Mannheimer Opernsängerin Astrid Kessler im Interview
„Die Bühne vermisse ich sehr“

Astrid Kessler ist seit der Spielzeit 2012/13 festes Mitglied des NTM-Opernensembles. | Foto: Christian Gaier
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Mannheim. Seit der Spielzeit 2012/13 ist Astrid Kessler festes Mitglied des Opernensembles am Nationaltheater Mannheim (NTM). Die international gefeierte Sopranistin hat in den vergangenen beiden Jahren unterschiedlichste Aspekte der Corona-Pandemie erlebt.

???: Frau Kessler, wann werden Sie denn das nächste Mal vor Saalpublikum auf einer Bühne stehen?
Astrid Kessler: Hoffentlich am 22. Mai. Da haben wir im Nationaltheater die Premiere von Karl Amadeus Hartmanns Oper „Simplicius Simplicissimus“. Das Werk ist 1934 komponiert worden und in der Originalversion praktisch schon corona-konform, weil es nur 90 Minute dauert, eine kleine Orchesterbesetzung und wenige Rollen hat. Ich freue mich schon sehr darauf und hoffe, dass wir bis dahin wieder vor Publikum spielen können.

???: Wie hoch schätzen Sie denn die Wahrscheinlichkeit ein, dass die Premiere wirklich am 22. Mai stattfindet?
Kessler: Ich bin optimistisch, auch wenn ich mit meinem Optimismus in den vergangenen Monaten öfter falsch lag, weil es doch schlimmer kam als gedacht. Aber ich denke schon, dass es stattfinden kann. Wenn es Schnelltests für das Publikum und die Belegschaft gibt, ist es wirklich sehr sicher. Wir nutzen diese Tests auch jetzt schon, während der Probenzeit. Das Sicherheitskonzept des NTM war auch im Herbst, ohne Schnelltests schon sehr streng, durch die Abstände auf der Bühne und die Reduktion der Sitzplätze.

???: Wie sieht ihr Arbeitsalltag als Künstlerin in Zeiten des Lockdowns aus?
Kessler: Ab Mitte Februar habe ich mich mit Simplicius beschäftigt und jeden Tag ein bis zwei Stunden mit einem unserer Pianisten geübt. Zwischendurch hole ich mir auch gerne Input von diversen Lehrern und finde so immer wieder etwas Neues heraus. Das geht entweder online oder auch persönlich, mit Abstand. Man kann immer wieder neue technische Aspekte finden und an sich selbst arbeiten und genau das habe ich gemacht.

???: Wie sehr vermissen Sie die Bühne?
Kessler: Die Bühne vermisse ich schon sehr, trotzdem geht es mir vergleichsweise gut, weil ich mich gut beschäftigen kann. Die Arbeit als freiwillige Helferin hat geholfen, die Leere zu überbrücken, weil man gefordert und auch gebraucht wird. Es ist ein gutes Gefühl, etwas Sinnvolles beizutragen. Über Weihnachten habe ich ein paar Wochen gar nicht gesungen, nur gelesen, gekocht, mit meiner Italienischlehrerin geübt usw. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich durch meine Anstellung am Nationaltheater nicht die gleichen finanziellen Schwierigkeiten habe, wie viele freischaffende Künstler. Am NTM sind wir seit einem Jahr immer wieder in Kurzarbeit, was für viele Kollegen schwierig ist. Für mich war das Hauptproblem an der Kurzarbeit bzw. den Lockdowns, dass wir gar nicht arbeiten durften.

???: Ist der Lockdown auf Dauer nicht belastend?
Kessler: Doch schon; ich rege mich oft auf, wenn ich die Nachrichten lese. Es gibt auch Phasen, in denen ich das gar nicht mache. Obwohl ich grundsätzlich optimistisch bin, zieht es mich schon ziemlich runter, wenn ich zu viel Nachrichten höre oder lese und dann vermeide ich es lieber für ein paar Tage.

???: Wie ist nach Ihrer Einschätzung die Stimmung unter den Kulturschaffenden?
Kessler: Die Stimmung ist insgesamt mau, obwohl wir jetzt wieder proben. Das ist natürlich schön, aber ist es frustrierend zu proben, nur um etwas zu machen, ohne zu wissen, ob das Stück auch auf die Bühne kommt. Das ist einfach schrecklich. Wir arbeiten ja, um unsere Ergebnisse dem Publikum zu zeigen. Nur für uns zu proben, ist quasi sinnlos. Natürlich hoffen wir, dass wir die Stücke, die jetzt ausgefallen sind, zu einem späteren Zeitpunkt spielen dürfen. Aber gerade ist die Öffnung des Theaters wieder verschoben worden. Man fühlt sich schon sehr hilflos.

???: Jetzt waren Sie in den vergangenen Monaten aber nicht die ganze Zeit zwangsweise bühnenabstinent, sondern standen Ende vergangenen Jahres in einer „Fledermaus“-Produktion in Japan in Tokyo und Sapporo auf der Bühne. Wie haben Sie das erlebt?
Kessler: Ich war sehr froh, dass ich das machen konnte. Zum Glück habe ich gerade das Zeitfenster erwischt, in dem die Einreise möglich war. Die 14 Tage Quarantäne habe ich in einem Appartement verbracht. Es war relativ groß und bot aus dem 23. Stock heraus Aussicht auf den Fujiyama. Das war fantastisch! Man hat ihn oft gesehen, denn es war meistens gutes Wetter, mit 20 Grad Ende November. Es war erlaubt, draußen spazieren zu gehen und einzukaufen. Ich habe in dieser Zeit auch versucht, japanisch zu kochen. Insgesamt hat mir die Quarantäne nichts ausgemacht, zwei Wochen alleine kann ich gut aushalten.

???: Wie haben Sie die künstlerische Arbeit mit den Kollegen erlebt?
Kessler: Das war wirklich eine wunderbare Zeit. In Tokio wurde komplett mit Maske geprobt. Man gewöhnt sich daran und es geht eigentlich ganz gut. Natürlich wurde die Inszenierung geändert. Die Abstände untereinander wurden gegen Ende der Proben jeden Tag ein bisschen geringer, schließlich durften wir sogar acht Takte Walzer tanzen. Trotz dieser Einschränkungen war die Stimmung auf der Bühne fantastisch!

???: Wie sind denn nach Ihrem Eindruck die Menschen in Japan mit der Pandemie umgegangen?
Kessler: Eigentlich war es ein fast normales Leben dort. Die Menschen in Japan sind sehr katastrophenerprobt. Es gibt die drei C-Regeln: vermeide Crowds, Closed spaces und Close contacts, und die Menschen tragen immer Maske, auch draußen und in den Büros. Aber Abstand halten ist schwierig in Tokio. Mir wurde gesagt, die Regeln seien auf Empfehlungsbasis, aber die Leute halten sich daran. Für mich war es ein sehr entspannter Aufenthalt. Man spürt, dass die Menschen versuchen, sich das Leben gegenseitig so angenehm wie möglich zu machen.

???: Hier in Mannheim haben Sie die Coronapandemie von einer neuen Seite erlebt – als Helferin im Impfzentrum. Wie kam es dazu und wie läuft es dort?
Kessler: Wir haben eine E-Mail von der Stadt bekommen, dass freiwillige Helfer gesucht werden, und da habe ich mich gemeldet. Ich wurde nicht gleich gebraucht, weil am Anfang wenig Impfstoff vorhanden war. Mitte Januar wurde es dann mehr und ich wurde eingeteilt. Es war sehr spannend, weil immer wieder neue Regeln kamen, wer geimpft werden darf und wer nicht. Dann kam der zweite Impfstoff, dann der dritte, das Computersystem wurde mit jeder Woche besser und Vorgänge optimiert, um den Ablauf zu verbessern. Es war wirklich super organisiert. Man muss natürlich früh aufstehen, um um 7 Uhr da zu sein. Das war am Anfang schwierig für mich, aber ich habe mich daran gewöhnt, und jetzt finde ich es toll, früh aufzustehen. Der Morgen ist die beste Zeit des Tages, man sieht den Sonnenaufgang und die Luft ist herrlich klar. Es war eine schöne Erfahrung, im Impfzentrum zu arbeiten und ich würde es jederzeit wieder machen.

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Autor:

Christian Gaier aus Mannheim

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