Ein Echo der Ewigkeit
Thomas Guggeis erweckt die Natur zum Leben

Thomas Guggeis | Foto: Barbara Aumüller

Im prachtvollen Gebäude der Alten Oper Frankfurt präsentierten sich kürzlich herausragende Musiker des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters unter der Leitung des jungen Dirigenten Thomas Guggeis. Auf dem Programm standen drei kontrastreiche Werke, die die Zuhörer auf eine intensive musikalische Reise mitnahmen.

Der Abend begann mit György Ligetis "Lontano", einem Stück, das sowohl eröffnet als auch endet wie ein ungreifbares Meer aus Klang. Ligetis Musik, die das Große Orchester in einer diffusen Art und Weise nutzt, entführt in eine Welt, in der die Klänge fast greifbar scheinen, jedoch stets einen Hauch von Unbestimmtheit behalten. Dies fordert das Publikum heraus, sich auf eine eher intuitive als strukturierte Hörempfindung einzulassen – eine komplexe, doch tiefgehend gestaltete Erfahrung, die allerdings auch das Risiko birgt, dass man als Zuhörer gedanklich abschweift und nach Halt sucht.

Im starken Gegensatz dazu stand das "Concertante für vier Soloinstrumente und Orchester B-Dur Hob I: 105" von Joseph Haydn, das mit seinem lebhaften und fröhlichen Charakter das Publikum regelrecht begeisterte. Die Solisten – Dimiter Ivanov an der Violine, Mikhail Nemtsov am Violoncello, Johannes Grosso an der Oboe und Richard Morschel am Fagott – zeigten eine bemerkenswerte Virtuosität und Einfühlsamkeit. Unter Guggeis' lebendiger Leitung verwandelte sich das Stück in ein wahres Fest der Freude und Leichtigkeit. Die drei Sätze – Allegro, Andante und Allegro con spirito – wurden mit einer solchen Klarheit und dynamischen Feinheit ausgeführt, dass jedes Instrument seine Rolle in diesem eleganten musikalischen Dialog voll entfalten konnte.

Nach der Pause des Konzertabends erwartete das Publikum nun die "Alpensinfonie" von Richard Strauss. Doch bevor die musikalische Reise in die alpinen Höhen beginnen konnte, nahm der Abend eine überraschende Wendung, da ich wie gewohnt mein Programmheft nicht gelesen habe.

Plötzlich stand nicht mehr die Musik im Vordergrund, sondern die Wissenschaft: Prof. Dr. Klement Tockner, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, betrat die Bühne. Was zunächst als kurze Einführung gedacht schien, entpuppte sich als eine lehrreiche Präsentation über die dringenden Umweltthemen unserer Zeit. Mit charmantem Witz durch den Dirigenten und fundiertem Wissen sprach Prof. Tockner über die Bedeutung der Impulse für Naturforschung und die weitreichenden Folgen der Lichtverschmutzung für unsere Umwelt.

Diese unerwartete Wendung löste zunächst Irritation, gefolgt von einem Lachen im Publikum aus, als zwischen den ernsten Themen kurze Musikschnipsel der Alpensinfionie gespielt wurden. Doch die Botschaft war klar: Es ging um mehr als nur Unterhaltung; es ging um Aufklärung und Sensibilisierung für ein Thema, das uns alle betrifft.

Als Prof. Tockner dann über die Bedeutung der Artenvielfalt und die Koexistenz von Mensch und Tier in unseren alpinen und anderen Kulturlandschaften sprach, wurde die Verbindung zur "Alpensinfonie" offensichtlich. Strauss’ Werk, das die Natur und ihre unermessliche Schönheit zelebriert, diente als perfekte musikalische Untermalung für die dringende Botschaft der Naturschutzforschung.

Die Integration eines wissenschaftlichen Vortrags in ein klassisches Konzert war eine mutige und innovative Entscheidung. Sie ermöglichte es, die Bedeutung der Naturwissenschaft in den Vordergrund zu rücken und gleichzeitig das Bewusstsein für die dringenden Umweltprobleme unserer Zeit zu schärfen.

Richard Strauss‘ „Alpensinfonie“ ist ein faszinierendes Kaleidoskop aus Klangfarben und Emotionen, eine sinfonische Großtat, die den Hörer auf eine unvergleichliche akustische Expedition durch die majestätische Landschaft der Alpen führt. Komponiert zwischen 1911 und 1915, reflektiert dieses Werk Strauss‘ tiefe Bewunderung für die Natur und sein Interesse an philosophischen Themen, die sich in der Auseinandersetzung mit der menschlichen Existenz innerhalb und gegenüber der überwältigenden Kraft der Natur widerspiegeln.

Sie umfasst eine Tagesreise von der Morgendämmerung bis zur Nacht und schildert musikalisch den Aufstieg eines Wanderers auf den Gipfel eines Berges und seinen anschließenden Abstieg. Strauss verwendet eine umfangreiche Orchesterbesetzung, um die verschiedenen Stimmungen und Szenen der Alpenlandschaft zu malen. Mit über 100 Musikern, darunter ein erweitertes Blechbläserensemble, Holzbläser in vielfältiger Doppelbesetzung, eine breite Palette an Schlaginstrumenten und einer innovativen Verwendung von Streichern, erschafft Strauss eine klangliche Vielfalt, die von der stillen Schönheit eines Sonnenaufgangs bis zum tosenden Furor eines Gebirgssturms reicht.

Ästhetisch zeichnet sie sich durch ihre programmatische Struktur aus. Sie ist nicht nur eine musikalische Darstellung landschaftlicher Schönheit, sondern auch eine Meditation über die menschliche Seele. Strauss fängt in dieser Musik das Echo der Ewigkeit ein, die Stille, die über den Gipfeln liegt, den Kampf und die Überwindung von Naturgewalten. Jedes Segment des Werks ist sorgfältig konstruiert, um das Fortschreiten des Tages und die sich wandelnde Dynamik der Landschaft zu reflektieren.

In der stillen Umarmung des Konzertsaals, als das letzte Flüstern der Erwartung und die Worte des Professors verhallten, entfaltete sich unter der Führung des jungen Dirigenten Thomas Guggeis eine Aufführung von Strauss‘ „Alpensinfonie“, die in ihrer schieren Brillanz und emotionalen Tiefe nahezu transzendent wirkte. Mit einem Verständnis und einer Reife, die seine jugendliche Erscheinung Lügen straften, offenbarte Guggeis eine Interpretation, die jedes Nuance und jede Facette von Strauss' komplexem Meisterwerk durchdrang.

Die ersten Takte der „Nacht“ brachen leise an, fast zögerlich, wie der Atem der Erde vor dem Erwachen. Dann, mit einem Crescendo, das sowohl das Aufblühen des Tages als auch das Aufwachen der Welt symbolisierte, erklomm die Musik die ersten Lichtstrahlen, die sich zaghaft über die Spitzen ferner Berge stahlen. In diesem Moment wurde der Konzertsaal selbst zur Alpenlandschaft, zum Schauplatz eines epischen Dramas zwischen Mensch und Natur.

Die musikalische Reise, die Guggeis und das Orchester unternahmen, war geprägt von einer solistischen Brillanz, die jede Linie, jeden Akkord mit einer Klarheit und Kraft herausarbeitete, die mich tief in ihren Bann zog. Die Instrumente sprachen mit eigenen Stimmen, mal flüsternd wie der Wind in den Bäumen, mal schreiend wie die Adler hoch über den Gipfeln.

Als die Musik zum „Sturm“ anstieg, war es, als würden die Elemente selbst durch den Saal tosen. Die Darstellung war so kraftvoll, so voller Energie, dass sie die Herzen schneller schlagen ließ und die Sinne herausforderte. Es war, als würde der Wind tatsächlich durch das Haar fahren, als würden Blitze die Dunkelheit des Saals zerschneiden und Donner die Luft erzittern lassen. Diese Momente des musikalischen Gewitters waren nicht nur zu hören, sondern auch zu fühlen – ein Sturm, der die Seele berührte und veränderte.

In den ruhigeren Passagen jedoch fand die Musik zu einer lyrischen Sanftheit zurück, die die Landschaften in einem weicheren Licht malte. Die Streicher zogen ihre Bögen so sanft über die Saiten, dass es schien, als streichelten sie die Stille selbst. Diese Phasen waren wie das tiefe, ruhige Atmen der Natur nach dem Sturm – voller Frieden und einer fast greifbaren Zärtlichkeit.

Das Ende der Alpensinfonie näherte sich mit einer emotionalen Gewalt, die mich in meinen Grundfesten erschütterte. Der letzte Akkord, ein Echo der Ewigkeit, hallte in der Stille nach und ließ eine Spur der Ergriffenheit und tiefen Bewegung zurück. Es war ein Abschluss, der das Herz nicht nur rührte, sondern es mit einer schwer beschreibbaren, bittersüßen Melancholie erfüllte.

Die technische Brillanz und die meisterhafte Ausführung des Orchesters offenbarten eine Struktur von nahezu durchsichtiger Klarheit, ein komplexes Netz aus Tönen, in dem jeder einzelne Ton sowohl selbständig als auch als unverzichtbarer Teil des Gesamtgefüges wirkte. Diese musikalische Leistung wurde zu etwas eigenständigen, in das jede Note, jeder Rhythmus und jede Harmonie ihre eigene Existenzberechtigung beanspruchte, gleichzeitig jedoch in kunstvoller Harmonie miteinander verwoben war.

Die Unbedingtheit dieser Interpretation offenbarte sich in ihrer Fähigkeit, mich vollständig zu umschließen und in eine Welt zu versetzen, die gleichzeitig fremd und vertraut wirkte. In diesem Konzert wurde ich zum Teilnehmer einer Feier, die weit mehr bedeutete als ein bloßes Konzert – es war ein Akt der Offenbarung.

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Autor:

Marko Cirkovic aus Durlach

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