Musik und Tanz: Das Rezept für ein geeintes Europa
Ein Quantensprung der Völkerverständigung
Bad Dürkheim / Winster (Großbritannien). Alle Welt blickt derzeit gespannt auf die britische Insel. Selten vorher stand Großbritannien derart im Fadenkreuz internationalen Interesses wie in diesen Tagen. Doch einmal abgesehen von den bislang unabsehbaren Konsequenzen, die ein ungeregelter Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU nach sich zöge, verbleiben zweifellos und abseits der großen Politik kleine Enklaven, denen länderübergreifend auch die heftigsten europäischen Wirbelstürme kaum etwas anhaben können.
Eine dieser unbeirrbaren Oasen ist Ungstein an der Weinstraße – die andere liegt am Rande des Nationalparks „Peak District“ in Großbritannien, im Großstadt-Dreieck Nottingham, Sheffield, Manchester, und nennt sich Winster. Nie gehört? Kein Wunder – ist das englische Dörfchen mit seinen nicht mal 700 Einwohnern, seinen ehemaligen Blei-Minen, einer Schule, zwei Kirchen, zwei Pubs, einem „Village-Shop“, worin sich auch die Post befindet, und mit seiner überschaubaren Markthalle doch alles andere als eine brodelnde Metropole. Und dennoch tanzt zumindest einmal im Jahr hier nicht nur der sprichwörtliche Bär beim so genannten „Winster Wakes“ im Juni. Eine Woche lang nämlich wird dann der kleine Ort zur kollektiven Bühne mit ausgelassenem Entertainment, „Ramba-Zamba“ in der Main-Street, mit Musik, Tanz und mit zahllosen Veranstaltungen – ein Straßen-Karneval im Ausnahmezustand!
Was die ganze Sause im fernen England mit Ungstein zu tun hat? Nun, Winster verfügt über die „Morris Dancer“, eine überaus aktive Tanzgruppe, die bei ihren Auftritten in historischen Kostümen und Trachten ihre ureigene Tradition hochhält – genau wie das auch die Ungsteiner Trachtengruppe seit 1935 erfolgreich für die Pfalz praktiziert. Und hier kommt nun wieder mal „Kommissar Zufall“ ins Spiel: Als britischer „Gastarbeiter“ nämlich war zu Anfang der 2000er Jahre Richard Powly – ein waschechter „Winsterer“ - mit seiner Gattin Chris in Mannheim tätig und vermisste dabei das ihm gewohnte heimische Tanzvergnügen in historischen Gewändern. Er suchte... – und er fand: die Ungsteiner Trachtengruppe nebst dem Ungsteiner Wein...! Für den Briten ein durchaus gelungener Fund! Denn dass es beim „Winster Wakes“ in seiner Heimatgemeinde knochentrocken zugeht, ist ausgeschlossen...!
Das Jahr 2005 gilt nun für beide Gemeinden – die Ungsteiner und die "Winsterer" - seither als Quantensprung der Völkerverständigung: Immer wieder besuchen sich die beiden Vereine gegenseitig, sie tanzen, sie musizieren und sie singen gemeinsam – und sie huldigen selbstverständlich auch dem über allen Nationen regierenden Weingott Bacchus, der traditionell als „Übervater der Weinkultur“ ohnehin kein Verständnis für politische Kapriolen hat.
Zaungäste und Interessenten der tänzerisch-musikalisch-bacchantischen Freundschaft zwischen Ungstein und "Winsteranern" haben in diesem Jahr reichlich Gelegenheit für Impressionen und Kontaktaufnahmen: So kommen die Freunde von der Insel vom Mittwoch 29. Mai bis Sonntag, 2. Juni, wieder einmal nach Ungstein. Am Donnerstag, 30.Mai, werden die Ungsteiner und ihre englischen Freunde gemeinsam ab 10 Uhr im Kurpark Bad Dürkheim tanzen. Am Nachmittag ab 13.30 Uhr bis 14.30 Uhr stehen dann gemeinsame Tänze auf dem Stadtplatz Bad Dürkheim auf dem Programm.
Hintergrund
Die Tanzgruppe der "Morris Dancers" hat eine lange Tradition. Bereits im 16 Jahrhundert tanzte die rein männliche Gruppe am englischen Hof zur Unterhaltung. Nach wie vor sind die gebotenen Tänze rasant und voller Energie, die Tracht ist bestückt mit bunten Bändern und Glöckchen. Die Glöckchen sollen für die Teufelsaustreibung sowie für die Frühjahrsfeste und die damit verbundene Winterverbrennung ein Symbol sein. Auch heute noch werden tänzerische Geschichten mit König, Königin, Hexe, Hofnarr, und Hofvolk dargestellt. Seit zwei Jahren können auch Frauen in der Gruppe mittanzen.
Die Ungsteiner Trachtengruppe kann auch auf eine lange Geschichte zurückblicken. Sie fand ihren Anfang zusammen mit dem der deutschen Weinstraße im Jahre 1935. Die Gruppe tanzte anfangs ausschließlich Pfälzer Tänze und sang dazu gleichzeitig im Pfälzer Dialekt. Mittlerweile hat sich das Repertoire auf etwa 60 Tänze aus ganz Deutschland und auf internationale Tänze erweitert.
Die Farben der Damentrachten in rot, blau und grün symbolisieren - man kann es ahnen - die Farben der Trauben. Bis heute pflegt der Trachtenverein auch viele Traditionen und Bräuche der Region wie etwa die Teilnahme am Weinstraßentag, die Ungsteiner Kerwe, das Römerkelterfest und jährliche Ausflüge. Momentan erfährt die Gruppe einen starken Aufschwung, sodass bei der letzten Tanzschulung im Februar 2019 vierunddreißig aktive Tänzerinnen und Tänzer in St. Martin ein Tanzwochenende verbrachten.
Chronolgie
30.Juni bis 3. Juli 2005
Die Trachtengruppe Ungstein reist nach Winster und nimmt samstags am Umzug durch Winster anlässlich des "Winster Wakes" teil .
Mai 2006
Die "Morris Dancers" kommen nach Ungstein. Es gab verschiedene Tanzvorführungen in der Salierschule, im Kurpark und in Ungstein unter dem Maibaum.
Juni 2013
Die Trachtengruppe Ungstein reist nach Winster und nimmt wieder am "Winster Wakes" teil.
30. April bis 4. Mai 2015
Die "Morris Dancers" kommen nach Ungstein zum Maibaumstellen
15. bis 18 Juni 2017
Die Trachtengruppe Ungstein reist nach Winster. Samstags organisierten die "Morris Dancers" eine Tanztour an drei verschiedenen Orten mit 120 aktiven Tänzern
29. Mai bis 2. Juni 2019
Die "Morris Dancers" kommen nach Ungstein. Auftritte im Kurpark und beim Stadtfest Bad Dürkheim
uba
Autor:Udo Barth aus Bad Dürkheim |
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