Stimmungsvielfalt
Regula Mühlemann im Festspielhaus Baden Baden

Foto: Andrea Kremper

Im nicht ganz ausverkauften Saal lag von Beginn an eine glimmende Spannung in der Luft. Zunächst noch in anregendem Gemurmel versunken, richtete sich die Aufmerksamkeit des Publikums schlagartig auf das Podium, als das Kammerorchester Basel seine Plätze einnahm und die Dirigentin Yi-Chen Lin zum Pult trat. Die ersten Takte des Abends atmeten eine prickelnde Vorfreude: hier war ohne Zweifel eine künstlerische Konstellation am Werk, die das Versprechen trug, jenem italienischen Belcanto und der romantischen Oper zu neuer Strahlkraft zu verhelfen.

Bereits beim ersten Erklingen der Ouvertüre wirkte das Orchester wie ein bestens eingespielter Organismus. Die Streicher formten sprühende, fast tänzerische Passagen, die sich mit einem wunderbar leichten Schwung präsentierten. Dabei wurde schnell klar, wie genau Yi-Chen Lin die Klangbalance austarierte: Selbst in den stärkeren Forte-Stellen blieb die Transparenz erhalten, sodass man die Holzbläser sowohl in lyrischen Abschnitten als auch in pointierten, humorvollen Einwürfen wahrnehmen konnte. Ebenso trugen die Blechbläser im rechten Moment zu einem festlichen Glanz bei, ohne in dominantes Ausstellen zu verfallen. Diese spritzige Lebendigkeit blieb ein Markenzeichen des gesamten Abends.

In den Mittelpunkt rückte bald die Sopranistin Regula Mühlemann, deren Stimme in der Opernwelt bereits große Beachtung gefunden hat. Ihre Auftritte in Rossini- und Donizetti-Arien setzten die inspirierte Leichtigkeit des ersten Konzertteils musikalisch fort. Hier kam ihre klare, bewegliche Höhe eindrucksvoll zur Geltung, unterstützt von Koloraturen, die scheinbar mühelos in den Raum perlten. Eines der Markanten Details – der geschmeidige Wechsel zwischen einer kristallinen Reinheit und einer nunmehr leicht angedunkelten Färbung – trat durchaus bemerkbar in Erscheinung, blieb aber im Gesamtbild elegant eingebunden. Vielmehr wirkten diese seltenen dunkleren Schattierungen wie ein behutsames Vertiefen einzelner Phrasen, was einigen Passagen eine reizvolle Rundung verlieh. Gerade im Belcanto kann eine feine Abstufung des Timbres zusätzlich für emotionale Zwischentöne sorgen, ohne dass dies zum Alleinstellungsmerkmal hochstilisiert werden müsste.

Mit der Dirigentin im Rücken, die dem Orchester ein feurig pulsierendes Fundament gab, stellte sich bei vielen Zuhörenden eine beinahe ausgelassene Stimmung ein. Rossinis Kompositionsweise – von Witz und Energie getragen – offenbarte ihre funkelnden Facetten. Donizettis charmantes Spiel mit leichtfüßigen Strukturen und liebenswürdiger Melodik passte sich diesem Grundton perfekt an. Auch das Orchester hatte hörbar Freude daran, im schnellen Wechsel von Spritzigkeit und Wärme zu agieren. Durchgängig merkte man, wie sorgsam die Musikerinnen und Musiker aufeinander hörten: Keine Stimme verschwand in der Dynamik, jeder Einsatz wirkte genau abgestimmt.

Mit fortschreitender Zeit wandelte sich jedoch die Atmosphäre. Nach einer kurzen Pause veränderte sich das Licht, und mit dem nächsten Orchestereinsatz trat eine schwermütigere, fast klangdunkle Seite zutage. Bellini, bekannt für seine weiten melodischen Bögen und dramatisch aufgeladenen Arien, bildete einen deutlich spürbaren Kontrast zu den zuvor gehörten Nummern. Hier entfalteten sich jene melancholischen Strömungen, die im italienischen Opernrepertoire so oft mit Liebesleid und ausweglosen Schicksalen verbunden werden. Statt federnder Ironie lag nun eine innere Spannung über dem Saal, als ob sich die Musik in tiefere Gefühlsregionen begab.

In diesen Passagen zeigte sich die Dirigentin als feinfühlige Dramaturgin des Klangs. Wie mit unsichtbarer Hand führte sie das Orchester durch schattige Harmoniefolgen, ließ die Streicher sacht vibrieren und die Bläser in gedämpfter Zurückhaltung schwelgen. Es entstand eine Atmosphäre, die an große Opernhäuser denken ließ, in denen sich die tragische Seite des Belcanto offenbart. Man konnte fast das Gefühl bekommen, die Handlung einer ganzen Oper zu erahnen, ohne dass je eine szenische Realisierung notwendig war.

Regula Mühlemann wandelte ihr Timbre in diesen anspruchsvolleren Passagen kaum merklich, aber doch deutlich fühlbar. Wo zuvor eine frische, fast mädchenhaft anmutende Ausgelassenheit dominierte, schwang nun eine reifere, sehnsuchtsvoll getönte Ausdrucksweise mit. Diese Sinnlichkeit äußerte sich besonders in den Übergängen vom zarten Pianissimo zu einem intensiveren Forte, was die jeweilige Dramatik der Arien unterstrich. Wenn sie dann in den langen Melodiebögen Bellinis oder in einer der etwas düster gefärbten Donizetti-Szenen verweilte, war der Übergang zum sanft angehauchten, tiefen Empfinden beinahe unmerklich. Statt eines abrupten Wechsels flossen die Emotionen in einem breiten Strom dahin, was dem Publikum ein Mitfühlen auf Augenhöhe ermöglichte.

Bald nach diesen anrührenden Sequenzen gerieten auch Verdis Partituren ins Spiel. Und obwohl man nicht im Detail die Opernszenen nachvollzog, wirkte dieser Einblick in Verdis dramatische Klangwelten wie eine Steigerung jener Schwermut, die Bellini vorbereitet hatte. Die Streicher spielten hier mit einem vollen, fleischigen Ton, der beinah an große Romantik erinnerte – vielleicht gerade dadurch, dass das Kammerorchester Basel so versiert darin ist, zügig von durchsichtigen Strukturen zu einer wuchtigeren Klanglichkeit zu wechseln. Yi-Chen Lin ließ das Orchester strahlen, ohne den Sängervortrag zu überlagern. Als Hörer fühlte man sich regelrecht von einem mal weichen, mal aufwühlend kraftvollen Klangband getragen.

Das Zusammenspiel zwischen Regula Mühlemann und dem Ensemble hatte in diesen dramatisch aufgeladenen Minuten etwas fast Kammerspielartiges: Einerseits verströmte die Musik große Operngesten, andererseits hörte man jeden Instrumentalimpuls, jede kleine Schattierung in Mühlemanns Stimmführung. Genau das machte die Faszination dieses Abends aus.

Der Schluss gipfelte in einem Finale, das die klangliche Intensität mit einer finalen Verinnerlichung verband. Als die letzten Takte verklangen, erhob sich der Applaus mit einer spontanen Wucht, die erahnen ließ, wie gefesselt die Zuhörenden von dieser Mischung aus Leichtigkeit und Tragik gewesen waren. Die Besucher würdigten die feurige Energie des ersten Konzertteils genauso wie die melancholische, teils düster glühende Welt des zweiten Teils.

Insgesamt war es eine musikalische Reise, die das Spektrum italienischer Oper innerhalb einer einzigen Abenddramaturgie abbildete: vom spritzigen, humorvollen Beginn bis zur emotional aufgeladenen Dämmerung, die an große Bühnenschicksale denken lässt. Das Kammerorchester Basel überzeugte mit Vitalität und Präzision; Yi-Chen Lin formte einen roten Faden, der beide Teile des Programms organisch verband; und Regula Mühlemann bewies ihre Wandlungsfähigkeit sowohl in brillanten Passagen als auch in gefühlvoller, nachdenklicher Tiefe. Ein Abend, der eindrücklich vor Augen führte, wie Belcanto und romantische Oper jenseits bloßer Schaueffekte funktionieren – nämlich als sensible Kunstform, die Heiterkeit und Tragik dicht beieinander spürbar macht.

Autor:

Marko Cirkovic aus Durlach

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