Pionierkurs des DRK im Einsatz gegen Corona
Perspektiven für junge Leute
DRK. Monatelang hatten Schulen und praktische Ausbilder mit Hochdruck an der Umsetzung der neuen generalistischen Pflegeausbildung gearbeitet. In Saarlouis fieberten achtzehn angehende Pflegefachleute ihrem Ausbildungsstart am ersten April entgegen. Plötzlich war COVID-19 da. Drei Schüler der Pflegeschule am Krankenhaus Saarlouis vom DRK berichten von ihren Erfahrungen mit der neuen Ausbildung – und im Kampf gegen COVID-19.
„Natürlich waren viele von uns anfangs auch besorgt“, erzählt der neunzehnjährige Leon, der den Schritt in den Pionierkurs gewagt hat. „Um mich hatte ich keine Angst, aber meine Mutter zählt zur Risikogruppe. Auch meine Freunde haben mich mit Fragen gelöchert. Trotzdem habe ich nie in Betracht gezogen, meine Ausbildung nicht anzutreten, im Gegenteil.“ Auch für Majed stand außerfrage, seinen Teil beizutragen. „Ich habe nicht nur lange auf diese Chance gewartet, ich will auch helfen“, sagt er. „Gerade jetzt.“ Vor vier Jahren war der Dreiundzwanzigjährige aus Syrien nach Deutschland geflüchtet. „Ich habe mit YouTube deutsch gelernt, jeden Tag. Dann bin ich einem Fußballverein beigetreten, habe Freunde gefunden. Nur wenn man sich traut zu sprechen, kann man die Sprache wirklich lernen.“ Er studierte ein Semester an der HTW, doch es zog ihn immer stärker ins Krankenhaus. An drei Häusern bewarb er sich, in Saarlouis sagte er zu. „Ich fühlte mich dort sofort angenommen und angekommen.“ Am Ziel seiner Wünsche, brach COVID-19 über die Welt herein.
In der schwer getroffenen Region erarbeitete das Krankenhaus fieberhaft Konzepte, mit der Pandemie umzugehen. In der Schule wälzte das Team Möglichkeiten, pünktlich starten zu können. „Wir wollten in der Krise Verlässlichkeit bieten“, betont Schulleiterin Doris Grün. „Durch den engen Austausch zwischen uns und dem Haus konnten wir schließlich rechtzeitig eine vernünftige Lösung auf die Beine stellen.“ Zuerst in die Praxis – eine Vorgehensweise, die ungewöhnlich war. Doch unvorbereitet ins kalte Wasser geworfen wurden die Schüler nicht. „Am ersten Tag wurden wir in einer Kleingruppe über unsere Aufgabe aufgeklärt und intensiv angeleitet“, erzählt Leon. „Ich durfte ins Mobile Hygieneteam. An unserem zweiten Tag schon haben wir die Aufgabe übernommen, natürlich immer mit Anleitung.“ Das Mobile Hygieneteam als wichtiger Faktor der Schutzmaßnahmen stellt die Desinfektion sicher. Vier Wochen waren die angehenden Pflegefachmänner Leon und Majed mit dieser wichtigen Aufgabe betraut, auch kleinere Aufgaben am Patienten durften die Schüler übernehmen – für Leon ein wichtiger menschlicher Kontakt. Wenn es stressig wurde, bemühte er sich, entspannt zu bleiben. „Wir haben doch alles getan, was wir können. Wenn ich gestresst bin, überträgt sich das auf die anderen und auf die Patienten. Also habe ich mir bewusst gemacht, dass es auch eine Frage der Einstellung ist, wie sehr ich mich stressen lasse.“ Sein Fazit zum Einsatz im Hygieneteam ist positiv. „Ich bin froh, dass die Ausbildung pünktlich gestartet ist, und dann noch mit so einem tollen Orientierungseinsatz. Ich finde mich jetzt problemlos im Krankenhaus zurecht und werde auch unter Zeitdruck nie vergessen, wie wichtig Hygiene ist.“
Auch Majed ist froh, dass er in dieser Zeit da war. „Wir Schüler konnten die Schwestern entlasten“, erklärt er. Nicht nur durch die Hygiene, sondern auch mit Telefondienst und Botengängen nahmen die Schüler Druck von den stark geforderten Pflegefachkräften. Ein freundliches Wort für Patienten durfte nie fehlen. Wichtig ist Majed auch, das gelernte außerhalb des Krankenhauses weiterzugeben. Immer noch erschreckt es ihn, wie viele Menschen den Mundschutz unter der Nase tragen, an der Händedesinfektion vorbeilaufen oder Abstandsregeln missachten. „Ich sage oft: ´Mein Mundschutz schützt Sie, würden Sie bitte auch mich schützen?„ Das versteht dann jeder.“ Umgekehrt hat er beim Joggen im Wald schon älteren Menschen erklärt, dass sie allein an der frischen Luft den Mundschutz abnehmen können und sollten. „Wir lernen doch so viel fürs Leben in unserer Ausbildung. Damit können wir auch außerhalb der Arbeit helfen.“
Anders als ihre beiden Mitschüler absolvierte die siebenundzwanzigjährige Linda gerade den letzten Praxiseinsatz ihrer Krankenpflegehelfer-Ausbildung, als COVID-19 das beherrschende Thema wurde. Da sie im Ambulanten Dienst sofort geschult wurde, blieb keine Zeit für Panik. Doch dann erhielt ihre Mutter die Diagnose Krebs, begann die Chemotherapie. „Ich konnte nicht mitgehen, nicht ihre Hand halten. Zum Glück geht es ihr inzwischen besser.“ Dazu kam die Ungewissheit, ob es mit dem Anschluss an die Ausbildung zur Pflegefachfrau klappen würde. „Aber die Schulleitung hat uns beruhigt: Irgendwie würde es weitergehen.“ Bald war klar, dass die angehenden Pflegefachleute direkt in die Praxis starten würden. Linda wurde zur Unterstützung der Pflegefachkräfte eingeteilt. „Durch die KPH kannte ich das Haus und brachte Kenntnisse mit. Wir durften gleich die Grundpflege übernehmen, wurden um unsere Einschätzung zu Patienten gebeten und in neue Aufgaben eingewiesen.“ Die Erleichterung auf Station, dass trotz und gerade in der Pandemie Schüler zur Unterstützung da waren, war spürbar. In ihrem Team bemühten sich alle, weitgehende Normalität aufrecht zu erhalten. Viele der Kollegen und Kolleginnen hatten schon den Ausbruch der Schweinegrippe und des Norovirus miterlebt. An manchen Tagen schien COVID-19 weit weg. „Dann gab es die Tage, an denen ich drei Mal gerufen wurde, die Leichenbahre zur Isolierstation zu bringen“, erzählt Linda. „Das war schon heftig, da kommen Bilder von New York oder Italien hoch.“
Leon freut besonders die Wertschätzung, die er von Patienten erfahren hat und die den Schülerteams zunehmend auch von Kollegen entgegengebracht wurde. Aus seiner Sicht war dieser Einsatz eine Chance, die andere Kurse nicht hatten. „Wir sind in dieser kurzen Zeit Teil des Krankenhausteams geworden, was uns für die Praxiseinsätze einen ganz anderen Stand gibt als vorigen Schülergenerationen.“ Die drei Schüler sind sich einig, dass die Anpassung der Ausbildung an die plötzlich veränderten Bedingungen gelungen ist. In der Schule werden sie in zwei Gruppen unterrichtet, Abstands- und Hygieneregeln sind streng, die Unterrichts- und Pausenzeiten so gelegt, dass keine Begegnungen stattfinden. Als Linda zu Beginn des Theorieblocks erkrankte, stellte die Schule für sie eine Online-Lösung bereit, damit sie keine Fehlzeiten ansammelte – und damit das Examen gefährdete. „Die Lehrer haben so gekämpft, ich habe großen Respekt vor ihnen“, lobt Majed. Auch Heike Diana Wagner, Oberin des Ausbildungsträgers DRK Schwesternschaft Rheinpfalz-Saar e.V., betont: „Ich spreche ein riesiges Lob für das Schulteam und die handelnden Personen in der Praxis aus, wie sie die Corona-Situation angegangen sind.“
Leon hat sich mit den oberen Kursen viel über die Unterschiede zur bisherigen Gesundheits- und Krankenpflege unterhalten. Er hält die Struktur und Inhalte der Generalistik für sinnvoll. „Anfangs empfand ich die Theorie als etwas chaotisch, doch plötzlich war ein Aha-Moment da, als sich alles zusammengefügt hat. Das Curriculum macht deutlich, dass wir Fachkräfte sind.“ Auch Linda empfindet die intensive Ausrichtung auf medizinisch-pflegerische und soziale Inhalte als einen großen Schritt nach vorne. „In meiner ersten Ausbildung nannten die altgedienten Kolleginnen es spöttisch Aufplustern, dass wir nicht mehr Arzthelferinnen hießen, sondern Fachangestellte. Heute habe ich mehr Selbstbewusstsein und bin ehrgeiziger als mit 16, und ich finde, wir müssen uns selbst und anderen unseren Wert bewusst machen.“
Dass das Bewusstsein für diesen Wert dank COVID-19 in der Bevölkerung angekommen ist, erleben die Pflegeschüler als sehr positiv. Ob Klatschen von Balkonen, kostenfreier Durchhalte-Kaffee oder Geschenkboxen mit Nervennahrung von Unternehmen und Angehörigen, für sie zählt die Geste. „Natürlich kann ich verstehen, dass mehr Geld gefordert wird“, sagt Linda. „Aber für mich persönlich ist es noch schöner, wenn Menschen mir zeigen, dass sie meine Arbeit wertschätzen. Diese Anerkennung ist furchtbar wichtig.“ Auch für Leon hat es keinen Beigeschmack, plötzlich systemrelevant genannt zu werden. „Den Leuten wurden die Augen geöffnet. Das ist gut. Es war an der Zeit.“ Er selbst ließ sich zunächst von seinem Berufswunsch abbringen, brach schließlich das Studium ab und bewarb sich doch für die Pflege. „Mit Abi wird man schief angeschaut. Völlig zu Unrecht, denn die Ausbildung und auch die Tätigkeit sind herausfordernd.“ Schulleiterin Grün kennt viele Fälle wie Leon. „Wir erleben immer wieder, dass jungen Leuten vom Pflegeberuf abgeraten wird oder sie sich gegen ihr Herz für einen Job mit mehr Prestige entscheiden. Vielleicht müssen wir das zukünftig als ´Corona-Helden“ nicht mehr erleben.“
Majeds Freunde stellen ihm inzwischen viele Fragen zu seiner Ausbildung, besonders seine syrischen Freunde. „In Deutschland gibt es viele syrische Jugendliche, die nicht wissen, was sie mit ihrer Zukunft anfangen sollen. In den letzten Wochen haben mich drei Mädchen gefragt, ob sie vielleicht auch eine Chance hätten, in die Pflege zu gehen. Ich glaube, wir können hier gleichzeitig etwas gegen den Fachkräftemangel tun und jungen Menschen eine Perspektive aufzeigen.“ Oberin Wagner freut sich über das Engagement des jungen Mannes. „Natürlich muss jeder Bewerber die fachliche und persönliche Eignung mitbringen. Aber wir als Schwesternschaft unterstützen unsere Mitglieder auf ihrem Weg, wo wir können. Unser Schulteam leistet hier großartige Arbeit. Und wenn wir einen Schüler wie Majed haben, der etwas bewegen will, dann fördern wir dies sehr gern.“
Alle drei Pflegeschüler sind nach den ersten Monaten überzeugt, die richtige Wahl getroffen zu haben. „Ich will im Krankenhaus bleiben, nachdem ich es jetzt endlich hierher geschafft habe“, lacht Majed. „Aber ich weiß gut, dass das Leben manchmal überraschende Wendungen nehmen kann, deshalb bin ich froh über die vielseitigen Möglichkeiten meiner Ausbildung.“ Linda ist stolz, dass sie den Mut gefunden und sich beruflich verändert hat. „Ich war unsicher, ob ich noch lernen kann, deshalb erstmal die KPH“, erklärt sie. „Aber immer mit dem Ziel, weiterzumachen. Ich hatte Hunger auf mehr. Von der Ausbildung bin ich begeistert, allein schon der Umgang mit uns Schülern, die Praxisnähe und spannenden Themen.“ Leon wird ganz ernst, wenn er darüber spricht, angekommen zu sein. „Ich bin komplett verliebt in meinen Beruf. Wenn mal was nicht so läuft, erinnere ich mich daran, dass ich das für mein ganzes Leben machen werde – mir stehen alle Möglichkeiten offen, und das bei sehr hoher beruflicher Sicherheit. Vor allem gehe ich mit einem Lächeln hin und wieder heim.“
Einer möglichen zweiten Corona-Welle sehen die angehenden Pflegefachleute ruhig entgegen. „In diesem Beruf hat man natürlich mit Krankheiten zu tun“, stellt Majed fest, und Leon stimmt zu: „Es ist nicht die erste und wird nicht die letzte Pandemie sein.“ Für leichtsinniges Verhalten in der Bevölkerung haben sie dennoch kein Verständnis. Linda hofft angesichts der wieder steigenden Infektionszahlen auf mehr Einsicht für Hygiene- und Abstandsregeln, fühlt sich aber gewappnet für den Ernstfall. „Ich tue mein Möglichstes und das ruhig. Alles andere hilft doch niemandem.“ Dann ergänzt sie leise: „Aber die Betroffenheit, wenn jemand monatelang bei uns war und es dann doch nicht mehr nach Hause schafft, die wird wohl immer bleiben.“ ps
Autor:Markus Pacher aus Neustadt/Weinstraße |
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