Gesicht zeigen, Demokratie leben
Neustadter Demokratiefest eröffnet
Neustadt. „Wir haben noch nie so frei gelebt. Unser Land als Diktatur zu bezeichnen ist absurd“, sagte der ehemalige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz Kurt Beck in seiner flammenden Ansprache anlässlich der Eröffnung des Neustadter Demokratiefestes am Samstagmittag auf dem Marktplatz.
Von Markus Pacher
Allgemeines Unverständnis seitens der Mehrheit der Besucherinnen und Besucher herrschte angesichts der optisch klar wahrnehmbaren „Weißen Wanderer“, die parallel zu dem von der Stadt organisierten Freiheitszugs zum Hambacher Schloss gleichfalls zum „Freiheitsmarsch“ einluden und sich ausgestattet mit Trillerpfeifen und rechtsradikalen Symbolen wie die schwarz-weiß-rote Reichsflagge lautstark bemerkbar machten.
Demokratie ist unter Druck geraten
Die Erinnerungskultur auf eine neue Stufe stellen – diesen Beschluss fasste der Neustadter Stadtrat vor zwei Jahren, verbunden mit dem Plan, im Zwei-Jahres-Rhythmus auf das große Jubiläum „200 Jahre Hamacher Fest“ im Jahre 2032 hinzuarbeiten. „Seit unserem Beschluss hat sich die Welt verändert und unsere Demokratie ist mittlerweile unter starken Druck geraten“, sagte Oberbürgermeister Marc Weigel und betonte ausdrücklich, dass die Lösung nicht auf nationalistischer Ebene, sondern auf europäischer zu suchen sei, wie auch das Hambacher Fest ein europäisches Fest war. „Neustadt möchte diesem Ideal einen Rahmen geben“, wünschte sich das Stadtoberhaupt.
Weiße Wanderer
Mit Blick auf die von dem Neustadter Unternehmer Wolfgang Kochanek geführte Gruppe von Querdenkern, sogenannten Reichsbürgern, Verschwörungstheoretikern und radikalen Impfgegnern betonte die Bildungsministerin Katharina Binz, dass zu einer starken Demokratie auch Widerspruch und Protest gehöre“. Denn in einigen Ländern im Osten zum Beispiel sei dies nicht möglich, so Binz. „Wir wollen Demokratie für alle, lassen uns aber auch nicht einschüchtern“, bemerkte Kurt Beck mit Blick auf die im Hintergrund wehenden Flaggen mit dem Schriftzug „Wir sind das Volk!“.
Freiheitspreis für Joachim Gauck
Einer, der in der DDR-Diktatur groß geworden ist und hinterher erleben durfte, was es heißt, frei leben und jederzeit frei seine Meinung äußern zu dürfen, ist Peter Gaffert, Bürgermeister unserer Partnerstadt Wernigerode. „Es beschämt mich, lesen zu müssen, dass wir uns auf dem Weg in eine Diktatur befinden, nachdem ich nach 1989 erleben durfte, was es bedeutet, sich frei entfalten zu können“, erinnert er sich an die damalige DDR, „in deren Verfassung zwar ‚Demokratie‘ stand, diese aber nicht praktiziert wurde“.
Begleitet wurde die ansonsten friedlich verlaufene Eröffnung des Demokratiefestes von einem größeren Aufgebot an Polizeikräften. Bereits ab 11 Uhr machten sich einzelne Gruppen auf den Weg zum Hambacher Schloss, wo am Abend der Freiheitspreis an den ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck verliehen wird.
Autor:Markus Pacher aus Neustadt/Weinstraße |
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