5. Meile der Religionen in der Mannheimer Innenstadt - Dr. Esther Graf und Talat Kamran im Interview
Gebete und Gastmahl für die gemeinsame Verständigung

Dr. Esther Graf.  foto: felix Riehm
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Mannheim. Wieder einmal lud das Forum der Religionen zur Meile der Religionen auf den Mannheimer Marktplatz ein. Das Fest des Miteinander und des Friedens fand bereits zum fünften Mal statt. Die erste „Meile der Religionen“ fand 2007 anlässlich des 400. Geburtstags der Stadt Mannheim statt.

Insgesamt 51 Gruppierungen aus ganz Mannheim deckten die insgesamt 91 Tische: An 29 Tischen laden katholische Gemeinden ein, an 23 evangelische, an 14 ökumenische Gruppe, an 13 muslimische Gemeinden, an elf Tischen Alt-Katholiken und Griechisch-orthodoxe, Aleviten, Jüdische Gemeinde, die Neuapostolische Kirche, die polnische Gemeinde sowie Einrichtungen wie beispielsweise das katholische Ursulinen-Gymnasium, das ökumenische Bildungszentrum sanctclara sowie der muslimische Verein für soziale Dienste Duha. Alle Beteiligten waren auch schon bei einer der letzten Meilen dabei. Eröffnet wurde die Meile mit einem Gebet vor der Kirche St. Sebastian. Entlang der alten Kirchenstraße war dann an dem von Juden, Christen, Muslime und Aleviten gedeckten langen Tisch Zeit für Gespräche und Begegnungen. Um 20 Uhr endete die Meile mit einem Dankgebet auf dem Marktplatz.

Das Wochenblatt sprach mit Dr. Esther Graf, Pressereferentin der Jüdischen Gemeinde und Mitwirkende der Meile der Religionen sowie Talat Kamran, Leiter des Mannheimer Instituts für Integration und Interreligiösen Dialog über die Veranstaltung sowie die gesellschaftliche Notwendigkeit und Schwierigkeit des gemeinsamen Miteinanders in einer immer globaleren Weltordnung.
???: Welche symbolische Kraft haben für Sie die Worte „Meile der Religionen?
Dr. Esther Graf: Verständigung und Weltfrieden
Talat Kamran: Religionen gehen miteinander. Sie sind nicht Rivalen, sondern ergänzen sie sich. Denn es gibt nur eine Weisheit, die sich in unterschiedlichen Epochen und Orten offenbart hat. Hinter den religiösen Offenbarungen steht die göttliche Weisheit, die ein und dieselbe ist. Wir Menschen sind alle in einem Boot und gehen zusammen. Meile der Religionen symbolisiert es.
???: Alle miteinander und alle in Frieden – erweist sich das nicht oftmals als eine Utopie?
Graf: An dieser Stelle halte ich es mit dem ersten Ministerpräsidenten Israels, David Ben-Gurion: „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist“.
Kamran: „Alle Miteinander und alle in Frieden“ ist keine Utopie. Es ist unser Ziel. Wir sollten danach trachten. Nichts kommt von selbstverständlich. Wir müssen es wollen und uns Mühe geben, es zu erreichen. Der Mensch hat eine wunderbare Kraft in sich, mit der er alles schaffen kann. Es braucht eine Bewusstseinsumwandlung. Das wird kommen.
???: Wir leben im 21. Jahrhundert und haben eigentlich eine aufgeklärte Gesellschaft – sollte man meinen. Aber ist es nicht so dass offene Türen immer öfters zugehen und Ablehnung und Vorurteile überhand nehmen?
Graf: Der erstarkende Rechtspopulismus verhindert leider das Abbauen von Vorurteilen und verstärkt eine negative Sicht auf alles, was sie als „fremd“ bezeichnen - einerseits. Andererseits erfahren wir als jüdische Gemeinde viel Solidarität.
Kamran: Ja, das ist so. Aber es hat damit zu tun, dass die menschliche Entwicklung nicht immer kumulativ ist. Es geht spiralförmig. Hoch und runter. Das sind die Phasen und Bewegungen im menschlichen leben. Es ist wie ein Rad, es dreht sich aber es geht immer weiter.
???: Wie sehen Sie diese oftmals fremdenfeindliche Entwicklung speziell in Deutschland?
Graf: Diese Entwicklung macht uns Sorge, wird doch die Spaltung der Gesellschaft offenbar zwischen jenen, die eine vielfältige Gesellschaft wollen mit Menschen aus vielen Nationen und jenen, die dies nicht wollen und Fremdenfeindlichkeit verbreiten. Aktionen wie die Meile der Religionen sind vor diesem Hintergrund so wichtig, weil wir - Juden, Christen und Muslime, die wir gerne in einem demokratischen Deutschland leben- damit zeigen können, dass wir uns nicht auseinander dividieren lassen.
Kamran: Die Nazi-Zeit belastet Deutschland sehr. Das können wir nicht verneinen. Im Westen wurde eine gute Arbeit und Aufklärung dagegen geleistet. Leider aber nicht in der kommunistischen Zeit in Ost-Deutschland. Das macht uns Schwierigkeiten. Manche Entwicklungen frustrieren uns und bereiten uns Angst. Wir, mit „wir“ meine ich die demokratischen und humanistischen Menschen, müssen äußerst wachsam sein, damit es nicht kippt. Das erfordert viel Kraft. Dennoch will ich fair sein, und muss sagen, dass die fremdenfeindliche Haltung nicht deutschlandspezifisch ist. Wir sehen diese Haltung leider überall. Das hat mit unserer egozentrischen Haltung zu tun. Die moderne und postmoderne Zeit ist sehr individualistisch und egozentrisch. Liebe, Harmonie und Schönheit zählt heute in vielen Gesellschaften nicht mehr. Vieles wird nur mit Geld bewertet. Das ist schlimm. Und das ist nicht deutsch, sondern menschlich.
???: Wie positiv beurteilen Sie die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Gruppierungen in Mannheim in den vergangenen Jahren?
Graf: Die Zusammenarbeit steht auf soliden Füßen und sollte weiter verstärkt werden.
Kamran: Hervorragend. Mannheim ist ein Vorreiter. Wo finden wir eine große Moschee und eine Kirche in derselben Straße? Und 300 Meter entfernt ist die schöne Synagoge. Und die Hafenkirche ist nicht weit. Alles auf engem Raum friedlich miteinander seit 25 Jahren. Das ist einmalig mitten in Europa. Wir haben in Mannheim 163 Nationen, die seit Jahrzehnten hier friedlich in guten Beziehungen leben. Und die Stadt Mannheim unterstützt es. Wie auch die Bevölkerung. Hier in Mannheim herrscht der Kurfürsten-Geist. Offen und direkt.
???: Was macht Mannheim als vielfältige und interreligiöse Stadt lebenswert?
Graf: Wir pflegen in Mannheim ein friedliches Miteinander und gutes Nebeneinander. Die Vielfalt der Nationen macht das Flair der Stadt aus.
Kamran: Die Stadt Mannheim hat ein Raum geschaffen. Dieser Raum ist erfüllt mit Respekt, Offenheit und Verständnis füreinander. Unsere Bemühungen für ein friedliches Miteinander werden honoriert und unterstützt, sei es durch ehrenamtliche Arbeit der Bewohner, oder sei es durch die Unterstützung der Stadt Mannheim. All das macht Mannheim für uns ein Zuhause.
???: Sehen Sie in der zunehmenden Globalisierung, eine drohende Gefahr und was kann man tun für mehr friedliches Miteinander?
Graf: Ich sehe in der Globalisierung keine zunehmende Gefahr, weil sie sehr viele Chancen birgt. Ich sehe eine Gefahr in den panikmachenden Medien, die leider lieber oft das Gegeneinander schüren als das friedliche Miteinander fördern.
Kamran: Ja, Globalisierung kann eine Gefahr werden. Wie auch Materialismus und Kommerzialisierung , wenn sie übertrieben und einseitig werden. Wir müssen Materialismus nicht ablehnen, akzeptieren, aber gleichzeitig einen Gegenpol schaffen. Materialismus und Finanzen sind nicht alles. Wie auch rationales Denken nicht alles ist. Wir müssen auf der Herzensebene arbeiten. Das Herz sollte stetig kultiviert werden. Das kann über die Herzensbildung in der familiären und schulischen Erziehung klappen. Herzensbildung ist A und O, was leider in vielen Bereichen fehlt. Daran müssen wir noch arbeiten.
???: Warum schafft es Glaube, Überzeugung und positives Denken in der Welt der politischen Staatsmänner nicht eine ähnliche starke Wirkung zu erreichen wie Fanatismus und Verbohrtheit für Unfrieden und Gefahr auf dieser Welt sorgen?
Graf: Das ist eine höchst philosophische Frage, die ich nicht beantworten kann. Eine mögliche Erklärung, die ich, glaube ich, von Cem Özdemir gehört habe: unsere Welt ist durch die Globalisierung und den technischen Fortschritt sehr komplex geworden und dann gibt es welche, die auf komplizierte Fragen einfache Antworten geben und damit die Massen erreichen und teilweise auch beeindrucken.
Kamran: Viele von uns wirken und handeln ohne Glaube und Überzeugung. Vieles was gesagt wird sind nur Floskeln und bloße Lippenbekenntnisse. Der Mensch glaubt nicht richtig; er hat keine Überzeugung. Positives Denken wird als Naivität betrachtet. Argwohn ist im Vordergrund. Kein Vertrauen zu Anderen. Zuviel Ichbezogenheit im Vordergrund. Unsere Erziehung muss modifiziert werden. Wir brauchen eine neue spirituelle, offene, liebevolle Erziehung, aber keine egozentrische. Wir müssen aber bei uns selbst anfangen. Nicht die Anderen ändern, sondern uns selbst verbessern. Fanatismus kommt nicht vom Himmel. Das ist unsere Einstellung. Das kann geändert werden. Wer die Welt und Menschen positiv ändern will, soll bei sich anfangen und an sich arbeiten. Wenn das jeder tut wird es wirklich besser.
???: Halten Sie die sozialen Medien für eine riskante Plattform und was glauben Sie ist die beste Möglichkeit friedliche Botschaften in unserer Welt kundzutun?
Graf: Soziale Medien sind wegen ihrer Schnelligkeit und ihres Wirkungsgrades sensible Plattformen, die eine klare juristische Handhabung brauchen, um Hassbotschaften so schnell wie möglich von dort zu entfernen. Andererseits sind sie als schnelle Medien mit hohem Wirkungsgrad die idealen Medien, um friedliche Botschaften zu verbreiten. Wir sollten dies nur viel mehr für positive News nutzen.
Kamran: Ja und nein. Es ist wie ein Messer. Man kann mit dem Messer sich selbst schneiden und weh tun, oder es kann uns helfen. So ist es mit sozialen Medien. Wir müssen lernen, es für die guten Zwecke zu nutzen.
Selbst Beispiel zu werden. Die gute, positive Eigenschaften Idealisieren, sich bemühen, diese gute Eigenschaften in uns zu entdecken. Ich sage entdecken, denn Liebe, Harmonie und Schönheit sind ständig in unserer Herzensebene vorhanden. Es muss nur entdeckt werden. Der Mensch hat eine großes und wunderbares spirituelles Potenzial. Das innere spirituelle Potenzial soll entdeckt werden und sich entfalten. Dafür gibt es viele Wege und wir können es schaffen. Hoffnung, Offenheit, Geduld und Ausdauer brauchen wir alle. (pete)

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Autor:

Peter Engelhardt aus Mannheim

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