Kneipensingen in Leimersheim
"Egal was mer trinken, awwer singe muss soi"
Leimersheim. Die Rheinschänke ist rappelvoll an diesem Freitag. Stühle und Tische stehen dicht an dicht, dazwischen drücken sich die Bedienungen durch. Schon jetzt kann man die Luft schneiden. Wer nicht reserviert hat, muss erst einmal schauen, wo er noch ein freies Plätzchen findet. Wer fremdelt, der ist beim Kneipensingen in Leimersheim definitiv verkehrt. Allerspätestens beim ersten Schunkellied geht es auf Tuchfühlung mit den Sitznachbarn.
Auf rustikalen Holztischen liegen bereits aufgeschlagen die Songbücher; gespannte Erwartung liegt in der Luft. Die Räumlichkeiten in der urigen Kneipe sind verwinkelt - und damit eigentlich gar nicht optimal geeignet, um Gitarrist und Initiator Jürgen Lengle und seinen Bassisten Kurt Feth im Blick zu haben. Doch die Veranstaltung ist hier, gemeinsam mit den Wirtsleuten Bärbel und Peter, in acht Jahren zu der Kultveranstaltung gewachsen, die das Kneipensingen an jedem ersten Freitag im Monat in der Rheinschänke heute ist.
Das Publikum ist gemischt: Männer und Frauen, Jung und Alt, Stammgäste und Neu-Sänger. Die besondere Atmosphäre und die gute Stimmung haben sich herum gesprochen. Die Kuhardter Hobbysänger sitzen in grünen Poloshirts neben Stammgästen in blauen Kneipensingen-Poloshirts. Neulinge werden schon mal subtil beeinflusst, denn die Songs, die in der zweiten Hälfte der Veranstaltung gesungen werden, wählen die Gäste. "Unbedingt die 218", raunt Tischnachbar Markus. Kurzes Blättern im Liederbuch. Das Kufstein-Lied.
Endlich geht's los. Mit dem "Wild Rover" und - zur selben Melodie - dem "Aaaahfangs-Lied", das auf Pfälzisch den Zweck des Abends zusammenfasst: "Egal was mer trinken, awwer singe muss soi". Wildfremde Menschen singen und lachen zusammen. Die Männer in der Rheinschänke sprechen das Intro zu Tom Dooley, dann "werd die Wutz geschlacht", gefolgt von "Über sieben Brücken musst Du gehn". "Weiße Rosen aus Athen" und der "Kriminal-Tango" wechseln sich ab mit irischen Kneipenliedern, Beatles- oder Denver-Songs. "Das klingt schee!" - Lob vom Meister. Auch für die "Eier-Schüttel-Gruppe", die den Rhythmus gekonnt aufgreift. Fehlende Textsicherheit wird durch Inbrunst ausgeglichen. Und wenn die Stimme mal in den Höhen versagt, auch kein Problem: In der Masse kann man sich prima verstecken.
"Wir sind ganz sicher keine Schlagerfans", sagt Andrea, die mit Freunden drei bis vier Mal im Jahr zum Kneipensingen kommt. "Aber das gemeinsame Singen hier macht uns so viel Spaß, das zieht einen einfach rein." Spricht's und hakt sich zum Schunkeln bei ihren Nachbarn ein: Das Kufstein-Lied hat es mit sieben Stimmen auf die Liste geschafft. Es darf gejodelt werden. Zu vorgerückter Stunde geht der Abend mit "Gute Nacht, Freunde!" zu Ende. Und alle gehen mit einem Lächeln auf dem Gesicht nach Hause.
"Musik ist Therapie", sagt Jürgen Lengle. Der frühere Lehrer und Hobbymusiker aus Sondernheim weiß, wovon er spricht. Nach einem gesundheitlichen Rückschlag vor zehn Jahren kam er übers Singen wieder zum Sprechen. Am Kneipensingen, das er in den 70er Jahren in England kennengelernt hat, gefällt ihm besonders, dass es die Menschen zusammen bringt - und automatisch für gute Laune sorgt. "Ich beobachte, wie die Mundwinkel im Laufe des Abends hochgehen", schmunzelt Lengle. Und Wirtin Bärbel bringt es auf den Punkt: "Das Kneipensingen ist die einzige Veranstaltung, bei der die Gäste ihre Zeche mit einem Lächeln bezahlen".
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