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Als Neustadt noch "Klein Venedig" hieß
Das Bedürfnis nach fließendem Wasser in der Stadt ist uralt, seine belebende Wirkung, besonders an heißen Sommertagen, unumstritten. Schon vor 86 Jahren wurde dieses Thema aufgegriffen. Unter der Überschrift "Die Seestadt Neustadt an der Haardt" veröffentlichte der Stadtanzeiger bereits im Jahre 1934 eine Dokumentation zum Thema "Wasser in die Stadt"! Hier der historische Bericht:
"Klein Venedig. Das vielbesprochene S e e p r o j e k t unserer Stadt ist zwar immer noch nicht verwirklicht. Aber was tut das? Wir haben ja vorläufig als Ersatz unseren S p e y e r b a c h . Der schlängelt sich in zwei Armen mitten durch das Häusermeer der Stadt. Und an den Stellen, wo er beiderseits von Häusern meist älteren Datums abgegrenzt wird, bietet er ein Bild, das jeden einigermaßen phantasiebegabten Beschauer unbedingt an die Kanalstadt V e n e d i g erinnern muß.
Wer sich davon überzeugen will, der stelle sich mal an das K r i e g e r d e n k m a l und schaue den Wasserlauf hinunter. Zwar gleicht der Denkmalsplatz am Speyerbach in Neustadt nicht ganz dem M a r k u s p l a t z in Venedig. Aber das kleine Brückchen am Klemmhof ist doch gar köstlich an alter romantischer Architektur. Weiter unten, bei der Pfälz. Verlagsanstalt, wo eine zweite Brücke den Bach überquert, entwickelt sich jetzt in den heißen Sommertagen ein Leben, das Aehnlichkeit hat mit dem Treiben der italienischen G o n d o l i e r e. Dort ist nämlich ein Startplatz für die Neustadter Regatta. Lachen Sie nicht! Kommen Sie lieber und schauen Sie, was vor sich geht. Wie auf dem Kanale Grande in Venedig durchzieht da die vollbesetzte Gondel die kühle Flut. Und wenn das Jauchzen der Insassen auch nicht so südländisch klingt, wie das Schifferlied der Gondoliere in Venetien, so ist man dabei doch nicht minder lustig.
"Alle Mann an Bord! Klar zum Manöver!" so hallte das Kommando des jungen Steinel. Rasch füllt sich die massive, saubere Gondel, die Herr Breitner in der Rheinstadt Speyer für bare 40 Mark erstanden hat, und auf das Kommando "Los!" bahnt sich das Fahrzeug ruhig und sicher seinen Weg durch die Flut. Vom Sitz aus wird mit zwei Stricken das Steuer flott gelenkt. So nimmt man die scharfen Krümmungen des Kanal Grande - wollte sagen des Speyerbaches, gondelt unter Brücken und selbst unter Straßenabdeckungen hindurch bis hinunter zum Sauerbrunnen, wo die alte Mühle bei der Fabrik von Konrad dem Segler ein Ziel setzt. Bei der Rückfahrt stromaufwärts heißt es allerdings feste schaffen mit den zwei Paddeln, denn gegen den Strom ist nicht gut schwimmen und nicht gut rudern. Manchmal wird sogar absichtlich "umgekippt" und dann ist das Vergnügen doppelt groß. Die SOS-Rufe schallen über den Wassern.
Die Kinder des Herrn Breitner wollen selbstredend auch mal gondeln. Da muß aber Mutti dabei sein. Und weil die Frauen nun mal etwas ängstlich sind, verschaffte man sich eine Versicherung in Gestalt eines mehrere hundert Meter langen Seiles. Mit dem wird das Boot an der Brücke bei der Verlagsanstalt angehängt und man fährt nur soweit als eben das Seil reicht, um sich dann an diesem wieder bergan zu ziehen.
Dieses Regattaleben ist übrigens nicht neu in Neustadt an der Haardt. Schon 1930, als die Franzosen abzogen, wurde abends aus Freude ein kleines R e g a t t a f e s t abgehalten, bei dem auch andere Gondelbesitzer, wie z.B. der kleine Mück, mitwirkten und die Gondeln mit bunten Lampions behängt waren. Italienische Nacht auf den Wassern - was fehlt da noch zu einem Vergleich mit Venedig?
So eine Gondel ist wahrhaftig kein schlechtes Spielzeug. Solch Regattaspiel geht der Jugend ins Blut über und mancher der kleinen Segler wird vielleicht dereinst ein erfolgreicher Regattafahrer oder er wird mal mit starker Hand das Ruder eines großen Kauffahrtschiffes führen. Und so kann es kommen, daß die S e e s t a d t N e u s t a d t dereinst in der Welt noch einen berühmten Namen erhält. Wir wollen das Beste hoffen."
Dieser Artikel aus dem Jahre 1934 enthält nebenbei erstaunliche Details über bauliche Gegebenheiten seiner Zeit, bevor diese durch die Flächensanierung der 60er und 70er Jahre unverantwortlich zerstört worden sind.
Also. Was bleibt noch zu tun? Worauf warten wir? Wasser in die Stadt! Aber mehr als nur eine Designerrinne!
Autor:Waldemar Lyszio aus Neustadt/Weinstraße |
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