Ein Hauch von Ewigkeit
Yannick Nézet-Séguin und Joyce DiDonato im Festspielhaus

Joyce DiDonato, Yannick Nézet-Séguin, Chamber Orchestra of Europe | Foto: Andrea Kremper.
  • Joyce DiDonato, Yannick Nézet-Séguin, Chamber Orchestra of Europe
  • Foto: Andrea Kremper.
  • hochgeladen von Marko Cirkovic

Im Festspielhaus Baden-Baden entfaltete sich ein musikalisches Erlebnis von tiefgreifender Intensität und erhabener Schönheit. Joyce DiDonato, der gefeierte Mezzosopran, präsentierte unter der inspirierenden Leitung von Yannick Nézet-Séguin und in Begleitung des fantastischen Chamber Orchestra of Europe Gustav Mahlers vierte Sinfonie und die „Rückert-Lieder“. Diese Darbietung war ein lebendig gewordener Traum, ein Spaziergang auf dem schmalen Grat zwischen überbordender Emotionalität und meisterhafter Perfektion.

Bereits zu Beginn des ersten Liedes wurde die Zuhörerschaft in eine andere Welt entrückt. Die Poesie Friedrich Rückerts, durchzogen von melancholischer Schönheit und einem tiefen Streben nach innerer Einkehr, fand in Mahlers Vertonung eine kongeniale Entsprechung. Joyce DiDonato, in ihrem Debüt mit diesem Werk, erfüllte jedes Wort, jede Note mit solcher Tiefe und Würde, dass man nur so von der Musik getragen wurde.

Im Lied „Ich atmet' einen linden Duft“ wurde die flüchtige Schönheit eines Augenblicks in einem zarten Gewebe aus Musik und Poesie eingefangen. Die Luft schien erfüllt von einem Hauch der Unschuld und Reinheit, die Rückert in seinen Versen beschwört. Mahler ließ diesen Hauch in subtilen Harmonien und schwebenden Melodien aufleben, und DiDonatos Stimme schwebte über dem Orchester wie ein leiser Sommerwind.

„Liebst du um Schönheit“ brachte eine tiefgründige Reflexion über die Natur der Liebe zum Ausdruck. Rückerts Worte, getragen von einer liebenden Weisheit, ermahnten dazu, jenseits der äußeren Erscheinungen zu blicken. Mahlers schlichte, doch eindringliche Melodie wurde von DiDonato mit einer solchen Innigkeit gesungen, dass sie das Publikum in eine kontemplative Stille versetzte, in der nur die Essenz der Liebe zählte.

Im vierten Lied, „Ich bin der Welt abhanden gekommen“, erreichte die Aufführung einen ergreifenden Höhepunkt. Tränen rollten über meine Wangen, als DiDonato die tiefen Töne der Entfremdung und des Rückzugs in die innere Welt zum Leben erweckte. Mahlers Kompositionskunst erreichte hier eine seltene Intensität, indem er Rückerts Worte in eine Sphäre transzendenter Stille und Einsamkeit versetzte. Die Musik schwebte wie ein leises, entrücktes Gebet, eine Hymne an die innere Freiheit und das Loslösen von den Fesseln der äußeren Welt.

Die perfekte Begleitung durch das Chamber Orchestra of Europe, das unter Yannick Nézet-Séguins präziser und einfühlsamer Leitung spielte, ließ die Musik in vollendeter Harmonie erstrahlen.

Jedes dieser Lieder war eine Welt für sich, ein tiefes Eintauchen in die komplexe Welt der menschlichen Emotionen. Mahler, der große Architekt der Seele, baute aus Rückerts Gedichten Kathedralen des Gefühls, in denen das Heilige und das Menschliche auf mysteriöse Weise ineinanderflossen. Die „Rückert-Lieder“ sind somit nicht nur musikalische Meisterwerke, sondern auch spirituelle Erkundungen, die uns an die Grenzen unseres Daseins führen und uns die Unendlichkeit im Endlichen erahnen lassen.

DiDonato, Nézet-Séguin und das Chamber Orchestra of Europe haben es geschafft, diese unerreichbare Tiefe und Schönheit in die Gegenwart zu holen und das Publikum auf eine unvergessliche Reise mitzunehmen. Man wurde Glücklichen die Pause entlassen.

In der stillen Kammer der Ewigkeit, wo die Zeit wie ein zärtliches Wispern verweilt, erheben sich die Klänge von Gustav Mahlers vierter Sinfonie wie flüchtige Schatten über den heiligen Wassern des Bewusstseins. Hier, wo der Geist das Unendliche zu berühren wagt, webt Mahler ein feingesponnenes Netz aus Tönen und Träumen, das die Seele in seiner gütigen Umarmung fängt.

Zu Beginn der Sinfonie gibt es energetische Akzente in den Bläsern, die förmlich die Luft durchdringen, während die Streicher mit einer Klarheit spielen, die das Geheimnis der Unschuld birgt. Die Klarheit der Geigen, das silberne Lächeln der Flöte – sie gleiten durch die Lüfte wie ein liebliches Echo der Kinderjahre, in denen die Welt noch ein Buch der Wunder war. Diese Melodien, so fragil und doch so unerschütterlich, erinnern an die flüchtigen Momente des Glücks, die wie Tautropfen im Morgenlicht schimmern.

Yannick Nézet-Séguin tanzt, lebt und atmet Mahler, während er die Musik in der Luft zeichnet. Seine Interpretation war eine Meisterleistung der Präzision und des Gefühls, die die gesamte Tiefe und Differenziertheit dieser Sinfonie zum Ausdruck brachte.

Doch die Idylle ist nicht von Dauer. Bald taucht die Musik in die tiefen Brunnen der menschlichen Seele hinab, wo Sehnsucht und Melancholie wie unsichtbare Wellen schlagen. Die Harmonie zerfließt, wird zu einem zarten Geflecht von Dissonanzen, das die Zerbrechlichkeit unserer Existenz spiegelt. Hier, im Wechselspiel der Klänge, findet sich ein leises Murren der Verzweiflung, ein stilles Gebet um Trost inmitten der Dunkelheit.

Besonders hervorzuheben ist der zweite Satz, in dem die Musik eine unglaubliche Differenziertheit und Komplexität erreicht. Es gibt scharfe Untertöne und eine starke Umsetzung der Rhythmen. Die Präzision des Orchesters ist bemerkenswert, jeder Musiker scheint vollkommen in die Klangwelt Mahlers eingetaucht zu sein. Die tänzerischen Dialoge zwischen Oboe und Fagott, die sich durch den Raum schlängeln, verleihen dem Satz eine lebendige und dennoch melancholische Qualität.

Als der dritte Satz begann, dehnte sich eine Welt aus, überirdisch schön und tief in der Musik verwurzelt. Der Ausdruck des Satzes ist stark und extrem, fast überwältigend in seiner Schönheit. Das Ende dieses Satzes entlässt die Zuhörer in eine Art von Unendlichkeit, die sowohl beruhigend als auch erhebend wirkt. Die Musik öffnet das Tor zu einer neuen Dimension, in der die Seele sich verlieren und wiederfinden kann.

Im letzten Satz, wo das Kinderlied von den himmlischen Freuden erklingt, erreicht die Sinfonie ihren nächsten Höhepunkt. Es ist eine einfache Melodie, und doch trägt sie die Weisheit der Jahrhunderte in sich. Hier offenbart sich die Essenz des Werkes: die Versöhnung mit dem Unvermeidlichen, das zarte Lächeln des Friedens, das über dem Antlitz des Todes liegt. Mahler führt uns an die Schwelle einer neuen Wirklichkeit, wo die irdischen Schmerzen in himmlischer Harmonie aufgelöst werden.

Mit einer Mischung aus filigranem und starkem Ausdruck erweckte Joyce DiDonato diese Partie zum Leben. Ihre Stimme gleitet durch die Melodien, mal schwebend, mal kraftvoll, und verleiht dem Gesang eine Tiefe und ein Gefühl, das ungreifbar tief wirkt. Es ist unglaublich, dass sie in der ersten Hälfte des Konzertes bereits so groß geglänzt hat und nun hier wieder weiter glänzt. Ihre Darbietung war ein Aufschrei der Seele, ein leiser Ruf nach dem verlorenen Paradies, der sich in den unendlichen Weiten des Kosmos verliert.

So bleibt die vierte Sinfonie wie ein zarter Traum, ein Hauch von Ewigkeit im flüchtigen Augenblick. Sie ist das Echo der Schöpfung, das Flüstern des Göttlichen im Rauschen der Welt. Und wenn die letzten Töne verklingen, bleibt nur das stille Wissen, dass wir Teil eines größeren Ganzen sind, eines unendlichen Liedes, das von der Sehnsucht der Menschheit singt. Das Publikum, ergriffen und in stillem Erstaunen, findet sich in der Unendlichkeit dieser Klänge wieder, entlassen in eine Welt, die ein wenig heller und tiefer erscheint als zuvor.

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Autor:

Marko Cirkovic aus Durlach

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