Sprengung war nicht möglich:
Waghäuseler „Wahrzeichen“ werden jetzt plattgemacht

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Waghäusel. Tag für Tag gehen die Abrissarbeiten an den beiden ehemaligen Zuckersilos zügig voran. Ein Bagger mit einer Abrissbirne schlägt quasi im Takt auf die etwa 53 Meter hohen und rund 35 Meter dicken Türme ein. Neben der Eremitage stehen momentan nur noch Ruinen, bald werden auch diese plattgemacht sein.
Im Gegensatz zu den beiden Kühltürmen in Philippsburg sind die Waghäuseler Silos mit einer Außen- und mit einer Innenwand ausgestattet. Auch haben sie einen Betondeckel. Eine spektakuläre Sprengung wie die der Kühltürme wäre also nicht möglich gewesen.
Jetzt freut sich die eine Hälfte der Bevölkerung über die Beseitigung der beiden ausgedienten Betonklötze, die andere Hälfte bedauert die Demontage der, wie sie meinen, Industriedenkmale und Wahrzeichen: So das Ergebnis einer Umfrage in Waghäusel. Mit genau 53,5 Metern haben sie deutlich die Kirchtürme in Wiesental und Kirrlach überragt.
Die Philippsburger „Zwillinge“ sind inzwischen verschwunden, jetzt werden die zwei Waghäuseler Zuckersilos verschwinden: in Form eines konventionellen Abrisses - und das zum 50. „Geburtstag“ der bislang weithin sichtbaren Kolosse.
Seit Anfang Mai sind die Arbeiten im Gange. Vor einem halben Jahrhundert hat der Baukonzern Philipp Holzmann, seinerzeit in der Presse als „Weltunternehmen“ bezeichnet, die Türme aus Stahlbeton errichtet.
Von einem „historischen Ensemble“ oder von einem „Waghäuseler Denkmal“ kann daher - zumindest altersmäßig – keine Rede sein. Ganz im Gegensatz zum nahen Schlösschen mitsamt den drei übrig gebliebenen Kavaliershäusern, das von der neuzeitlichen Errungenschaft fast erdrückt wurde. Die Eremitage in Waghäusel hat Fürstbischof Damian Hugo Philipp von Schönborn 1724 als barockes Jagd- und Lustschloss bauen lassen.
Mehr oder weniger romantische Vorschläge zur Verwendung der ausrangierten „Zwillinge“, auch von allerlei Künstlern, gab es bis zuletzt, von Hotel bis Aussichtsturm und Kino, doch keinen betuchten Investor, der Geld in die alten Zuckertürme stecken wollte.
1967 tauchten die ersten konkreten Überlegungen zum Bau der zwei Silos auf. Von 1967 bis 1971 wurde die zunächst von einer Stilllegung bedrohte Zuckerfabrik ein weiteres Mal modernisiert. Über vier Jahre erstreckten sich die Umbau- und Neubaumaßnahmen auf dem Gelände. 1968/69 verschwanden einige Fabrikgebäude, die noch aus dem 19. Jahrhundert stammten. Der offizielle Bauantrag für die Zuckersilos datiert von 1968.
Was nur Wenige wissen: Die zwei Waghäuseler Silos sind eigentlich vier Silos. Jedes Silo mit 34,5 Meter Durchmesser hatte innen noch ein zweites Silo mit 21 Meter Durchmesser. Das war für die Stabilität und die Dachdecke notwendig.
Recht unerwartet und überraschend für die Stadt Waghäusel hatte im Juli 1994 der Aufsichtsrat der Südzucker AG beschlossen, die Fabrik in Waghäusel mit dem Ende der Kampagne 1995 stillzulegen. Nach 158 Jahren Produktion wurden die Maschinen abgestellt und die Tore der Zuckerfabrik für immer geschlossen.
Nach längeren und vor allem zähen Verhandlungen kaufte die Stadt Waghäusel 1997 das 41 Hektar große Areal mit allen Gebäuden - und damit auch die Eremitage, das Schlösschen mit den Kavaliershäusern, zum symbolischen Preis von einer Deutschen Mark. Dafür musste sie sämtliche Altlasten und anfallenden Sanierungen übernehmen.
Bei der Kommunalwahl 2009 kam erstmals die Forderung nach einem Abriss der beiden Kolosse auf, um damit auch rund 11.000 Quadratmeter neue Gewerbefläche nutzbar zu machen. Seitdem beherrscht das Thema die politische Diskussion – bis heute. Dass es nach einem langwierigen Hin und Her jetzt zum Aus kommt, reklamieren mehrere Fraktionen für sich.
Doch so richtig Druck machte in den Anfangsjahren keine, sie begnügten sich 2013 mit einer „Prüfung“. Mehrere Initiativen liefen ins Leere. Als „Einzelkämpfer“ sammelte Stadtrat Roland Liebl im Januar 2015 die notwendigen Unterschriften für einen fraktionsübergreifenden Antrag.
Dieser fand letztlich eine Mehrheit im Gremium. Doch wenige Tage später ließ zur großen Überraschung aller das Rathaus wissen, eine Vertragssituation sei übersehen worden. Auf dem 52 Meter hohen Elevator der Silos befinden sich Antennen von Mobilfunkanbietern mit einer Vertragsdauer bis Ende 2022. Die Verzögerung endete zum 31. Dezember 2019, als beide Funkunternehmen freiwillig ihren Standort aufgegeben.
Was waren die Anfänge? Im Großherzogtum Baden wurde 1836 Carl Sebastian Schuzenbach gestattet, sein Verfahren zur Zuckergewinnung in einer Fabrik einzusetzen. Ein Jahr später, 1837, kaufte die neu gegründete „Badische Gesellschaft für Zuckerfabrikation“ die rund 13 Hektar große Schlossanlage vom badischen Staat und errichtete hier das regional bedeutsame Werk, das den Namen Waghäusel so bekannt machte. In die deutsche Geschichte eingegangen ist die Entscheidungsschlacht der Badischen Revolution von 1849 vor und hinter den Fabrikmauern.
In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich die Produktionsstätte zum größten Industrieunternehmen im Großherzogtum Baden. 1914 ist die Rede von der „modernsten Zuckerfabrik“ Deutschlands. Zeitweise verdienten dort mehr als 1.000 Arbeiter ihren Lebensunterhalt, zuletzt arbeiteten dort 95.
Schon lange vor der Schließung 1995 war Waghäusel ein gefährdeter „weicher“ Standort. Die deutsche Wiedervereinigung 1989 beschleunigte mit der Übernahme von 14 Zuckerfabriken im Osten den Prozess der Produktionsaufgabe.
Nach jüngstem Stand soll der Abriss 1,2 Millionen Euro kosten. „Ohne die Beseitigung wären eine Reduzierung der Fördersumme und eine hohe Zurückzahlung von bereits ausgezahlten Fördergeldern fällig geworden“, bemerkt Stadtrat Liebl. „Denn der Abbruch der Silos gehörte zum eingereichten Förderantrag. Es ist billiger, sie abzureißen als sie stehen zu lassen.“
Bei einer Ausstellung des Heimatvereins zur Erinnerung an die Schließung der Zuckerfabrik 1995 betonte Oberbürgermeister Walter Heiler, dass die Stadt bislang rund 21 Millionen Euro das überlassene Südzuckergelände ausgegeben habe. Vier weitere stehen noch an, so dass sich eine Gesamtausgabe von rund 25 Millionen ergibt. Die Fördermittel machen etwa 50 Prozent aus.

Autor:

Werner Schmidhuber aus Waghäusel

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