Leidenschaft und Emotion, am Puls der Musik
Petrenko & Batiashvili im Festspielhaus

Lisa Batiashvili und Kirill Petrenko | Foto: Monika Rittershaus
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Im Festspielhaus Baden-Baden, einem Ort, der schon lange für seine kulturellen Highlights bekannt ist, gab es wieder einmal einen besonderen Grund für Musikfans, sich zu freuen. Die Berliner Philharmoniker, unter der Leitung von Kirill Petrenko und mit Lisa Batiashvili an der Geige, luden zu einem Abend ein, der alles andere als alltäglich war. Auf dem Programm standen Sibelius' Violinkonzert und Brahms' Vierte Sinfonie – zwei Stücke, die zwar viele schon kennen mögen, aber in dieser Aufführung fanden sie ganz neue Töne. Es war ein Konzert, das bewies, dass klassische Musik immer wieder überraschen kann, selbst wenn man denkt, man hätte das schon alles dutzende Male gehört.

Jean Sibelius, der finnische Komponist, hatte eine besondere Beziehung zur Violine. Ursprünglich begann er seine musikalische Karriere mit dem Ziel, Violinist zu werden. Er studierte Violine und spielte sie leidenschaftlich, bevor er sich vollständig der Komposition widmete. Diese tiefe Verbundenheit und Verständnis für die Violine spiegeln sich in seinem Werk wider, besonders erkennbar in seinem Violinkonzert in d-Moll, Op. 47. Dieses Stück, eines der bedeutendsten Werke für Violine des 20. Jahrhunderts, zeigt nicht nur seine Fähigkeit, die Möglichkeiten des Instruments voll auszuschöpfen, sondern auch seine emotionale Tiefe und technische Komplexität. Seine Liebe und sein Verständnis für die Violine blieben jedoch ein zentraler Bestandteil seiner musikalischen Ausdrucksweise.

Johannes Brahms (1833–1897) und Jean Sibelius (1865–1957) lebten in unterschiedlichen Epochen der Musikgeschichte, und es gibt keine Aufzeichnungen darüber, dass sie persönlich Kontakt hatten oder dass Brahms die Werke von Sibelius kannte. Brahms, ein zentraler Komponist der romantischen Periode, starb, als Sibelius noch am Anfang seiner Karriere stand. Sibelius' internationale Anerkennung begann erst um die Wende zum 20. Jahrhundert zu wachsen, nach Brahms' Tod.

Das Zusammenbringen von Sibelius' Violinkonzert und Brahms' Vierter Sinfonie in einem einzigen Konzertabend wirft eine interessante Frage zur Programmatik auf. Warum diese beiden Werke?

Die Beziehung zwischen den beiden Werken kann auch in Bezug auf ihre Position in der Musikgeschichte betrachtet werden. Beide Komponisten trugen zur Weiterentwicklung der musikalischen Sprache ihrer Zeit bei und beeinflussten nachfolgende Generationen von Komponisten. Obwohl sie persönlich keinen direkten Austausch hatten und ihre Musikstücke unterschiedliche Gattungen repräsentieren, teilen Brahms' Vierte Sinfonie und Sibelius' Violinkonzert eine gewisse geistige Verwandtschaft in ihrem Streben nach Ausdruckstiefe und formaler Vollendung.

Es entfaltet sich zu Beginn des Violinkonzerts von Jean Sibelius eine Atmosphäre, die sich am besten als ein Hauch von Nichts beschreiben lässt, bevor sich ein musikalisches Panorama von beeindruckender Tiefe und Kontrast öffnet. Die Berliner Philharmoniker, unter der akribischen Leitung von Kirill Petrenko und mit der außergewöhnlichen Lisa Batiashvili als Solistin, nehmen das Publikum mit auf eine Reise durch das klangliche Meer, das Sibelius in seiner Komposition einfängt. Batiashvilis Geigenspiel, das an diesem Abend die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen der musikalischen Brillanz darstellt, führt durch die emotionale Landschaft des Werkes mit einer Klarheit und Tiefe, die atemberaubend ist.

Im zweiten Satz des Konzerts, wo die Musik eine bemerkenswerte Leichtigkeit annimmt, scheint mein Herz in einen Zustand der Schwerelosigkeit gehoben zu werden. Die Philharmoniker, unter Petrenkos geschickter Führung, weben einen Klangteppich, der so dicht und doch so transparent ist, dass man sich als Teil eines größeren, atmenden Organismus fühlt. Die Schwerelosigkeit, die dieser Satz vermittelt, ist ein seltener Zustand, eine Pause vom Gewicht der Welt, in der die Musik alleine trägt.

Die Detailverliebtheit und Perfektion, mit der die Berliner Philharmoniker Sibelius' Violinkonzert zum Leben erwecken, lassen keine Wünsche offen. Jeder Strich, jede Note ist durchdacht, jeder Solist im Orchester trägt zum facettenreichen Klangbild bei, das sich entfaltet. Diese musikalische Feinheit führt dazu, dass man als Zuhörer trotz eines Karfreitag Tanzverbots mit jedem Ton, jeder Bewegung mitschwingt. Die Kraft des Schlusssatzes, gepaart mit Momenten zarter Melancholie, unterstreicht die emotionale Bandbreite, die Sibelius in seinem Werk einfängt.

Lisa Batiashvili, deren Präsenz und Spiel die Bühne dominieren, navigiert durch die technischen Herausforderungen und emotionalen Tiefen des Konzerts mit einer Leichtigkeit und einem Feinsinn, die nur wahre Meister ihres Fachs aufweisen. Ihre Fähigkeit, im dritten Satz eine gewisse Grobheit zu zeigen, ohne die musikalische Linie zu verlieren, gibt ihrer Geige eine Stimme, die von tiefem Charakter bis zu scharfen, fast schneidenden Tönen im hohen Register reicht. Diese Darbietung demonstriert nicht nur ihre technische Versiertheit, sondern auch ihre emotionale Reichweite.

Die Zugabe, Bach im Quartett, war zwar ein beeindruckendes Display musikalischer Feinsinnigkeit, fühlte sich jedoch für mich persönlich nach dem vorangegangenen emotionalen Höhepunkt überflüssig an. Es offenbarte eine Tendenz, die Performance mit noch mehr Brillanz überladen zu wollen, wo eine schlichtere Anerkennung der zuvor geschaffenen Stimmung vielleicht angebrachter gewesen wäre. In solchen Momenten scheint es mir, dass weniger manchmal mehr ist, besonders nach einem so kraftvollen und vollendeten musikalischen Erlebnis.

Brahms' Vierte Sinfonie und ich, wir hatten bisher eine komplizierte Beziehung. Das Werk schien mir immer als ein überinterpretiertes Relikt der klassischen Musik, angestaubt und zu oft gehört, um noch frische Emotionen in mir wecken zu können. Doch als ich hörte, dass Kirill Petrenko sich dieses Stücks annahm, keimte in mir die Hoffnung, dass diese Aufführung etwas Neues, etwas Anderes sein könnte. Und tatsächlich, Petrenko und die Berliner Philharmoniker enttäuschten diese Hoffnung nicht.

Vom ersten Satz an fühlte es sich an, als würde Petrenko wie ein Choreograf durch die Musik tanzen, vorsichtig und doch bestimmt den Staub von Brahms' Noten blasend. Der Satz beginnt mit einer Schwermut, doch Petrenko führte uns sanft von diesen dunkleren Tönen zu einem leichteren, wenn auch immer noch tiefgründigen Klang. Dann, plötzlich, mit einer Kraft und Dramatik, die man selten so spürt, wurde die Musik lebendig, als würde der ganze Saal atmen.

Der zweite Satz drängte sich mit einer Ruhe und Schwermut auf, die so dicht war, dass sie fast greifbar schien. Doch diese Ruhe fühlte sich nie leer an; sie war voll von Emotion, von ungesagten Worten, die zwischen den Noten schwebten. Dieser Satz endete in einer Art Tonalität, die das Einleuten einer großen Saga versprach, eine Vorahnung auf das, was noch kommen sollte.

Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker  | Foto: Monika Rittershaus
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Im dritten Satz fand sich dann plötzlich eine Leichtigkeit, ein Fest, eine Feier der Musik. Es war eine Explosion an Energie, die keinen Bestand zu haben schien und doch jeden im Saal mitriss. Diese Leichtigkeit, diese Freude, sie brach durch die Schwermut wie ein Sonnenstrahl durch dunkle Wolken.

Der vierte und letzte Satz brachte uns zurück zu dem großen Drama der Schwermut, durchzogen von hoffnungsvollen Momenten, die wie Lichtblicke in der dichten musikalischen Textur aufblitzten. Doch letztendlich endete das Stück in einer schweren Dramatik. Und das war gut so. Petrenko und die Berliner Philharmoniker hatten Brahms' Vierte in einer Weise zum Leben erweckt, die ich nie für möglich gehalten hätte. Dies war keine Aufführung, die man mit jenen vergleichen konnte, die das oft angestaubte Werk mit wenig Probenzeit und noch weniger Leidenschaft zu interpretieren versuchten. Dies war etwas völlig Anderes, etwas Erlebtes und tief Empfundenes.

So stand am Ende dieses denkwürdigen Sinfoniekonzerts nicht nur musikalische Exzellenz, sondern eine Performance, durchdrungen von Leidenschaft und Emotion, am Puls der Musik. Das nahezu ausverkaufte Festspielhaus Baden-Baden verließ den Saal dankbar und strahlend, erfüllt von der Gewissheit, Zeuge einer der bemerkenswertesten Aufführungen der jüngsten Zeit geworden zu sein.

Für alle, die diese außergewöhnliche musikalische Erfahrung verpasst haben oder sie einfach noch einmal erleben möchten, gibt es gute Nachrichten: Das Programm mit Brahms' Vierter Sinfonie und dem Violinkonzert von Sibelius, meisterhaft interpretiert von den Berliner Philharmonikern unter Kirill Petrenko und mit der virtuosen Lisa Batiashvili, wird sich wiederholen. Dieses sicher  unvergessliche Konzerterlebnis findet am 1. April um 11 Uhr im Festspielhaus Baden-Baden statt. Eine zweite Chance, sich von der musikalischen Brillanz und emotionalen Tiefe dieser Aufführungen mitreißen zu lassen, sollte man sich nicht entgehen lassen.

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Lisa Batiashvili und Kirill Petrenko | Foto: Monika Rittershaus
Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker  | Foto: Monika Rittershaus
Autor:

Marko Cirkovic aus Durlach

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