Meine Großmama - Brigit Majer in den Augen ihrer Enkelin Anna (Teil 3)
Neustadt. In dieser Serie erzählt meine große Schwester Anna Kimmel von ihrer Beziehung zu unserer Großmama Mima, allgemein bekannt als Brigit Majer (1928 - 2020). Brigit Majer hat lange zusammen mit ihrem Lebensgefährten Bernt Carstens im sog. Diedesfelder „Schlössl“ gelebt und anschließend ihren Lebensabend in einer Seniorenresidenz in Neustadt verbracht. Anna erzählt eine Geschichte voller Leben, Liebe und auch Leiden - wie sie und ihre Großmama die Pandemie erlebt haben und vom altersbedingten Abschied.
Es dauerte bis 2015, dass sie ihre Ansichten zur Schäferei änderte. Das Jahr in dem ich anfing Berichte über meinen Schäferalltag zu schreiben. Diese schickte ich auch immer zu ihr. Sie änderte ihre Meinung vollständig, entdeckte ihre Begeisterung für Schafe, Hüten und all das, was für uns zur Schäferei dazu gehört. Und sie war bereit zu sagen, dass sie sich geirrt hatte, dass sie von Vorurteilen geleitet war. Sie verschlang meine Berichte, nicht nur die Geschichten, auch das Fachwissen. Plötzlich wurde ich bei unseren Telefonaten über Beweidung, Hüten und Schafrassen gelöchert. Bei welchen Schafen ich denn gerade war? Den kleinen zotteligen (Schnucken), den dicken, großen (Schwarzköpfen) oder denen mit den großen Ohren (Merino), selbst die Rasseeigenschaften versuchte sie zu verinnerlichen. Immer auch war die Landschaft in der ich gerade hütete wichtig, musste ich genau beschreiben. War ich im flachen Moor, sah ich dort Schlangen oder Sonnentau?
Im Westerwald? Da rezitierte sie: „O du schöner Westerwald, über deine Höhen pfeift der Wind so kalt,
Jedoch der kleinste Sonnenschein dringt tief in's Herz hinein.“
In der Eifel, da waren doch die großen Schafe mit den schwarzen Köpfen. Dem Land ihrer jetzigen Heimat der Pfalz an der Weinstraße so ähnlich, nur dass der Fels nicht rot, sondern gelb war.
Oder war ich im Schwäbischen, der Heimat ihrer Kindheit, jedes Detail beschrieb ich ihr.
Das machte sie glücklich und was war sie stolz auf mich. Jedem erzählte sie von mir, gab meine Berichte weiter. Ihr einziges Bedauern, dass es zu spät war, um sich alles selbst anzusehen. Wie gerne wollte sie mit mir draußen auf der grünen Weide stehen, mit der Herde wandern.
Im Frühsommer 2020 ging es für mich tatsächlich nach Sylt! Sylt!
Das machte für sie alles wett. Auch, dass ich sie nicht wie beim Arbeiten auf den Betrieben im Süden einmal im Monat besuchen konnte.
Sylt!
Das war ihre gefühlte zweite Heimat. Schon als kleines Kind war sie mit ihren Eltern jeden Sommer auf der Insel, ihr jüngerer Bruder hatte hier laufen gelernt. Ihre Eltern waren sogar zu Ehrenbürgern von Wenningstedt erkoren worden. So lange sie konnte, war sie jeden Sommer auf der Insel gewesen. Viele Geschichten, die sie mir begeistert erzählte. Ich beschrieb ihr all die Orte, die ich sah, wurde von ihr gelotst. Das musst Du dir unbedingt anschauen! Dort, die Sylter Torte, das ist die beste!
Ich machte Bilder, schickte große Abzüge. Und sie war begeistert, überredete mich nach einer alten Jugendfreundin zu forschen. Diese kam auch aus Reutlingen, hatte sich auf Sylt verliebt. Damit sie ihren Liebsten treffen konnte, hatten meine Urgroßeltern sie auf ihren Fahrten zur Insel mitgenommen.
Das Ausfindigmachen dauerte etwas, denn natürlich war das „junge, kleine Mädchen“ dann ja doch nur einige Jahre jünger und damit in den Achtzigern. Auch war der gegebene Nachname und der Mädchenname keinem auf der Insel bekannt.
Doch eine befreundete Insulanerin half mir, ich bekam die Telefonnummer und nach drängen fand ich den Mut da einfach anzurufen. Prompt wurde ich zum Kaffee eingeladen und hatte einen der schönsten Momente auf der Insel. Bei diesem alten Paar im Garten am Kaffeetisch. Sie, Hutmacherin aus der schwäbischen Großstadt, er, Landwirt auf Sylt. Sie erzählten von ihrem Kennenlernen, von den Begegnungen mit meiner Familie, vom Leben auf der Insel. Nicht immer leicht, doch nun waren sie umgeben von Kindern, Enkeln und Urenkeln. Beide zeigten echtes Interesse an mir, meinem Leben, forderten mich auf, mir einen „jungen“ Mann zu suchen, mit ihm alt zu werden.
Er sagte, alt werden ist hart, schmerzvoll. Sie antwortete, das mache nichts, solange sie mit ihm sein kann. Dabei sahen sie sich an, als hätten sie sich gerade gestern verliebt.
Wie schön all dies meiner Großmutter später berichten zu können.
Sylt. Vielleicht wieder nächstes Jahr. bev
Hier lesen Sie Teil 4
Autor:Eva Bender aus Neustadt/Weinstraße |
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