Autismus - Wenn Kontakt mit Menschen schwierig ist
Manche können keinen Blickkontakt halten. Manche ertragen keinerlei Berührung von anderen Menschen. Autisten nehmen die Welt auf ihre ganz eigene Art wahr. Und so gehen sie auch mit ihrem Umfeld um. Doch was ist eigentlich Autismus? Wie sieht ein Leben mit der Krankheit aus? Aleksander Knauerhase will darüber aufklären und das Bewusstsein für die Bedürfnisse von Menschen mit Autismus schärfen. Dabei spricht er zu 100 Prozent aus Erfahrung, denn er ist selbst Autist. Anlässlich des Welt-Autismus-Tags am Dienstag, 2. April, hat Wochenblatt-Redakteurin Cynthia Schröer mit Knauerhase über Symptome, seine Erfahrungen mit der Beeinträchtigung und über den Umgang mit ihr gesprochen.
???: Sie haben mit 35 Jahren selbst die Diagnose Autismus erhalten. Wie kam es dazu?
Aleksander Knauerhase: Autistische Kinder merken oft von klein auf, dass sie sich anders fühlen. In dem Alter können wir das aber nicht verständlich verbalisieren oder gar beschreiben. Das Gefühl ist also schon sehr früh vorhanden. Mitte der 90er-Jahre mit der Einführung der Diagnose Asperger-Syndrom war ich bereits erwachsen. Der diagnostische Fokus lag damals aber bei Kindern. Als erwachsener Mensch ist man da schnell aus dem Blickwinkel gefallen. So ging es mir, wie es auch vielen Erwachsenen heute noch geht: Wir sind unter Umständen autistisch, haben aber noch keine Diagnose bekommen. Die Vermutung, autistisch zu sein, hatte ich schon viele Jahre vor der Diagnose. Mit 35 war allerdings mein Leidensdruck so groß, dass ich die Frage „Was ist los mit mir?“ abgeklärt haben wollte. Meine Diagnose wurde dann in der Spezialambulanz für Erwachsene in Freiburg gestellt.
???: Wie haben Sie und Ihr Umfeld die Diagnose aufgenommen?
Knauerhase: Für mich war es eine Erleichterung. Ich hatte endlich einen „Namen“ und eine Erklärung, warum ich so bin, wie ich bin. Das kippte aber kurze Zeit nach der Diagnose, als ich realisierte, was andere Menschen womöglich über mich denken. Autismus ist auch heute noch leider mit vielen Vorurteilen und Klischees behaftet. Mein Umfeld nah die Diagnose gut auf. Ich hatte das Glück, dass diejenigen, denen ich es sagte, positiv damit umgegangen sind.
???: Das Symptomfeld ist sicherlich breitgefächert. Welche Symptome treten noch häufig auf, außer die, die Sie selbst hatten?
Knauerhase: Dafür müsste ich wahrscheinlich alle irgendwie möglichen Symptome aufzählen. Autismus ist so individuell ausgeprägt, dass er sich bei jedem Menschen anders zeigt. Das kann auch in unterschiedlichen Lebensphase bei einem Menschen anders sein. Generell kann man vom sogenannten Diagnosetrias sprechen, den alle autistische Menschen gemeinsam haben. Das sind wesentliche Einschränkungen in den folgenden drei Bereichen des Lebens: soziale Kommunikation, soziale Interaktion und „repetitive Verhaltensweisen, Interessen oder Aktivitäten“.
???: Wieso wurde die Beeinträchtigung bei Ihnen erst mit 35 Jahren festgestellt?
Knauerhase: In meiner Kindheit und Jugend war das Asperger-Syndrom noch keine Diagnose und für frühkindlichen Autismus war ich zu wenig auffällig, da ich zum Beispiel auch keine Sprachentwicklungsverzögerung hatte. Autismus ist eine angeborene neurologische Entwicklungsstörung und zeigt sich in den meisten Fällen symptomatisch, typischerweise in dem Altersbereich zwischen zwei und fünf. Für die Diagnose Autismus ist es zwingend notwendig, dass die Symptome auch schon im Kindesalter sichtbar waren. Wer diese erst als Erwachsener bekommt, kann per Definition nicht autistisch sein.
???: Was genau ist Autismus?
Knauerhase: Autismus zählt zu den neurologischen Entwicklungsverzögerungen und ist davon abgegrenzt keine psychische Störung. Stand der Wissenschaft ist, dass es sich um eine genetisch bedingte, aber nicht zwingend vererbliche Behinderung handelt. Die vermutlich andere Entwicklung in einzelnen Bereichen des Gehirns durch Autismus führt zu vielfältigen Besonderheiten. Das betrifft einerseits die Vernetzung einzelner Gehirnbereiche, hat aber wohl auch Einfluss auf biochemische Vorgänge im Gehirn.
???: Wie nehmen Autisten ihre Umwelt wahr? Was genau hält sie von einem „normalem“ Umgang mit anderen Menschen ab?
Knauerhase: Sehr kurz und vereinfacht gesagt ist es so, dass autistische Menschen sehr viel mehr Reize und Informationen in den bewussten Teilen des Gehirns verarbeiten müssen. Dies ist im Gegensatz zu der nichtautistischen Art der Wahrnehmungsverarbeitung energie- und zeitaufwendig. Bei nichtautistischen Menschen werden diese Informationen größtenteils hochautomatisiert unbewusst im Gehirn verarbeitet. Das hat zur Folge, dass autistische Menschen mit der ganzen Reizflut, die um uns alle herrscht, wesentlich schlechter zurechtkommen. Nichtautisten blenden das einfach aus und bemerken deshalb nicht, wie reizintensiv und laut unsere Gesellschaft und Welt ist. Und wenn sie es merken, können sie sich nicht vorstellen, wie heftig das im Vergleich bei autistischen Menschen ist.
???: Wie geht man am besten mit Autisten um?
Knauerhase: Wie mit allen anderen Menschen auch. Ich rate meinen Seminarteilnehmenden immer die Schublade mit der Diagnose zuzumachen und nur eine Schublade im Umgang mit anderen Menschen aufzumachen: die Schublade Mensch. Seht und akzeptiert den individuellen Menschen mit seinen Wünschen, Bedürfnissen und Problemen. Wer nur Diagnosen sieht, wird dem Menschen nicht gerecht.
???: Was raten Sie Autisten?
Knauerhase: Denkt immer daran: Ihr seid gut so, wie Ihr seid! Autistische Menschen sind nicht falsch, gestört oder defekt. Wir sind nur anders. Findet Strategien und Lösungen, wie Ihr in der uns umgebenden nichtautistischen Welt zurechtkommen könnt.
???: Welche Hilfsmöglichkeiten gibt es für Autisten (Ratgeber, Selbsthilfegruppen, Gruppentherapien)?
Knauerhase: Ratgeber sehe ich immer sehr kritisch. Da jeder autistische Mensch anders ist, finden sich dort zwar viele allgemein klingende Tipps, die aber unter Umständen nichts in der Praxis bewegen. 100 Tipps für Berufsgruppe X sind also oft 100 Tipps für den Papierkorb.
Das Angebot an Unterstützungsstrukturen ist leider regional sehr unterschiedlich. Deutschland ist beim Thema Autismus in vielen Regionen leider noch eine Karte mit sehr vielen weißen Flecken.
Der Autor, Referent und Trainer Alexander Knauerhase ist am Freitag, 5. April, in Kaiserslautern zu Gast:
Unter dem Motto „Perspektivwechsel Autismus – gemeinsam Brücken bauen“ veranstaltet die autismusspezifische Beratung und Förderung Erwachsener des ökumenischen Gemeinschaftswerks Pfalz einen Tag zum Thema Autismus am Freitag, 5. April, von 13 bis 17 Uhr im Unionkino Kaiserslautern. Knauerhase wird dort einen Vortrag halten. Außerdem wird ein Film gezeigt, eine Autobiografie einer Autistin. Die Mitarbeiter der Beratungsstelle informieren über das Angebot und beantworten Fragen rund um das Thema Autismus.
Autor:Cynthia Schröer aus Landstuhl |
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