Vermessung der Pfalz: Messfehler, Rechtsstreits und Gerüchte zur Unterschlagung von Bayerischem Besitz

Fußgönheim nach der Urvermessung.   | Foto: Julia Glöckner
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Pfalz. Die Vermessung der Pfalz ist so alt wie die Bayerische Pfalz. Unter der „Herrschaft der Zwockel“, wie die Pfälzer die Bayerischen Beamten nannten, begannen 1819 die ersten Messungen – zum Zweck der Besteuerung. Heute ist die Vermessung Grundlage jeder Flurplanung, Stadtplanung und letztlich jedes Bebauungsplans.

Im gesamten Land legte man ab 1819 Basispunkte fest, Türme oder Bergspitzen, von denen man zu weiteren Basispunkten im Umland blicken konnte. Die Linien zwischen diesen Punkten bildeten Dreiecke. So überspannte das gesamte Land ein ganzes Dreiecksnetz. Der simple Grund: Maß man eine Seitenlänge eines Dreiecks, konnte man die Längen der anderen beiden Dreiecke durch die bekannten Winkel ermitteln.

Steuerrat Taddäus Lämmle ermittelte 1819 die Distanz zwischen den Basispunkten Speyerer Dom und Oggersheim zu Fuß. Das gelang ihm mit verblüffender Genauigkeit. Er kam auf 15.325,739 Meter. Eine Satellitenmessung ergab 1996 15.325,325 Meter. „Da hatte einer ordentlich gemessen“, erklärt Michael Hemmer, Abteilungsleiter des Liegenschaftskatasters des Landes, das verantwortlich ist für die Kartierung zwischen Ludwigshafen im Osten, der Südpfalz im Westen, Bobenheim-Roxheim im Norden und Schweigen-Rechtenbach im Süden. „Für eine möglichst genaue Messung legte man dabei Latten mit Eisenscharten auf dreifüßige, selbst stehende Böcke. Die Latten hatten Millimetereinteilung. Nach fünf Latten richtete man am Lot neu aus. Lämmle telegrafierte öfter in die Verwaltung, dass es zu heiß oder zu kalt zum Messen sei. Denn für eine genaue Messung brauchte es immer die gleiche Temperatur.“

Zwischen 1840 und 1860 vermaßen Steuerbeamte die gesamte Feldflur in der Pfalz. Der Bayerische Staat ließ Soldaten in Akkordarbeit die Dreiecke zu Flurstücken aufaddieren. „Dabei passierten immer wieder Rechenfehler“, sagt Hemmer. „Das Leipziger Landgericht entschied in einem Fall, dass ein Eigentümer sich auf eine seiner Flächen im Grundbuch nicht komplett berufen konnten. Bei der Urvermessung war ein Rechenfehler passiert, die Fläche war nicht durch Zwei geteilt worden.“ Die Fläche war 800 Quadratmeter groß kartiert, draußen maß man aber nur 400 Quadratmeter.

Die Messungen wurden auf Stein übertragen und eingraviert, um sie auf Karten, sogenannte Messtischblätter, zu drucken. Damit lagen nach 1860 flächendeckende Karten im Maßstab 1:2500 vor.

Lithographiesteine lagern in Bayern

Mit der Gründung von Rheinland-Pfalz im August 1946 ließ die Bayernverwaltung die Steine aus der Pfalz ins Vermessungsamt München bringen. Am Stadtrand gelegen ist das alte Amtsgebäude kein zentraler Ort, was manchen Vermessern nicht zusagt. Doch der Auszug ist zum Ding der Unmöglichkeit geworden. „Das Steinlager mit über 26.600 Steinen müsste mit, davon kommen 12.000 aus der Pfalz“, sagt Hemmer. Man muss im Zweifelsfall ein Archiv haben, auf das man zurückgreifen kann.

Unterschlagene Steine?

„Über den Verbleib der Steine, die 1946 nie in Bayern angekommen sind, hält sich das hartnäckige Gerücht, dass sie angeblich beim Aufladen zu Bruch gegangen seien. Dies seien aber genau die Steine, auf denen Ortslagen der Region noch gut sichtbar sind. Sie könnten bis heute Partykeller um Speyer füllen“, erzählt Hemmer. „Ein Teil der Steine ist jedenfalls nicht heil genlieben. Der Verantwortliche muss beim Aufladen einen verdammt schlechten Tag gehabt haben.“ Offiziell bestätigt wurde das Gerücht über das Unterschlagen der Steine allerdings nie.

Fehler und ihre Folgen

Mit der Einführung des Meters wurde jede einzelne Fläche auf volle Dezimal gerundet und umgerechnet auf volle Ar. Für damalige Besteuerungszwecke reichte das völlig aus – für heutige Zwecke wären die Flächen viel zu unpräzise kartiert. Bis heute existieren in Ausnahmefällen noch einzelne Urflächen auf Karten. „Haben wir die volle Meter und Ar angegeben, wissen wir, da hat sich bis heute nichts getan“, sagt Hemmer.

Schon nach 1860 wurde jede Änderung nach Neubebauung, jedes Baugebiet und jede Flurteilung in den Stein eingearbeitet. Die Flächen wurden 1871 ins Grundbuch eingetragen und finden sich in den ganz alten Einträgen noch so wieder. In den 60ern ermöglichten Neuvermessungen anhand von Hochpräzisionsgeräten das Ablesen auf vier Nachkommastellen. Selbst mit dem Hightech von heute weist die Vermessung größere Abweichungen auf.

Ungenauigkeiten und kleine Rechenfehler bei der Urvermessung bringen bis heute Missverständnisse mit sich. Das belegen Anekdoten, die man sich bei der Verwaltung immer noch gerne erzählt. So erreichte Hemmer unlängst einen Anruf einer Bürgerin, deren Navi sie nach Eingabe ihrer eigenen Adresse nicht zu ihrem Haus mit der Hausnummer 6, sondern zu Hausnummer 5 lotste. Hemmer versprach, sich darum zu kümmern. Einige Woche später rief sie wieder an, weil das „Navi das Haus nicht findet und Gäste immer wieder falsch führt“. Weil das Vermessungsamt nur zwei Mal im Jahr, am 1. April und 1. Oktober, dem Bund einen Datenpool übermittelt, den Navi-Betreibern abrufen, können die Änderungen lange brauchen. Außerdem müssen Nutzer ihr Navi kostenpflichtig aktualisieren, damit es wieder zum korrekten Ort führt.

Navis navigieren zudem immer mit einer gewissen Ungenauigkeit. Bei Auto-Navis sind es plus/minus 10 Meter, bei Handy-Navis plus/minus zwei Meter und bei Handheld Outdoorprodukten oder geodätischen Empfängern plus/minus ein Meter, beziehungsweise plus/minus 1,5 Meter.

Ein weiteres Manko der uralten Karten: Montiert man die alten Handrisse zusammen, bilden viele Grundstücke auf den Karten keine sauberen Übergänge. „Die Flurnummer X hängt dann zum Beispiel viel weiter oben als auf dem angelegten Handriss“, sagt Hemmer. „Man hatte nicht immer ordentlich geschafft.“

Manche Messfehler führten auch zu Streitigkeiten. Ein Streit um 30 Zentimeter Wiesengelände im Pfälzerwald landete schließlich vor Gericht. Die Klägerpartei wollte in Revision gehen, doch der Antrag wurde wegen des zu geringen Streitwerts von 35 Euro abgelehnt.

Die Flurbereinigung aus den 90ern lieferte die neuen Urkataster. Die Grundbucheinträge haben schon lange genauere Vermessungen zur Grundlage – denn die Messtechnik machte große Sprünge. Auch die sauberen Karten aus den 90ern wurden übermittelt. Die alten Läufersteine auf Grundlage der ersten Vermessung haben in den flurbereinigten Gebieten heute als Grundsteine keinen Wert mehr. jg

Weitere Informationen: 

Der Vortrag fand im Deutschen Kartoffelmuseum in Fußgönheim statt, das jährlich über 2000 Gäste aus dem Umland, vor allem aus Vorderpfalz und rechtsrheinischem Gebiet anzieht. Das Museum wurde 2000 in einer ehemaligen restaurierten Synagoge Fußgönheims eröffnet. Eine namhafte Jüdische Kulturgemeinde lebte in Fußgönheim vom Kartoffelhandel, bevor sie sich im 20. Jahrhundert einer Gemeinde aus Speyer anschloss. Für den Saal gibt es neue Pläne. Nach seiner Restaurierung sollen Schülergruppen nach dem Besuch auf dem Kartoffelacker, dem Erleben der Landlust und dem Museumsbesuch aus ihren selbst geernteten Kartoffeln  in der mobilen Küche regionale Gerichte kochen.

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Fußgönheim nach der Urvermessung.   | Foto: Julia Glöckner
Blick ins Kartoffelmuseum Fußgönheim | Foto: Julia Glöckner
Autor:

Julia Glöckner aus Ludwigshafen

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