Gefälschte Bewertungen von Testern bei Amazon
Meinungshandel im Internet
Internet. „Im Internet kann ich das Produkt vor dem Kauf nicht anfassen, deshalb verlasse ich mich auf die Kundenbewertungen“, mögen sich viele Menschen denken. Diese Einstellung haben sich listige Anbieter zu Nutze gemacht. Gefälschte Bewertungen, die gegen Bezahlung erstellt wurden, sind online keine Seltenheit mehr. Die Kunden werden durch eine Vielzahl positiver Rezensionen hinters Licht geführt.
Von Kim Rileit
Die Handelsplattform Amazon ist ein Paradebeispiel für die sogenannte „Tester-Szene“. Hier können Dritthändler ihre Waren vertreiben. Um eine bessere Sichtbarkeit und Platzierung zu erhalten, helfen Bewertungen. Amazon selbst hat diese Funktion eingeführt, da online die Beratung durch den Verkäufer fehlt. „Wir wollen, dass Amazon-Kunden vertrauensvoll einkaufen mit der Gewissheit, dass Bewertungen authentisch und relevant sind“, sagte ein Unternehmenssprecher.
Und diese kaufen sich dubiose Händler von Privatpersonen. Die Kommunikation ist denkbar einfach. Egal ob über Facebook, WhatsApp oder Telegramm, auf allen Kanälen existieren Gruppen, in denen täglich tausende Produkte bereitgestellt werden. Staubsaugroboter, Drohnen, Glätteisen und Spielzeuge. Die Produktpalette ist schier unendlich. Es sind meist Produkte von unbekannten Marken, doch der Verkaufspreis geht bei einigen Artikeln in den dreistelligen Bereich – pro Stück!
Kostenlos bestellen? Wie läuft das Testen ab?
Doch wie läuft dieser Vorgang ab? Händler, die größtenteils aus Asien stammen, vertreiben ihre Produkte über die Plattform Amazon als Drittanbieter. Amazon übernimmt hierbei nur Aufgaben wie Logistik und den Kundenservice. Vermittler erhalten Listen der zu testenden Produkte, welche dann an die Gruppen weiterverteilt werden. Diesen Gruppen kann jeder Interessierte ganz einfach beitreten. Die Produkte werden von Nutzern, sogenannten Testern, angefragt. Nach kurzer Absprache werden diese bestellt, natürlich tritt der Tester in Vorkasse. Die Bestellung geht den gewohnten Gang, ganz gewöhnlich über Amazon. Nachdem das Produkt angekommen ist, muss der Tester in der Regel einige Tage warten, dann geht es weiter zur Bewertung: Im Portal des Onlinehändlers kann jeder Nutzer frei bewerten. Jedoch wird von den Drittanbietern und deren Vermittlern nach gewissen Kriterien der Länge und des Inhalts eine Mindestqualität gefordert, ebenso sind fünf Sterne fast immer Pflicht. Sobald die Rezension abgeschickt und auf der öffentlichen Amazon-Produktseite sichtbar ist, muss der Tester den Vermittler kontaktieren. Die Bewertung wird kontrolliert und an den Händler weitergeleitet. Dieser erstattet nun den vollständigen Kaufbetrag an den Käufer. „Nur bei hochwertigen Produkten wie Staubsaugern oder ähnlichem gibt es einen Eigenanteil", berichtet ein Tester, der nicht genannt werden möchte. Das geschieht jedoch nicht über die Retourenfunktion von Amazon selbst, sondern meist über die Online-Bezahlplattform PayPal. Eine regelmäßige Erstattung über den offiziellen Weg würde beim Internetriesen Aufmerksamkeit erregen und zu Konsequenzen für Händler und Tester führen. Falls es Komplikationen gibt, können Tester die Produkte über den offiziellen Weg bei Amazon retournieren.
Die Vorteile für die Akteure liegen auf der Hand: Während der Händler seine Produkte nun besser bewertet und platziert weiß, bekommt der Vermittler einen Obolus pro Bewertung. Der Tester hingegen darf sich über ein kostenfreies Produkt freuen, für das er nur eine Bewertung schreiben musste. Doch es gibt einen Verlierer: Der Kunde, der durch diese Vorgehensweisen in die Irre geführt wird.
Natürlich ist diese Vorgehensweise nicht korrekt, denn sie widerspricht den Richtlinien von Amazon. Weiterhin sollten die durch Tests erzielten Gewinne auch in einer Steuererklärung auftauchen. Das Oberlandesgericht Frankfurt hat bereits 2019 bestätigt, dass gekaufte Bewertungen kenntlich gemacht werden müssen. Demnach verstoßen sowohl Tester als auch Anbieter gegen geltendes Recht.
Riesige Netzwerke im Hintergrund
Was nachdenklich stimmt, sind riesige Netzwerke hinter der Plattform, welche mit Bewertungen handeln. So werden normale, echte Kundenmeinungen unglaubwürdig. Es sei kinderleicht, ein Produkt zu kaufen und es zu bewerten, sagt der Tester. „Wenn man einmal drin ist, hat man schier unendliche Möglichkeiten“, erklärt er. Fünf Millionen Täter wurden durch diese Maßnahmen bestraft. Insgesamt ging es 2018 um ein Volumen von 13 Millionen Fake-Bewertungen. Das geht aus einem Artikel der WirtschaftsWoche hervor. Aktuell muss Amazon „wöchentlich mehr als zehn Millionen Rezensionen“ prüfen. Heruntergerechnet ist also durchschnittlich jede 40. Bewertung als gefälscht erkannt worden, also 2,5 Prozent. Eine ziemlich hohe Zahl, wenn man bedenkt, dass es bei dieser Rechnung lediglich um von Amazon sanktionierten Fälle geht. Es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer weitaus höher liegen dürfte.
So gibt es mittlerweile dutzende Webseiten, die sich nur um das Produkttesten drehen. Offizielles Aussehen, klare Kommunikation, alles sieht legal aus. Doch wer genauer hinschaut, sieht beispielsweise Standorte wie Malta im Impressum. Auch werde die Server häufig umgezogen und die Gesellschaftsform geändert. So bleiben die Betreiber länger unerkannt und können sich gegen juristisches Vorgehen schützen.
Der Anbieter „Testerjob“ wirbt mit einem Vorgehen, das durch den Verbraucherschutz geprüft sei und zeigt zahlreiche positive Nutzermeinungen. Pro Bewertung erhält man hier neben dem Produkt noch bis zu zehn Euro Provision. Wenig überraschend: Der anonyme Tester hat auch bereits dort Bewertungen geschrieben. Der Ablauf funktioniert, die Website hält ihre Versprechen. Jedoch bleibt die Bewertung eine Fälschung.
Amazon Vine – der offizielle Tester-Club
Der Online-Händler selbst sagt, dass in den Vine-Club nur die „vertrauenswürdigsten Rezensenten“ gelangen. Die Auserwählten erwartet dann eine Vielzahl von kostenlosen Produkten. Oft sind es hochwertige Produkte wie Drucker, Computer und vieles mehr, diverse Artikel werden noch vor dem Marktstart dem Vine-Zirkel zur Verfügung gestellt. Diese können über einen separaten Bereich der Amazon-Website geordert werden, ohne Geld zu bezahlen. Im Anschluss hat das Vine-Mitglied etwa einen Monat Zeit, um das Produkt zu bewerten. Die Bewertung erfolgt dann völlig frei. Einzige Anforderung: Nützlichkeit für andere Kunden. Dabei können die Mitglieder ehrlich bewerten. Die Rezensionen werden dann auf der Produktseite gekennzeichnet. Dadurch sehen andere Nutzer, dass es sich um hochwertige Bewertungen handelt, die mit Sicherheit nicht gefälscht wurden.
Wie geht Amazon gegen gefälschte Bewertungen vor?
Das Ziel sei es, „missbräuchliche Bewertungen zu unterbinden, bevor sie veröffentlicht werden“, so ein Amazon-Sprecher. Amazon setzt im Kampf gegen die Netzwerke auf „leistungsstarke Programme des maschinellen Lernens und erfahrene Prüfteams“, wie der Amazon-Sprecher sagte. Die Algorithmen erkennen anhand bestimmter Wörter oder dem Nutzerverhalten, ob Bewertungen echt sind. Einfaches Spiel hat die Maschine, wenn ein einzelner Nutzer 50 Bewertungen verschickt. Schwieriger sind die erwähnten einzelnen Tests, die von bisher unauffälligen Nutzern. Diese müssen dann von Menschen geprüft werden. Gar nicht so einfach, denn im Schnitt haben die beiden Prüfverfahren pro Minute über 20 gefälschte Bewertungen entlarvt.
Die Sanktionen für die Nutzer führen vom Ausschluss der Community-Aktivitäten bis hin zur Sperrung des Profils. Händlern, die überführt werden, droht der Ausschluss und der Entzug der Verkaufsberechtigung. Immer wieder führe der Konzern auch Gerichtsverfahren gegen die Plattformen und Netzwerke, tausende Klagen seien verfasst worden. „Besonders rigoros gehen wir in Deutschland gegen Unternehmen vor, die gefälschte Rezensionen verkaufen. So haben wir beispielsweise rund ein Dutzend einstweilige Verfügungen gegen solche Anbieter erwirkt. Dieser Erfolg wird auch durch Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Frankfurt und Hamburg bestätigt, die für den gesamten Online-Handel von grundlegender Bedeutung sein werden", sagte ein Amazon-Sprecher. Auch der Kontakt zu sozialen Medien sei sehr eng. Es werden Nutzer gemeldet und gesperrt, die neue Tester über Kanäle wie Facebook werben wollen.
Vor Fakes schützen – was kann ich gegen gefälschte Rezensionen machen?
Die Produkte, die mit gefälschten Bewertungen bei Amazon gefördert werden sollen, sind oft nicht schlechter als Konkurrenzprodukte. Sie seien häufig so gut, dass sich der Kunde nicht beschwert hätte, wenn er „sie zum regulären Preis bestellt hätte“, sagte der anonyme Tester. Doch gefährlich wird es, wenn die Bewertungen für Produkte auftauchen, die möglicherweise gesundheitsschädlich sind. Für falsche Bewertungen werden zahlreiche dubiose Potenz- und Nahrungsergänzungsmittel angeboten.
Um nicht auf gefälschte Rezensionen hereinzufallen, genügt in der Regel der reine Verstand: Hat ein Produkt innerhalb kürzester Zeit fast ausschließlich sehr gute Bewertungen, sollte dies stutzig machen. Gleichzeitig hilft ein Blick in die schlechten Bewertungen. Sind diese glaubwürdig und stimmig, ist von einem Produktkauf abzuraten. Doch Vorsicht: Auch hier gibt es bereits Händler, die gezielt schlechte Bewertungen einkaufen – um die Konkurrenz zu schwächen. kim
Autor:Stadtmagazin Frankenthaler aus Frankenthal |
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