Filmplakate 1953-74
Plakatkunst und Filmerlebnisse in der neuen Ausstellung des Kunsthauses

Foto: © Beate Fehrecke, Hannover
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Farbenfroh und vielseitig startet das Kunsthaus Göttingen am Freitag abend mit seiner neuen Ausstellung „Filmplakate 1953-74. Zwischen Mainstream und Avantgarde“ ins neue Jahr. Auf drei Etagen widmet sie sich mit Plakaten und Filmausschnitten der 1950er bis 70er Jahre drei entscheidenden Filminstitutionen, bzw. Werbegestaltern, die eng mit dem Aufbruch und der Entwicklung der Filmindustrie im Nachkriegsdeutschland zusammenhängen und diese widerspiegelt: Neue Filmkunst Walter Kirchner (Göttingen), Atlas Filmverleih (Duisburg), KarlHeinz Fehrecke (Göttingen).
René Grohnert, Leiter des Deutschen Plakatmuseums im Museum Folkwang, hat als Gastkurator diese Schau konzipiert und ins Kunsthaus gebracht – „die erste Plakatausstellung, die im Kunsthaus zu sehen ist!“ freut er sich. Dass sie hier gezeigt wird, hat einen besonderen Charme, denn sowohl die Neue Filmkunst Walter Kirchner als auch das Atelier für Gebrauchsgrafik von K.H. Fehrecke waren in Göttingen ansässig. Ein Stück Göttinger Filmgeschichte scheint auf.

Mit den Exponaten von Kirchner im Erdgeschoss und Atlas im 1. OG stehen sich zwei Firmen gegenüber, die – gleichzeitig an verschiedenen Orten wirkend – die Aufgabe verfolgten, Weltkino mit Stars wie Grace Kelly, Alain Delon oder Charlie Chaplin nach Deutschland zu holen. Die Filmplakate, die das wichtigste Werbemedium dieser Zeit waren, zeugen dabei von dem Balanceakt zwischen avantgardistischen Ideen und Mainstream. Die Gestaltungen von K.-H. Fehrecke runden dies im 3. Geschoss mit Plakaten ab, die das Streben nach Sorglosigkeit und „Heiler Welt“ in den Wirtschaftswunderjahren bedienten. Ergänzende Filmausschnitte und Trailer zu den in den Plakaten beworbenen Filmen verwandeln nebenan den Kabinettraum in ein kleines Kino.

Das Begleitprogramm startete zum Wochenende mit einer kostenfreien Kuratorenführung mit René Grohnert und dem Kinderworkshop „Dein Leben-dein Plakat“ in welchem das junge Publikum eigene Filmplakate entwerfen konnte. Darüber hinaus gibt es im Rahmen der Ausstellung Aktionstage mit dem nahe gelegenen Programmkino Méliès. Am 9.2. und am 25.3. werden unter dem Titel „Méliès in Residence“ Filme gezeigt, die auch im Kunsthaus mit Plakat vertreten sind, gekoppelt mit Vortrag oder Ausstellungs-Führung. „Wir freuen uns, mit dieser Kooperation Filmerlebnis und Plakatkunst zu verbinden und wieder spannende Synergieeffekte zwischen Göttinger Kultureinrichtungen herzustellen.“ So die Geschäftsführerin Dr. Dorle Meyer.
Informationen zum Begleitprogramm finden Sie unter: kunsthaus-goettingen.de

Daten zur Ausstellung
Laufzeit: 21. Januar – 16. April 2023
Öffnungszeiten: Fr-So, 11-18 Uhr & Do 15-18 Uhr

Filmplakate 1953-74. Zwischen Mainstream und Avantgarde
Neue Filmkunst Walter Kirchner Göttingen, 1953–1974
Atlas Filmverleih Duisburg, 1960–1966
Karl-Heinz Fehrecke 1913–1994

Neue Filmkunst Walter Kirchner Göttingen, 1953–1975

»Der 1953 in Göttingen gegründete Verleih ›Neue Filmkunst Walter Kirchner‹ war für das bundesdeutsche Kino in der Nachkriegszeit, was Rowohlts Rotations-Romane für das literarische
Leben nach dem Zweiten Weltkrieg waren. So wie ›rororo‹ die Weltliteratur nach Deutschland zurückbrachte, machte die Neue Filmkunst die Westdeutschen mit dem Weltkino bekannt.«*

Walter Kirchner (1923–2009) leitete seit 1947 den Filmklub an der Göttinger Universität. Schon hier zeigte sich in seiner Filmauswahl, dass es ihm um die Popularisierung von Filmkunst ging. So ist es ihm nicht nur zu verdanken, dass die Filmavantgarde der 1920er und 1930er Jahre wieder aufgeführt wurden, sondern auch, dass er deutsche Erstaufführungen neuer Entwicklungen im Film z.B. aus Frankreich, Italien oder Großbritannien ermöglichte. Auch engagierte sich die Neue Filmkunst für den Autorenfilm. Kirchners Lupe-Kinos wurden zum Mekka der Cineast:innen.
Bekanntheit erlangte Kirchners Arbeit auch durch wegweisende Plakate von u.a. Hans Hillmann (1925–2014), Isolde Baumgart (Monson-Baumgart; 1935–2011) und Jan Lenica (1928–2011). Des Weiteren wurden zu zahlreichen Filmen sowohl inhaltlich als auch gestalterisch aufwändige Programmhefte angeboten.

1974 geht Kirchner mit seinen Kinos und dem Filmverleih bankrott. Zwei Jahre später gründet er die Lupe GmbH und verwertet die bei ihm noch bestehenden Filmrechte. Zeitweise tritt er wieder als Verleiher für mehr als 200 Filmtitel auf und betreibt noch einzelne Kinos. Nach dem Tod von Walter Kirchner wird dann im Jahre 2010 die Firma im Handelsregister gelöscht, und ein Kapitel verdienstvoller bundesdeutscher Kinogeschichte geht endgültig zu Ende.

Atlas Filmverleih Duisburg, 1960–1966
Die Atlas-Firmengeschichte begann 1946 in Münster, wo Hanns Eckelkamp (1927–2021) in den Räumen des elterlichen Restaurants die »Gertrudenhof-Lichtspiele« eröffnete. Im zerstörten Münster machte sich das Kino schnell einen Namen. Das Programm begann mit Mainstreamfilmen und leichter Kost, entwickelte sich aber nach und nach in Richtung Filmkunst. 1954 expandierte das Unternehmen nach Duisburg, wo sich die Gelegenheit ergab, einige Kinos zu übernehmen. Im Laufe weniger Jahre betrieb Eckelkamp zwölf Kinos. 1960 erwarb Eckelkamp die Rechte für 12 Uhr mittags – High Noon und gründete aus diesem Anlass den Atlas-Filmverleih. Ein Achtungserfolg in finanzieller Hinsicht und die Aufmerksamkeit durch die Presse kennzeichneten einen bundesweit gelungenen Start. Weitere, zu unrecht in Vergessenheit geratene Filme – heute Klassiker der Filmgeschichte – wurden durch Atlas einem breiteren Publikum auf neue Weise zugänglich gemacht. Ob Western oder Komödien, Gangsterfilm oder Filme von künstlerischem Rang, alle fanden eine neue Einordnung.

Mit dem Film Das Schweigen von Ingmar Bergman, der 1964 in die Kinos kam, eröffnete sich ein neuer finanzieller Spielraum. Unter anderem zahlreiche Skandale im Vorfeld um einige ›Sexszenen‹ bescherten dem Film rund vier Millionen Besucher:innen. Der Atlas-Filmverleih war nun ein, auch finanziell, erfolgreiches Unternehmen. Dazu trug auch die ungewöhnliche Werbung bei. Anzeigen, Programmhefte, vor allem aber Plakate sorgten nicht nur für eine inhaltliche, sondern auch für eine visuelle Positionierung, denn der Anspruch an die Filme sollte sich natürlich auch dort wiederfinden. Gestalter wie Heinz Edelmann (1934–2009), Karl Oskar Blase (1925– 2016), Hans Hillmann (1925–2014), Rambow+Lienemeyer (Gunter Rambow, *1938 und Gerhard Lienemeyer, *1936), Günther Kieser (*1930), Jan Lenica (1928–2011), vor allem aber Fritz Fischer (1908–1999) und Dorothea Fischer-Nosbisch (1921–2009) prägten den öffentlichen Auftritt des Atlas–Filmverleihs.

Programm und Werbung konnten unter dem Druck des neuen Mediums Fernsehen nicht bestehen. So erreichte das Kinosterben jener Jahre in der Folge auch den Atlas–Filmverleih. 1966 musste das Unternehmen aufgeben. In kleinerem Umfang startete Atlas 1967 wieder, zunächst mit einem Verleih von 16-mm-Filmen. Heute ist Atlas Film Programmlieferant für zahlreiche Programmanbieter, vom Fernsehem über DVDs bis zum Streamingdienst.

Karl-Heinz Fehrecke 1913–1994
»Für die Werbung vieler Arca-Filme wurde Karl-Heinz Fehrecke verpflichtet, der bereits seit 1949 (für den Panorama Filmverleih und NF-Film) Filmplakate entworfen hatte. Es entstanden neben den Plakaten auch Anzeigen und Programmhefte, Aushangfotos und Pressematerialien zu den Filmen. Die Produktionen sind auf großen Zuschauererfolg ausgerichtet, die Plakate müssen zu den Filmen passen – genau passen, um das Publikum richtig einzustimmen, denn das Fernsehen steckte noch in den Kinderschuhen und so war das Plakat noch das wichtigste Werbemedium für den Kino-Film.«*
»KHF-Plakate erreichten hohe Auflagenzahlen und fanden mit der Popularität der Filme eine weite Verbreitung. Noch heute sind es seine Motive, die zahlreiche Cover von DVD-Editionen der Filme tragen. Die von ihm geschaffenen Bilder wecken bei vielen Menschen noch heute sympathische Erinnerungen und Assoziationen an die Filme in den Wirtschaftswunderjahren.«

Biografische Notizen
1913 Karl-Heinz Fehrecke wird in Kassel geboren

1929–1932 Lehre als Lithograf in Göttingen 1
933–1935 Studium an der staatlichen Kunstgewerbeschule in Kassel u.a. bei Prof. Heinz Lewerenz
und Prof. Robert Oréans
1935 Staatspreis für Grafik
1935–1937 Tätigkeit als angestellter Grafiker in Hannover und Stuttgart
1938 Gründung eines eigenen Ateliers für Gebrauchsgrafik in Göttingen
1939–1945 Einsatz als Kriegsmaler in Nord-Frankreich, Belgien und Flandern
1945–1978 Weiterführung und Ausbau des grafischen Ateliers mit eigener fotografischer
Abteilung
1947 Künstlerische Betreuung der 1. Industriemesse Hannover
1978 Aufgabe des Ateliers aus gesundheitlichen Gründen
1994 Karl-Heinz Fehrecke stirbt in Gummersbach Mitglied im Bund Deutscher Gebrauchsgraphiker
(BDG] Ehrenamtlicher Lehrbeauftragter der Höheren Handelslehranstalt in Göttingen

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Autor:

Uwe Marcus Rykov aus Wochenblatt Rhein-Neckar

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