnte er schneller gelingen
Ludwigshafen/South Wood County.In einigen Städten in den USA ist ein kleines Wirtschaftswunder gelungen – in South Wood County etwa, wo Bürger sich selbst organisierten, um den Strukturwandel mitzugestalten. Das könnte auch in Chemiestädten wie Ludwigshafen gelingen oder in Kohlestädten wie der Lausitz.
Von Julia Glöckner
Die Wirtschaftskraft Ludwigshafens kann man bei weitem nicht mit der der Sächsischen Lausitz vergleichen. Denn die Chemie wird es hier für immer geben, auch wenn die Werke der Konkurrenz aus sich entwickelnden Ländern nicht standhalten können und sich verkleinern. Der notwendig gewordene Kohleausstieg ist dagegen endgültig. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten: Hier wie dort gilt es neue Wirtschaftswege zu gehen, neue Industrien anzusiedeln. Strukturwandel heißt das Zauberwort, ein Projekt, das Zeit und Kraft braucht.
Warum gelingt der Strukturwandel in manchen Städten und in anderen nicht? Neue soziologische Studien zeigen: In Städten, die ihn schaffen, haben Bürger aktiv daran mitgewirkt. Sie haben sich selbst organisiert, um mit den Widrigkeiten der Deindustrialisierung fertig zu werden – mit erstaunlichen Effekten aufs die regionale Wirtschaftsleistung.
Damit eine erfolgreiche Selbstorganisation zustande kommt, muss es unter den Menschen in der Stadt die Bereitschaft geben, konstruktiv demokratisch mitzuarbeiten. Soziologen nennen diese Haltung politische Kultur. Sie ist eng gekoppelt an einen gewissen Demokratieglauben. Dass die Bereitschaft zur Teilhabe in Ludwigshafen besser sein könnte, zeigt sich an der Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen von 46,6 Prozent.
Unter Soziologen und Politikwissenschaftlern gilt es als unumstritten: Diese Bereitschaft zur konstruktiven Mitgestaltung ist vielerorts am Bröckeln. Nicht nur in von Deindustrialisierung zerrütteten Städten wie in Rust Belt in den USA oder der Sächsischen Lausitz, die heute Hochburgen des fremdenfeindlichen Rechtspopulismus sind. Vielerorts zeigt sich der schwindende konstruktive Gestaltungswille weniger deutlich: die politische Vereinsstruktur schwindet, nur noch wenige sind aktiv, der Durchschnittswähler kennt die Einflusswege nicht mehr, über die er von unten nach oben im politischen Willensbildungsprozess mitwirken kann.
Aber nur organisierte Bürger haben eine wirksame Stimme mit Schlagkraft, auf die repräsentative Institutionen reagieren. Die Politik kann bei der Umsetzung von vorgeschlagenen Lösungen nur helfen, wenn sie weiß, dass ein größerer Teil der Bewohner sie will.
Bürgerbeteiligung mit riesigen Erfolgen
Was kann die Demokratie von unten wieder aufbauen? Seit Jahren gelingt dies gezielt durch Bürgerstiftungen, die in gebeutelten Regionen der USA und Teilen Europas die Selbstorganisation anstoßen. Diesen Erfolgsprozess erforschen die US-amerikanischen Soziologen Charles und Madeleine Beaubien Taylor. Bürger erarbeiten dort selbst die Lösungen. Sie halten die sich verschlechternde Situation vor Ort auf, kehren sie um. Vielerorts steigt das Bruttosozialprodukt. „Die lokale Bevölkerung ist selbst der beste Experte für eigene Ressourcen und Chancen“, ergänzt Luis Caballero, Soziologe an der Uni Mainz. Die Lösungensind nicht von der Politik übergestülpt und werden damit als befremdend wahrgenommen. Bürger finden sie selbst und nehmen sie idealistisch motiviert an.
So auch in South Wood County. Die Bürgerstiftung suchte dort 2010 den Kontakt zu Pionieren, die sahen, dass die Papierindustrie nicht mehr Garant für Beschäftigung sein konnte. Jahrzehntelang war sie das Rückgrat der lokalen Industrie. Doch durch die Globalisierung baute die Papierfabrik über 60 Prozent der Arbeitsplätze ab. Es stellte sich die Frage, was die Leute künftig arbeiten wollten, denn die Arbeitslosigkeit stieg. Die Stiftung holten ein Bürgerbeteiligungsbüro mit ins Boot, das über Zeitungen, Social Media die Leute vor Ort zusammentrommelte. Man setzte auf breite Beteiligung: Engagierte suchten den Kontakt zu Migranten, Hausfrauen und Senioren. Eine Mitarbeiterin der Stiftung erzählt: „Die Leute glaubten anfangs nicht, dass es auf ihre Ideen ankäme und wuchsen dann über sich hinaus – in der Überzeugung, dass ihre Ideen etwas bewirken konnten und mit dem Wunsch, mehr zu erfahren.“
Die Schwarmintelligenz machte den Diskurs kreativ. Experten von außen analysierten Wirtschaftsdaten und sahen, wo Potenziale für Wachstum und Unternehmensansiedelungen bestand. Sie brachten Arbeitsagenturen, Firmen und Arbeitssuchende an einen Tisch, um die Umqualifizierung mehr auf die Firmenbedarfe zuzuschneiden. Moderatoren brachten die Impulse von außen der breiten Bevölkerung in Versammlungen nahe. Die tragenden Ideen kamen aber aus der Bevölkerung selbst, denn diese sollten am Ende das Gefühl haben, an einem Strang zu ziehen. Impulse von außen wurden in Gesprächen mit Identität und bisherigen Qualifikationen der Menschen von dort abgewogen. Die Moderatoren halfen, Kontroversen zu überwinden und Konsens zu finden.
Der Staat förderte am Ende ein sektorübergreifendes Projekt der Umqualifizierung, das die Bürger selbst geplant hatten. Seit Jahren wächst in South Wood County wieder das BSP. Ein Bewohner erzählt: „Wir haben jetzt das Gefühl, dass wir selbst etwas bewegen müssen. Vorher dachten wir, irgendjemand werde sich schon darum kümmern.“ Die Meckererkultur mit Anspruchsdenken wurde in einen konstruktiven Diskurs verwandelt, erklärt Geschäftsführerin der Stiftung Kelly Ryan. Laut Bürgerumfragen ist in South Wood County wieder mehr Optimismus und Verantwortungsgefühl eingekehrt, die Bevölkerung identifiziert sich mit ihrer Heimat, sie kennt die Ursachen der Missstände besser. Das Identitätsgefühl hängt eng zusammen mit dem BSP.
Solche Bewegungen unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt von Bürgerbeteiligungsverfahren, die die Lokalpolitik initiiert, um gemeinsame Ziele mit Bürgern auszuarbeiten: Die Ideen sind weniger vordefiniert. Sie kommen von engagierten Bürgern. „Solche Bürgerstiftungen könnten auch in Deutschland einen Link zwischen Entscheidern und Bürgern herstellen“, sagt Caballero. Es sollte viel mehr solcher Städte geben. Laut Charles Taylor gelingen solche Stiftungsprojekte in der Regel, gleich ob es um bauliche Investitionen in einem Problemquartier oder um Entwicklung einer strukturschwachen Dorfregion geht.
Weitere Informationen:
Was ermöglicht demokratische Teilhabe? Was erleichtert sie, was erschwert sie? Die Wochenblatt-Serie zeigt erstaunliche Mechanismen des Wandels durch die möglichen Einflusswege im System auf. Der Wiederaufbau der Demokratien muss von unten beginnen. Sie existiert nicht allein durch rechtliche Rahmenbedingungen. Demokratie ist Mitmachsport. Im nächsten Beitrag geht es um die anstehenden Kommunal- und Europawahlen. jg/red
Info-Box: Deindustrialisierung
Rechtspopulismus und Verschwörungstheorien treiben gezielt eine Kluft zwischen Bevölkerung und Repräsentanten. Seit Monaten werfen Rechtspopulisten der Regierung vor, sie deindustrialisiere Regionen. Deindustrialisierung ist ein negativer, unvermeidbarer, aber umkehrbarer Nebeneffekt der Globalisierung, an der sich alle Staaten weltweit beteiligen. Denn Spezialisierung auf Wirtschaftsbranchen sowie der Freihandel haben positive Effekte auf die Gesamtwirtschaftsleistung eines Landes. Firmen, die Freihandel und Globalisierung nicht mitgehen, sind auf Dauer nicht wettbewerbsfähig und scheiden aus den Märkten aus. Was durch Abbruch von Handelsbeziehungen, etwa durch Einführung von Importzöllen passieren kann, zeigt sich aktuell mit der Inflation.
Autor:Julia Glöckner aus Ludwigshafen |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.