Die Vollkommenheit des Augenblicks
Sondra Radvanovsky und Piotr Beczała verzaubern im Festspielhaus Baden Baden

Foto: Andrea Kremper

Ein Konzertabend von solch außergewöhnlicher Intensität und künstlerischer Brillanz wie jener im Festspielhaus Baden-Baden ist selten zu erleben. Die Bühne war illuminiert von der strahlenden Präsenz zweier Operngiganten unserer Zeit: Sondra Radvanovsky, deren Sopranstimme in ihrer Vielschichtigkeit und Ausdruckskraft kaum zu übertreffen ist, und Piotr Beczała, ein Tenor von nahezu überirdischer Perfektion. Unter der einfühlsamen Leitung von Claudio Vandelli entfalteten die Würth Philharmoniker ein klangliches Panorama, das die Tiefen und Höhen menschlicher Emotionen in Töne fasste.

Bereits zehn Minuten vor Konzertbeginn konnte man hinter der Bühne das lebendige Einspielen der Philharmoniker vernehmen. Es war, als ob sich eine mächtige Energie sammelte, die nur darauf wartete, entfesselt zu werden. Das Orchester zeigte sich von Beginn an lebendig und emotional aufgeladen, spielte mit einer Intensität, die sowohl zügellos als auch von starken Kontrasten geprägt war. Diese Mischung aus roher Kraft und feinfühliger Nuancierung verlieh dem Abend eine besondere Dynamik.

Den Auftakt bildete das Intermezzo aus Giacomo Puccinis “Manon Lescaut”, ein Werk, das tief in die Seele greift. Das Cello eröffnete mit einem Klang, der unmittelbar ins Innerste drang, eine kammermusikalische Intimität inmitten orchestraler Fülle. Die Würth Philharmoniker schufen hier einen musikalischen Teppich, der sowohl die Sanftheit als auch die Tragik der folgenden Arien vorzeichnete.

Piotr Beczała betrat die Bühne und erfüllte den Raum mit seiner kristallklaren Tenorstimme. In der Arie “Donna non vidi mai” aus dem ersten Akt von “Manon Lescaut” brachte er die Sehnsucht und das Staunen des jungen Des Grieux mit solcher Intensität zum Ausdruck, dass es dem Publikum den Atem raubte. Seine Technik ist atemberaubend, die Stimmführung von makelloser Präzision. Jede Note schien mühelos, getragen von einer inneren Leidenschaft, die tief berührte.

Sondra Radvanovsky folgte mit “Sola, perduta, abbandonata”, der Arie der Manon aus dem vierten Akt. Ihre Stimme vereinte kraftvolle Überlegenheit. Sie zeigte eine makellose Technik und eine Stimmgewalt, die erklärten, warum sie an der Metropolitan Opera als Hausgöttin verehrt wird. Ihre Interpretation war nicht nur ein Vortrag, sondern ein Eintauchen in die Figur, ein Verschmelzen von Künstlerin und Rolle.

Das Orchester führte uns weiter mit dem “Preludio – La Tregenda” aus “Le Villi”, wo Vorspiel und Hexentanz zu einem feurigen Klangrausch verschmolzen. Die Musiker spielten mit einer Leidenschaft, die das Mystische und Unheimliche des Stückes hervorhob. Die Dynamik zwischen den zarten Melodien und den wilden, tänzerischen Passagen wurde meisterhaft umgesetzt.

In den folgenden Arien aus “Tosca” erreichte der Abend einen weiteren Höhepunkt. Beczała’s “Recondita Armonia” war ein Lehrstück in lyrischer Perfektion. Seine Stimme malte die subtilen Nuancen der verbotenen Liebe, während Radvanovsky’s “Vissi d’arte” die tiefe Verzweiflung und Hingabe der Tosca auf den Punkt brachte. Das Duett “Mario! Mario! Mario! – Son qui” vereinte die beiden Stimmen in einer Harmonie, die sowohl musikalisch als auch emotional ergreifend war.

Ein besonderer Moment war die Interpretation der Arien aus Antonín Dvořáks “Rusalka”. Beczała’s “Vidino divná, přesladká” und Radvanovsky’s “Měsíčku na nebi hlubokém” waren mehr als nur musikalische Vorträge; sie waren Verkörperungen der Charaktere. Man wünschte sich beinahe, die gesamte Oper an diesem Abend zu hören, so überzeugend und tiefgehend war ihre Darstellung. Das Duett “Miláčku, znáš mne, znáš?” aus dem dritten Akt ließ keinen Zweifel daran, dass beide Künstler nicht nur technisch, sondern auch interpretatorisch auf höchstem Niveau agieren.

Umberto Giordanos Werke bildeten den krönenden Abschluss des Abends. Das Intermezzo aus “Fedora” und die Arien aus “Andrea Chénier” zeigten noch einmal die gesamte Bandbreite der Künstler. Beczała’s “Come un bel dì di Maggio” war von einer solchen Feinheit und melancholischen Schönheit, dass es das Publikum in stille Bewunderung versetzte. Radvanovsky’s “La mamma morta” ließ die Tragik und emotionale Tiefe der Maddalena spürbar werden. Das abschließende Duett “Vicino a te s’acquieta” vereinte alle zuvor gezeigten Qualitäten in einem letzten, überwältigenden Moment.

In der Pause hörte ich, wie sich zwei ältere Damen neben mir unterhielten. Sie sprachen über einen Bekannten, dem nach vierzehn Tagen bei allem langweilig wird. Eine von ihnen meinte: “Das Leben ist nun mal überwiegend langweilig. Es gibt nicht immer Action, es gibt nicht immer das Besondere.” Während ich ihren Worten lauschte, dachte ich darüber nach, wie sehr dieser Abend das Gegenteil bewies. Ja, das Leben mag oft im Alltäglichen verharren, aber es bietet auch Momente wie diesen, in denen das Besondere erfahrbar wird. Die Kultur, die Musik, sie schenken uns Augenblicke der Erhabenheit, der tiefen Emotion und der Verbindung zu etwas Größerem.

Wenn einem langweilig ist, so dachte ich, sollte man hinausgehen, etwas tun, Menschen begegnen, der Kunst und der Musik begegnen. So wie wir es an diesem Abend taten, gemeinsam mit Hunderten anderer Menschen, die sich von der Magie dieses Konzerts verzaubern ließen. Wir erlebten Großartiges, wir erlebten die absolute Weltklasse, den wohl besten Tenor unserer Zeit und eine Sopranistin, die in ihrer Ausdruckskraft und technischen Meisterschaft unvergleichlich ist.

Piotr Beczała ist für mich die Verkörperung von Perfektion. Seine Darbietung an diesem Abend war nicht nur technisch makellos, sondern auch von einer emotionalen Tiefe, die seinesgleichen sucht. Jede Phrase, jedes Pianissimo, jedes Crescendo war durchdacht und dennoch scheinbar spontan, getragen von einer inneren Musikalität, die unmittelbar berührt. Seine Fähigkeit, die verschiedenen Facetten der von ihm gesungenen Charaktere zum Leben zu erwecken, ist beeindruckend. Ob in Puccini oder Dvořák, er findet stets den richtigen Ton, die richtige Nuance, um die Essenz der Musik zu erfassen und zu vermitteln.

Dieser Konzertabend war mehr als nur eine Aneinanderreihung von musikalischen Darbietungen. Er war eine Reise durch die Tiefen der menschlichen Seele, durch Liebe und Verzweiflung, Hoffnung und Tragik. Die Kombination aus herausragenden Solisten, einem einfühlsamen Dirigenten und einem Orchester, das in jedem Moment präsent und engagiert war, schuf ein Gesamtkunstwerk von seltener Intensität.

Die Worte der Dame in der Pause hallten in mir nach, doch ich konnte ihnen nicht zustimmen. Das Leben ist nicht langweilig, es ist voller Möglichkeiten, voller Momente, die uns bewegen und inspirieren. Dieser Abend im Festspielhaus Baden-Baden war ein solches Geschenk. Er zeigte, dass Kunst und Kultur nicht nur Unterhaltung sind, sondern essentielle Bestandteile unseres Lebens, die uns bereichern und erfüllen.

Als die letzten Töne verklangen und der Applaus in tosendem Jubel aufging, wusste ich, dass ich etwas Besonderes erlebt hatte. Etwas, das über den Moment hinaus Bestand haben würde, eine Erinnerung, die in mir weiterklingen würde. Es war die Vollkommenheit des Augenblicks, das Gefühl, dass nichts fehlte und nichts zu viel war. Ein Abend, der zeigte, was Musik vermag, wenn sie von solchen Meistern ihres Fachs zum Leben erweckt wird.

Für all jene, die glauben, das Leben sei überwiegend langweilig, kann ich nur sagen: Öffnet eure Herzen und Sinne für die Schönheit, die uns umgibt. Geht hinaus, erlebt, fühlt, lasst euch inspirieren. Denn es sind Abende wie dieser, die das Leben reich und bedeutungsvoll machen.

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Autor:

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