Gewalttätig und Brutal
Teodor Currentzis im Festspielhaus Baden Baden
Das SWR Symphonieorchester steht am Scheideweg: der Abschied von Currentzis und die Skandale um den designierten Nachfolger, der durch unangemessene Dickpics und Nachrichten an Musikerinnen für Schlagzeilen sorgt. Diese Kontroversen werfen einen düsteren Schatten auf das heutige Konzert und die Zukunft des Orchesters.
Doch der Abend selbst war pure Magie. Kirill Gerstein, Teodor Currentzis und das SWR Symphonieorchester entführten das Publikum in eine Welt voller Emotionen und technischer Brillanz. Schostakowitschs Klavierkonzert Nr. 2 in F-Dur, op. 102, eröffnete den Abend mit einer Mischung aus Leichtigkeit und Tiefe, die das Publikum in ihren Bann zog. Ein Konzert, das noch lange nachhallt.
Der erste Satz begann fulminant und setzte sofort ein kraftvolles Zeichen. Kirill Gerstein zeigte sich als Virtuose par excellence, dessen Spiel durch präzise Technik und leidenschaftliche Interpretation bestach. Die dynamische Energie, die er gemeinsam mit dem Orchester und Teodor Currentzis am Dirigentenpult entfaltete, ließ den Saal vibrieren und das Publikum von der ersten Note an in seinen Bann ziehen.
Im zweiten Satz schien die Zeit fast stillzustehen. Mit einer dehnbaren, fast ätherischen Qualität zu Beginn, schufen Currentzis und Gerstein eine Atmosphäre, die wie ein zarter Hauch von Nichts erschien. Sein Spiel war einfühlsam und subtil, die Töne schwebten förmlich im Raum. Diese fragile Stille ging über in einen intensiven melancholischen Ausklang, der die Zuhörer in eine tiefe emotionale Welt versetzte. Man fand sich fast wie in einem Traum, aus dem man durch den dritten Satz wieder mehr oder weniger unliebsam in die reale Welt zurückgerissen wurde.
Der dritte Satz schließlich war ein wahres Feuerwerk. Mit atemberaubender Geschwindigkeit und unbändiger Energie entfachte Gerstein ein musikalisches Spektakel, das seinesgleichen sucht. Das Orchester unter Currentzis’ leidenschaftlicher Leitung unterstützte dieses Finale mit einem präzisen und lebendigen Spiel. Die Tempi waren schwindelerregend, die Rhythmik exakt und doch voller Lebendigkeit. Dieses mitreißende Finale riss das Publikum förmlich von den Sitzen und wurde mit tosendem Applaus und Ovationen belohnt.
Igor Strawinskys "Le Sacre du printemps" in der Interpretation des SWR Symphonieorchesters unter der kompromisslosen Leitung von Currentzis war eine Offenbarung brutaler Klanggewalt und präziser musikalischer Aggression. Die Aufführung begann mit einer differenzierten, beinahe trügerischen Ruhe. Jeder Ton, jede Nuance wurde mit einer solchen Feinheit dargeboten, dass die Atmosphäre einer gespannten Ruhe vor dem Sturm glich.
Dann brach das orchestrale Unwetter los. Die Musik verwandelte sich in einen strudelnden Wirbel aus rhythmischer Raserei und dissonanter Wucht. Es war, als würde das Orchester mit chirurgischer Präzision eine Schlacht führen. Die Klänge waren schneidend, brutal und unnachgiebig. Jede Note traf wie ein gezielter Schlag, jede Phrase schnitt durch die Luft wie eine tödliche Klinge. Es fehlte an nichts – die musikalische Gewalt war vollständig und allumfassend.
Die präzise Ausführung dieser orchestralen Brutalität ließ keinen Raum für Zweifel: Dies war ein gewalttätiges Werk, dargeboten mit unbarmherziger Genauigkeit. Und doch, inmitten dieses klanglichen Massakers, tauchten Momente auf, so zart und filigran, dass sie wie ein flüchtiger Atemzug wirkten. Diese fragilen Augenblicke boten eine verstörende, fast surreal anmutende Schönheit, die dem Hörer eine kurze, trügerische Erholung bot, nur um ihn danach wieder in den Strudel der Gewalt zu reißen.
Im zweiten Teil, "Das Opfer", erreichte die musikalische Brutalität ihren Höhepunkt. Die präzise orchestrierte Opferung, musikalisch untermalt von erbarmungslosen Rhythmen und schneidenden Klängen, vermittelte das Gefühl, als ob tatsächlich ein Leben auf dem Altar geopfert wurde. Die finale Szene war ein ekstatisches Ritual, das die Grenzen des Erträglichen auslotete. Die Musik selbst wurde zur Waffe, unerbittlich und gnadenlos.
Am Ende dieser Darbietung blieb ein erschüttertes Publikum zurück, überwältigt von der Intensität und Präzision dieser klanglichen Exekution. Teodor Currentzis und das SWR Symphonieorchester haben ein Werk geschaffen, das in seiner Gewalt und Differenziertheit neue Maßstäbe setzt – eine erschreckende, gewalttätige Reise, die die Grausamkeit und die zugleich fragile Schönheit von Strawinskys Komposition in ihrer extremsten Form offenbarte.
Autor:Marko Cirkovic aus Durlach |
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