Interview mit Kirsten Harms
Zeitreise ins Mittelalter in Neustadt
Von Markus Pacher
Neustadt. Obgleich die Stiftskirche zur Zeit für Gäste geschlossen ist, tut sich momentan einiges im Wahrzeichen der Stadt Neustadt: Seit Ende März ist die Restauratorin Kirsten Harms mit ihrem Team wieder in Aktion. Nach den Freilegungen der Deckenmalereien im Mittelschiff (2012) und im ersten Deckensegel im Südostjoch (2018) wird zur Zeit ein weiteres Segment von seiner Jahrhunderte alten Putzschicht befreit. Wir sprachen mit Kirsten Harms über ihre spannende Reise in die Bildsprache des Mittelalters.
??? Frau Harms, wir sind gespannt wie ein Flitzebogen: Können Sie uns gleich mal etwas über die neu entdeckten Motive erzählen?
Kirsten Harms: Wir haben drei Engel entdeckt. Die große Überraschung für uns war: Die Malereien im zweiten Deckensegel im Südostjoch wurden genauso aufwändig gestaltet wie die Bilder im ersten Joch. Damit hatten wir nicht gerechnet. Erstaunt hat uns auch der Erhaltungszustand: Meine Mitarbeiterin Maria Brochniak legt momentan ein Inkarnat frei, bei dem sogar Licht und Schatten erkennbar ist. Das ist oftmals nicht der Fall - diesmal tritt in einer einzigartigen Weise das Gesicht des Engels zu Tage. Zusammen mit Bruno Helmstätter, also dem gleichen Team wie vor zwei Jahren, werden wir in den nächsten drei Monaten versuchen, in insgesamt 1.300 Arbeitsstunden die Gemälde freizulegen.
??? Können Sie die Arbeit trotz der Corona-Problematik wie geplant fortsetzen?
Kirsten Harms: Wir hätten unsere Arbeit nicht so gerne angefangen, wenn die Stiftskirche zu Beginn unserer Maßnahmen ihre Pforte nicht für Besucherinnen und Besucher geschlossen hätte. Oben selbst herrschen beengte Arbeitsverhältnisse mit lediglich 25 Quadratmetern Gerüstfläche, so dass nur zwei Restauratoren gleichzeitig arbeiten können. Wir tragen Schutzmasken, aber das ist aufgrund des Feinstaubs für uns sowieso selbstverständlich. Als „Chefin“ trifft es mich natürlich als erstes: So habe ich die Nachtschicht übernommen. Abends steige ich auf das Gerüst und verlasse es frühestens nachts gegen halb zwei. Manchmal wird’s auch vier. Das ist für uns Restauratoren nicht ungewöhnlich - vor zwei Jahren zum Beispiel habe ich bei laufendem Betrieb in einer Arztpraxis in der Kellerreistraße gearbeitet. Meine Kollegen arbeiten vier Tage die Woche jeweils zehn Stunden. Übergabe und Besprechung ist immer um 19 Uhr.
??? Aber mal ganz ehrlich: Es erscheint doch schon etwas unheimlich, zur Mitternachtsstunde mutterseelenallein und lediglich mit dem Skalpell bewaffnet in luftigen Höhen die Zeit unter der kühlen Kirchen- und nicht unter der kuscheligen Daunendecke zu verbringen?
Kirsten Harms: An dieser Stelle muss ich widersprechen. Ich genieße die nächtliche Atmosphäre in der wunderschönen Stiftskirche: Abgedimmtes Licht, Orgelmusik - ab 22 Uhr kommen Organisten zum Üben -, und eine Tätigkeit, die mir große Freude bereitet. Und ganz allein bin ich ja nicht: Mein Hund steigt mit mir auf’s Gerüst und beschützt mich.
??? Bei Ihrer Arbeit geht es diesmal nicht nur um den restauratorischen Aspekt. Gleichzeitig findet eine naturwissenschaftliche Untersuchung statt. Können Sie uns das etwas genauer erklären?
Kirsten Harms: Alle Restauratoren durchlaufen eine naturwissenschaftliche Ausbildung, denn alle unsere Maßnahmen fußen auf naturwissenschaftliche Befunde. Wenn ich zum Beispiel ein falsches Festigungsmittel verwende, können irreparable Schäden entstehen. Es kommt übrigens ganz selten vor, dass wir Proben entnehmen dürfen. Dafür haben wir vom Denkmalamt die Genehmigung erhalten. Es geht vor allem um die Frage der Pigmente. Wenn ich weiß, welche Farbpigmente verwendet wurden, kann ich das Alter bestimmen. Dabei handelt es sich um Substanzen im My-Bereich. Bereits beim letzten Mal wurden Proben entnommen, die nun miteinander verglichen werden. Zur Zeit werden von einem Experten sechs Farbtöne und insgesamt 30 Proben analysiert. Unter dem UV-Licht kann man die meisten mittelalterlichen Pigmente bestimmen.
??? Wann frühestens rechnen Sie damit, ihre Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit präsentieren zu können?
Kirsten Harms: Ich bin der Stiftskirchengemeinde für die Chance dankbar, so abgeschottet arbeiten zu dürfen. Gleichzeitig tut es uns unglaublich leid, dass wir uns nicht präsentieren können. Transparenz ist ja ein ganz wesentlicher Aspekt unserer Berufes: Dem Publikum begreifbar machen, wie wir arbeiten und warum das manchmal so lange Zeit in Anspruch nimmt. Aber ich muss mich und meine Mitarbeiter schützen, solange Corona so aktiv ist, und möchte mein Team so wenig wie möglich einer Ansteckungsgefahr aussetzen. Umso mehr freue ich mich auf den Zeitpunkt, wo wir die ganze Bandbreite unserer Ergebnisse, einschließlich der Einschätzung durch einen Kunsthistoriker, vorstellen können. pac
Autor:Markus Pacher aus Neustadt/Weinstraße |
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