Tagebuch eines Spaziergängers - Kleine Ostseetour
Vom Gehen im Sand

Historisches Schiff im Rostocker Stadthafen | Foto: Franz-Walter Mappes
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Von Franz-Walter Mappes

Es ist Sommer. Wir sind wieder vor Ort und wollen unsere Wanderungen entlang der Ostseeküste auch in diesem Jahr fortsetzen. Waren in der Vergangenheit die Regionen zwischen der Insel Rügen und Fischland-Darß Ziel unserer Erkundungstouren, so wollen wir heuer den Küstenabschnitt westlich von Rostock erwandern.
Den Zeitpunkt unserer Ankunft in der Hansestadt haben wir so geplant, dass wir zur Eröffnung der Hanse Sail dabei sind. Insgesamt drei Tage verbringen wir rund um das Spektakel zwischen Stadthafen und Warnowmündung. 
An der Hafenmauer haben die historischen Segelschiffe ihre Anker geworfen. Dort stellen sie stolz ihre sorgfältig gepflegte Patina zur Schau, bewundert von den „Landratten“, bei denen maritime Sehnsüchte erwachen.
Zum Start der Hanse Sail sind wir mit dem Schiff vom Rostocker Stadthafen die Warnow entlang zur Mündung nach Warnemünde gefahren und haben an der Mole einen Platz gefunden, an dem die Segelschiffe auf ihrem Kurs in die Ostsee ganz nah vorbeifahren. Unsere Rucksäcke wurden für die Wanderung auf einem Stück des Europäischen Fernwanderwegs (E9) gepackt, die wir hier beginnen wollen.
Es geht Richtung Heiligendamm. Zuerst müssen wir noch den stark besuchten Sandstrand des Ostseebades hinter uns lassen. Wir wählen nicht den direkten Weg am Wasser, sondern entscheiden uns für die schattigere Variante durch den Küstenwald. Schon nach kurzer Zeit haben wir das sommerliche Treiben der vom Tourismus stark geprägten Stadt hinter uns gelassen und gehen in tiefem Sand durch einen zauberhaft anmutenden Wald. Neben dem Weg bricht die Steilküste ab. Schilder warnen vor dem Begehen der Randgebiete. Der Wind hat den Bäumen seine Richtung aufgezwungen. Sie neigen ihre Äste nach Lee.
Nach einigen Kilometern kommen wir zum Aussichtpunkt Wilhelmshöhe. Auf den dortigen Terrassen führt der Blick über die lang gestreckten Uferzonen der Ostsee.
Von dort geht es weiter zum Naturschutzgebiet Stoltera. Beeindruckend ist das Kliff mit dem Küstenwald, wo noch heute eiszeitliche Ablagerungen zu sehen sind.
Schon bald erreichen wir den „Gespensterwald“, wie der Volksmund das etwa 100 Hektar große Waldstück bei Nienhagen nennt. An der Steilküste wachsen uralte Buchen, Eichen und Eschen, deren Gestalt vom Seewind geformt wurde. Viele Sagen und Schauergeschichten ranken sich um dieses Stück Wald.
Bevor wir am Ende des Tages unser Ziel in Heiligendamm erreichen, gehen wir noch ein Stück direkt am Meer entlang. Wir halten Ausschau nach „Hühnergöttern“, die als Glücksbringer bekannt sind. Seit wir an die Ostsee kommen, haben wir uns das Sammeln der Steine, bei dem man ganz schnell in einen „Flow“ kommt, zu eigen gemacht.

Im Reich der Hühnergötter

Dort, wo das Meer den Strand küsst, wo der Sand die Füße verschlingt. Dort ist das Reich der Hühnergötter. Liebevoll umspült, hinterlässt das salzige Wasser schwarz-weiße Perlen, die im Sonnenlicht glänzen.
Tausende davon habe ich schon berührt, aber nur wenige davon tragen das Zeichen eines Hühnergottes. Und man muss schon jede Menge Glück haben, einen Hühnergott zu finden. Aber, das bringt er einem dann auch.

Eine Ostseegeschichte

Es gibt schlechtere Möglichkeiten, seine Zeit zu verbringen, wenn man hier am Ufer der Ostsee gestrandet ist. In der Sonne liegen oder auf Brettern aus Plastik auf dem Wasser zu paddeln ist mir zu stressig. Einzig die Suche nach dem Hühnergott ist so entspannend, dass man geradezu süchtig danach werden kann.
Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte braucht es, bis das salzige Wasser einen Stein so geformt hat, dass er zum Gott taugt. So lange kann es durchaus dauern, bis sich die Schichten lösen und ein Loch als Durchgang für das Licht entsteht. Die Laune der Natur, die Kraft des Wassers und der Zufall formen aus einem vermeintlich gewöhnlichen Stein einen Hühnergott, ein göttliches Geschenk.
Nein, man muss es nicht verstehen, aber man kann es fühlen: Hühnergötter machen glücklich. 

Bedeutung

Als Hühnergott (altdeutsch Hascherlit) wird in Deutschland volkstümlich ein Stein mit einem natürlich entstandenen Loch bezeichnet. So erklärt Wikipedia den Namen.
In Großbritannien werden sie „hag stones“ (deutsch „Hexensteine“) und „Snake's eggs“ (deutsch „Schlangeneier“), in walisisch „Glain neidr“, in Cornwall „Adderstanes“, in schottisch-gälisch „Gloine nan Druidh“ (deutsch „Druidenglas“), in Ägypten „aggry“ oder „aggri“ genannt.
Um die eigenen Hühner vor dem Donner des Donnergotts Donar zu schützen, wurden die Steine als Talismane verwendet, daher kommt der Name. mps

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Autor:

Franz-Walter Mappes aus Bad Dürkheim

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