Jede Note verspricht Unsterblichkeit
Kirill Petrenko brilliert mit Elektra
Die Aufführung von Richard Strauss' Oper "Elektra" am 26. März im Festspielhaus Baden-Baden bot die Gelegenheit, eines der meisterhaftesten und zugleich anspruchsvollsten Werke der Opernliteratur zumindest musikalisch in Vollendung zu erleben. Seit seiner Uraufführung im Jahr 1909 steht "Elektra" für eine musikalische und dramatische Revolution, die das Genre der Oper durch ihre intensive emotionale Ladung und ihre musikalische Komplexität nachhaltig geprägt hat. Strauss, der mit diesem Werk tief in die Abgründe der menschlichen Psyche eintaucht, schuf eine Partitur, die durch ihre innovative Harmonik und Orchestrierung ebenso besticht wie durch ihre dramatische Direktheit.
Die Handlung basiert auf der antiken Tragödie von Sophokles und erzählt die Geschichte von Elektra, die von Rache für den Mord an ihrem Vater Agamemnon besessen ist. Strauss und sein Librettist Hugo von Hofmannsthal verdichten diese Erzählung zu einem intensiven psychologischen Drama, das den Zuhörer unmittelbar in den Strudel der Ereignisse zieht. Die musikalische Sprache von "Elektra" ist geprägt von einer außergewöhnlichen Dichte und einem Reichtum an Motiven, die das Seelenleben der Charaktere mit seltener Direktheit abbilden.
Aber ohne weitere Umwege zum Ergebnis des Abends.
An diesem Abend erhebt sich Kirill Petrenkos "Elektra" in Sphären, die kaum greifbar erscheinen. Dieses musikalische Ereignis, ein seltener Juwel in der Krone der Opernwelt, verspricht eine Offenbarung der Perfektion in ihrer reinsten Form zu sein – ein Erlebnis, das in seiner Einzigartigkeit in den Weiten des musikalischen Olymps seinesgleichen sucht. Die Berliner Philharmoniker haben es Mal wieder geschafft!
Die Noten von Strauss' Meisterwerk werden unter Petrenkos Führung nicht bloß gespielt; sie atmen, leben, und entfesseln eine Dynamik, die das Publikum in eine Welt entführt, in der jede Schwingung, jeder Tonstrahl mit dem Gewicht eines emotionalen Universums geladen ist. Hier, in der akustischen Umarmung des Festspielhauses, wird das Drama der "Elektra" nicht nur zur Aufführung gebracht, sondern in seiner reinsten Essenz neu geboren. Die musikalischen Grenzen werden mühelos durchbrochen – ein Triumph nicht allein für das Orchester im Graben, sondern für jede einzelne der Stimmen, die auf dieser Bühne Raum zur Entfaltung finden. Von der kleinsten Rolle bis zum durchdringenden Fortissimo der Titelheldin – jede Note trägt das Versprechen der Unsterblichkeit.
In diesem Sinne ist dieses Werk unter Petrenkos Leitung mehr als eine Oper; es ist eine kathartische Reise, die das Publikum über die Grenzen des Fassbaren hinausführt. Eine Reise, auf der die Musik lebendig wird, das Drama seine reinste Form annimmt und die Schallmauer zur Perfektion in einem Akt klanglicher Alchemie durchbrochen wird. In der Geschichte des Festspielhauses Baden-Baden wird diese "Elektra" sicherlich als ein Moment vermerkt, in dem die Sterne ein wenig heller leuchteten, die Musik ein wenig tiefer berührte und das Unmögliche für einen flüchtigen, doch unvergesslichen Moment zur greifbaren Realität wurde.
Kurzfassung:
In der jüngsten Inszenierung von Richard Strauss' "Elektra" im Festspielhaus Baden-Baden, dirigiert von Kirill Petrenko und mit den Berliner Philharmonikern, finde ich mich in einem musikalischen und emotionalen Spektakel wieder, das tiefe Eindrücke hinterlässt. Nina Stemme beeindruckt mich als Elektra mit ihrer intensiven Darbietung, ergänzt durch Michaela Schusters kraftvolle Klytämnestra und Elza van den Heevers nuancierte Interpretation der Chrysothemis. Johan Reuter als Orest und Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Aegisth vervollständigen das Ensemble auf eindrucksvolle Weise.
Die Regie von Philipp Stölzl und Philipp M. Krenn, die das Libretto visuell ins Zentrum rücken, empfinde ich als ambitioniert, jedoch mit gemischten Gefühlen. Ihr Ansatz, den Text auf das Bühnenbild zu projizieren, ist kreativ, führt aber in Momenten großer musikalischer Intensität zu Verwirrung. Diese visuelle Überstimulation lenkt mich teilweise vom dramatischen Kern der Aufführung ab und hinterlässt bei mir Zweifel an der Wirksamkeit dieser Methode.
Trotz meiner Vorbehalte gegenüber der Regie überzeugt mich die musikalische Leitung Petrenkos vollkommen. In perfekter Harmonie mit den Berliner Philharmonikern gelingt es ihm, eine unvergessliche Interpretation von Strauss' Werk zu präsentieren. Diese "Elektra" zeichnet sich durch ihre klangliche Brillanz und emotionale Tiefe aus, die mich persönlich tief berührt. Es wird mir klar, dass die transformative Kraft der Musik und der künstlerischen Darbietung über visuelle Experimente hinaus Bestand hat.
Für die kurzentschlossenen Liebhaber der Opernkunst birgt die Ankündigung, dass für die letzte Aufführung am 31. März 2024 noch Karten erhältlich sind, eine Einladung, Teil dieses Moments zu werden. Eine Einladung, nicht nur Zeuge einer Aufführung zu werden, die in ihrer musikalischen Vollendung einzigartig ist, sondern auch, für einen flüchtigen Augenblick, den Atem der Ewigkeit zu spüren.
Die Regiearbeit von Philipp Stölzl und Philipp M. Krenn für diese Inszenierung bringt ein innovatives Konzept auf die Bühne. Indem sie das Libretto selbst zum visuellen Mittelpunkt machen, schaffen die Regisseure eine faszinierende Symbiose aus Wort und Bild. Die Projektion des Textes direkt auf das Bühnenbild – ein über 20 Tonnen schweres, minimalistisches Konstrukt – ist ein ambitionierter Versuch, Typografie in das Herz des dramatischen Geschehens zu rücken.
Für den Zuschauer in der ersten Reihe, wie ich es war, offenbart dieses Bühnenkonstrukt seine Vorteile durch seine imposante Präsenz und die unmittelbare Nähe zum Geschehen. Die architektonische Reduktion dient dabei nicht nur als visueller Kontrapunkt zum emotionalen Gewicht der Musik und des Gesangs, sondern betont auch die Isolation und innere Zerrissenheit der Charaktere. Die Entscheidung, den Text des Librettos auf diese Weise inszenatorisch zu integrieren, ist zweifellos ein kühnes Unterfangen, das die Bedeutung der Worte visuell unterstreicht und den Dialog zwischen Szene und Zuschauer auf eine neue Ebene hebt.
Jedoch bringt diese methodische Verschmelzung von Text und Szene auch ihre Herausforderungen mit sich. Die Projektionen neigen dazu, in den Momenten größter musikalischer Intensität und emotionaler Ausbrüche an Klarheit zu verlieren. Was als kreative Erweiterung des narrativen Raums gedacht war, kann schnell in visuelle Überstimulation umschlagen, wodurch die Aufmerksamkeit des Publikums von der musikalischen und schauspielerischen Leistung abgelenkt wird. In diesen Augenblicken wird das experimentelle Layout zu einer Quelle der Verwirrung, die den Betrachter eher von der Essenz der Handlung entfernt, als ihn tiefer hineinzuziehen.
Die Personenführung unter der Regie von Philipp Stölzl und Philipp M. Krenn erhält durch die Entscheidung, die Darsteller auf verschiedenen, sich bewegenden Ebenen agieren zu lassen, eine zusätzliche räumliche Dimension, die das Bühnenbild dynamisch und lebendig gestaltet. Diese Ebenen, die sich physisch innerhalb des minimalistischen, über 20 Tonnen schweren Bühnenkonstrukts verschieben, verleihen der Inszenierung eine visuelle Tiefe und eine Art kinetische Energie, die das Potential hat, die dramatische Wirkung der Handlung zu verstärken. Es ist ein anspruchsvolles Unterfangen, das die physische Präsenz der Charaktere im Raum betont und die Möglichkeit bietet, die inneren Konflikte und emotionalen Turbulenzen, die das Herzstück von "Elektra" bilden, auf eine visuell ansprechende Weise zu erforschen, es will aber einfach nicht gelingen.
Trotz dieser räumlichen Innovation und der damit einhergehenden Dynamik bleibt die Personenführung in ihrer Interpretation der Charaktere und deren Beziehungen zueinander überraschend eindimensional. Die Charaktere bewegen sich zwar auf unterschiedlichen Ebenen und durchqueren den Raum in einer Weise, die ihre jeweiligen emotionalen Zustände und sozialen Positionen widerspiegeln könnte, dennoch scheint diese Bewegung nicht genutzt zu werden, um tiefere Einsichten in ihre psychologischen Profile oder komplexere Beziehungsdynamiken zu gewähren. Die physische Bewegung im Raum wird somit zu einer verpassten Gelegenheit, die Charaktere mehrdimensional zu entwickeln und ihre Interaktionen mit subtileren Nuancen zu versehen.
Unter der meisterhaften Leitung Kirill Petrenkos offenbart sich das Zusammenspiel mit den Berliner Philharmonikern als eine musikalische Expedition, deren Ziel nichts Geringeres als die Pforten der Perfektion sind. Vom ersten erhebenden Klanggewitter an wird deutlich, dass diese Reise eine Offenbarung der orchestralen Brillanz in ihrer reinsten Form sein wird. Petrenko, bekannt für seine akribische Aufmerksamkeit für Details und seine unvergleichliche Fähigkeit, tiefe emotionale Resonanzen zu wecken, führt das Orchester mit einer Präzision und Leidenschaft, die jedes Nuance der Partitur von Richard Strauss' "Elektra" zum Leben erweckt.
Die Berliner Philharmoniker, ein Orchester von unbestrittener weltweiter Reputation, reagieren auf Petrenkos feinsinnige Einsätze und Führung mit einer Spielqualität, die sowohl in ihrer technischen Perfektion als auch in ihrer emotionalen Tiefe beeindruckt. Jede Phrase, jede dynamische Wendung und jeder rhythmische Akzent wird mit einer solchen Sorgfalt und Intensität ausgeführt, dass die Musik über die bloße Notation hinaus zu einer lebendigen, atmenden Entität wird. Petrenko und die Philharmoniker erschaffen eine klangliche Landschaft, die reich an Details und voller kontrastreicher Schattierungen ist, eine Welt, in der die düsteren Themen in ihrer ganzen tragischen Schönheit erstrahlen.
Die musikalische Leistung unter Petrenkos Führung zeichnet sich durch eine seltene Kombination aus Disziplin und Freiheit aus, ein Zeugnis seines tiefen Verständnisses sowohl für die kompositorischen Absichten von Strauss als auch für die interpretativen Möglichkeiten, die in der Partitur verborgen liegen. Petrenko gelingt es, die Berliner Philharmoniker so zu führen, dass jedes Detail der Partitur herausgearbeitet wird, vom feinsten pianissimo bis zum gewaltigsten fortissimo, von den scharfen Rhythmen bis zu den schwebenden Momenten. Diese Detailtreue erweckt die komplexe emotionale Palette von "Elektra" zum Leben – eine Palette, die von düsterer Verzweiflung bis zu ekstatischer Auflösung reicht.
In der Essenz von Nina Stemmes Interpretation der Elektra offenbart sich eine Darbietung, die nicht bloß durch die Facetten ihrer stimmlichen Präsenz besticht, sondern durch die Tiefe, mit der sie in die unermesslichen Abgründe der Figur eintaucht. In ihrer Verkörperung wird Elektra zu einem Spiegel der menschlichen Seele, reflektiert durch das Prisma von Verlust und unstillbarer Sehnsucht. Stemme erschließt die Dimensionen dieser tragischen Heldin nicht allein durch die Macht ihrer Stimme, sondern ebenso durch die Schichten emotionaler Resonanz, die sie zu entfalten vermag. Ihre Kunst wird zur Brücke zwischen dem Sichtbaren und dem Unsagbaren, zwischen der fühlbaren Wirklichkeit der Bühne und den tiefen, oft ungreifbaren Strömungen menschlicher Emotionen.
Die Intensität, mit der Stemme die komplexen Schattierungen von Elektras Charakter navigiert, lässt die Grenzen zwischen Darstellerin und Rolle verschwimmen. Jede Note, jeder Klang, jede stille Pause wird zu einem Gefäß, gefüllt mit den flüchtigen Momenten menschlicher Zerrissenheit und der unausweichlichen Konfrontation mit dem eigenen Schicksal. Ihre Elektra wird zu einem Echo, das in den Weiten des emotionalen Kosmos widerhallt, ein Ruf, der tief in das Bewusstsein eindringt und dort eine Spur hinterlässt, die weit über den Moment der Aufführung hinausreicht.
Stemmes Fähigkeit, die vielschichtige Textur dieser Figur zu erfassen und in eine sinnliche Erfahrung zu übersetzen, die sowohl intellektuell als auch emotional berührt, zeugt von einer seltenen künstlerischen Tiefe. Die Dynamik ihrer Performance – ein Balanceakt zwischen der rohen Kraft der Verzweiflung und der subtilen Flüchtigkeit der Hoffnung – malt ein Portrait von Elektra, das in seiner Komplexität und seiner emotionalen Wahrhaftigkeit fesselt. Diese Elektra ist keine statische Figur, sondern eine lebendige Manifestation der Frage nach dem Wesen der Rache, der Liebe und der Erlösung.
Durch die Linse von Stemmes Darstellung wird Elektra zu einem lebendigen Zeugnis der schmerzhaften Schönheit menschlicher Fragilität und der unerbittlichen Suche nach Gerechtigkeit. Es ist eine Performance, die die Zuschauenden nicht nur dazu einlädt, Zeugen einer erzählerischen Reise zu werden, sondern auch, Teilnehmer an einer tiefgreifenden emotionalen Erforschung zu sein. In der Welt, die Stemme auf der Bühne erschafft, wird die Oper zu einem Raum, in dem die schiere Kraft der Musik und des menschlichen Ausdrucks in ihrer reinsten Form erfahren werden kann – als ein unendliches Streben nach Verständnis, Mitgefühl und letztlich nach menschlicher Verbindung.
Michaela Schuster, in ihrer Rolle als Klytämnestra, webt mit außergewöhnlicher kunstvoller Finesse ein komplexes Porträt aus Macht, Schuld und Verletzlichkeit. Ihre stimmliche Darbietung, sowohl reichhaltig in ihrer Textur als auch eindrucksvoll in ihrer emotionalen Reichweite, schlägt Brücken zwischen den extremen Polen von Härte und Zerbrechlichkeit, zwischen der Autorität einer Königin und der Verzweiflung einer Mutter. Schuster navigiert durch die nuancierten Schichten der Partitur, um eine Klytämnestra zu enthüllen, die nicht nur die Last ihrer Taten, sondern auch die Schatten ihrer eigenen Dämonen trägt. In diesem gewagten Balanceakt offenbart sie eine Figur, deren Komplexität und Tiefe das Publikum fesselt und herausfordert, hinter die Fassade der Macht zu blicken und das zutiefst Menschliche in der Tragödie der Klytämnestra zu erkennen.
In Elza van den Heevers Verkörperung der Chrysothemis erlebe ich eine Performance von beeindruckender Vielschichtigkeit, die ein komplexes emotionales Spektrum von Hoffnung und Verzweiflung bis hin zur Suche nach persönlicher Identität jenseits familiärer Tragik durchläuft. Ihre stimmliche Brillanz, gepaart mit tiefgreifender emotionaler Intuition, malt ein lebhaftes Porträt einer Frau, gefangen im Sturm zwischen familiären Pflichten und eigenen Sehnsüchten. Van den Heever meistert das schwierige Terrain ihrer Rolle mit einer beeindruckenden Balance aus Verletzlichkeit und unausgesprochener Stärke. Diese Darbietung, reich an subtilen Nuancen und feinsinnig gestalteten emotionalen Übergängen, offenbart mir eine Chrysothemis, die zugleich nach Freiheit strebt und unter dem Gewicht ihrer unerfüllten Träume zerbricht. Ihre Stimme, die sowohl die Höhen als auch die Tiefen mit außerordentlicher Resonanz durchmisst, schafft eine eindringliche emotionale Authentizität, die das Wesen ihrer Figur tiefgreifend beleuchtet.
In der Gestalt des Orest, wie Johan Reuter sie verkörpert, entfaltet sich ein tiefes, fast mystisches Panorama menschlicher Emotionen und Schicksale. Reuters stimmliche Präsenz, von erhabener Tiefe und dunkler Resonanz, zeichnet die Silhouette einer zerrissenen Seele, die zwischen den Schatten der Vergangenheit und dem flüchtigen Licht der Erlösung wandelt. Seine Darbietung, in der jede Note und jede Pause mit der Schwere eines ungesühnten Erbes und der zarten Hoffnung auf Vergebung gesättigt ist, webt ein dichtes Gewebe aus Schmerz, Stärke und Stille. Reuter vermag es, Orests innere Landschaften mit einer Intensität zu enthüllen, die unter die Oberfläche des Sichtbaren dringt, eine Welt, in der die Echos der Rache mit den leisen Seufzern nach Frieden verschmelzen. In dieser facettenreichen Performance wird Orest zu einem lebendigen Zeugnis der menschlichen Suche nach Sinngebung inmitten der Bruchstücke eines zersplitterten Daseins, eine Figur, die nicht nur den Pfad der Vergeltung beschreitet, sondern auch in den Spiegel tieferer, universeller Wahrheiten blickt.
Durch diese gekonnte Balance zwischen der düsteren Tiefe und der leuchtenden Klarheit seiner Stimme schafft Reuter ein dichtes, emotionales Porträt des Orest, das tief berührt und lange nachwirkt. Es ist diese Fähigkeit, die Komplexität und Zerrissenheit der Figur mit solch einer stimmlichen Schönheit und Ausdruckskraft zu vermitteln, die seine Performance unvergesslich macht und dem Publikum eine neue Perspektive auf die antike Tragödie bietet.
In Wolfgang Ablinger-Sperrhackes Darbietung als Aegisth entdeckt man eine nuancenreiche Kunstfertigkeit, die durch die geschickte Vermengung von Vokalfarben und die sorgfältige Ausarbeitung des Charakters eine komplexe Figur zum Leben erweckt. Sein Aegisth, charakterisiert durch eine bemerkenswerte stimmliche Beweglichkeit, offenbart die Doppelgesichtigkeit von List und Zerbrechlichkeit, zeichnet ein facettenreiches Porträt einer in Widersprüchen gefangenen Persönlichkeit. Ablinger-Sperrhacke meistert die Herausforderung, die subtilen Schichten Aegisths freizulegen, mit einer Präzision, die sowohl die Ambitionen als auch die verdeckte Fragilität des Charakters in den Vordergrund rückt. Diese Interpretation wird zu einem feinsinnigen Spiel mit Licht und Schatten, das nicht nur die flüchtige Natur der Macht, sondern auch deren tiefgreifende Brüchigkeit entblößt. Durch seine Gestaltung erwacht Aegisth als eine Gestalt, die weit über die Mechanismen der Intrige hinausgeht und in der sich die tiefe Einsamkeit eines Menschen offenbart, der hinter dem Triumph seine eigene Verlorenheit verbirgt.
Es sind es die Nuancen und Farben der Nebenrollen, die ein faszinierendes Muster an Vielschichtigkeit und emotionaler Tiefe hinzufügen. Anthony RobinSchneider, als Pfleger des Orest, malt mit subtilen Pinselstrichen eine Figur voller Würde und Geheimnis, während Serafina Starke als Vertraute und Anna Denisova als Schleppträgerin mit ihren Leistungen feine Linien in das emotionale Gefüge der Erzählung einziehen. Lucas van Lierop und Andrew Harris, in den Rollen der Diener, bringen Schichten der Anteilnahme und historischen Resonanz, ihre Präsenzen wie Schatten, die die Vergangenheit heraufbeschwören. Kirsi Tiihonen, als Aufseherin, webt eine Aura der Macht und Kontrolle, ihre Stimme ein dunkler Faden, der durch das Stück zieht.
Die Mägde, dargestellt von Katharina Magiera, Marvic Monreal, Alexandra Ionis, Dorothea Herbert und Lauren Fagan, verkörpern ein Spektrum an menschlichen Zuständen – von Verzweiflung bis zur Resilienz –, ihre Stimmen und Darstellungen schaffen eine polyphone Klanglandschaft, die das Drama tiefgreifend bereichert. Die Solistinnen des Prager Philharmonischen Chors, mit Mariana Ambrozová, Ada Bilková, Eliska Grohova, Zuzana Hirschová, Tereza Kurfirtová und Stepánka Pýchová, fügen dem Ensemble eine Dimension der kollektiven Seele hinzu, ihre Harmonien, ein Echo der zentralen Themen von Macht, Ohnmacht und Sehnsucht.
In der musikalischen Verschmelzung, dirigiert von Kirill Petrenko, und durch die Berliner Philharmoniker sowie das gesamte Ensemble verwirklicht, entsteht ein Echo des menschlichen Bestrebens, über die eigenen Grenzen hinaus zu wirken und Verbindung innerhalb einer scheinbar unverbundenen Existenz zu finden. Diese Aufführung von "Elektra" offenbart durch ihre Präzision und Emotionalität eine tiefere Ebene des Verständnisses für das Zusammenwirken von Individuen in einem kreativen Prozess, der die Kraft hat, die Fragmentierung des Seins zu überbrücken.
Die Virtuosität und das Engagement, das sich in jedem Takt manifestiert, spiegeln das unstillbare Verlangen wider, das Unfassbare zu greifen und in der Vielschichtigkeit unseres Daseins Ordnung und Sinn zu erschaffen. Dieses Streben, eingefangen in der Musik unter Petrenkos Leitung, illustriert eine universelle Eigenschaft der menschlichen Kondition: das Streben nach Ausdruck und die Verbindung über die Sprache der Musik, die sowohl die Tiefen der individuellen Erfahrung als auch die kollektive Resonanz berührt.
Durch die Harmonie, die zwischen den Künstlern entsteht, wird ein Modell der Kooperation und des gemeinschaftlichen Schaffens vorgeführt, das weit über die Bühne hinausreicht. Es ist eine Darstellung davon, wie aus vielen einzelnen Stimmen ein einheitliches Ganzes geformt werden kann, das in der Lage ist, die stillen Zwischenräume der menschlichen Erfahrung zu durchdringen. In der musikalischen Ausführung dieser Gruppe findet sich ein Spiegelbild des menschlichen Dranges, durch das Schöpferische eine Brücke zu schlagen – zwischen dem Ich und dem Anderen, zwischen dem Hier und dem Dort.
So wird die musikalische Leitung Petrenkos und das Zusammenspiel aller Beteiligten zu einer Erkundung dessen, was es bedeutet, gemeinsam etwas zu erschaffen, das nicht nur die Sinne anspricht, sondern auch das innere Streben nach Verbindung und Ganzheitlichkeit. Diese Aufführung wird zu einem lebendigen Testament der Möglichkeiten, die sich eröffnen, wenn wir uns dem Unbekannten öffnen und im gemeinsamen Streben eine tiefere Ebene der Kommunikation und des Verstehens entdecken.
Darin liegt eine unausgesprochene Einladung, den Blick zu weiten und die eigene Stimme in das größere Konzert der menschlichen Kreativität einzubringen, ein Konzert, das beständig nach neuen Wegen sucht, die essentielle Einheit hinter der sichtbaren Vielfalt zu enthüllen.
Die letzte Aufführung am 31. März 2024 in Baden-Baden markiert nicht nur den Abschluss einer bemerkenswerten Reihe von Darbietungen, sondern stellt auch eine letzte Gelegenheit dar, Teil eines Ereignisses zu sein, das in der musikalischen Welt einen bleibenden Eindruck hinterlassen wird. Dieser finale Vorhang fällt für eine Darbietung, die durch ihre Intensität, ihre emotionale Tiefe und ihre klangliche Brillanz mich voll und ganz in den Bann gezogen hat. Die Bedeutung dieses Moments kann kaum überschätzt werden, denn er bietet die seltene Chance, live dabei zu sein, wenn musikalische Geschichte geschrieben wird. In der Erwartung dieses letzten Aktes eröffnet sich die Einladung, in ein kollektives Erlebnis einzutauchen, das die transformative Kraft der Musik zelebriert und die Zuhörerinnen und Zuhörer auf eine unvergleichliche emotionale und ästhetische Reise mitnimmt.
Autor:Marko Cirkovic aus Durlach |
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