China-Shopping bei Temu: Alles halb so schlimm oder sind die Warnungen vor der App gerechtfertigt?
Ratgeber. Die einen hypen sie in den Himmel, die anderen verteufeln sie. Die Rede ist von der neuen Online-Verkaufsplattform Temu. Was ist dran an den Warnungen, warum ist der neue Anbieter aus China dennoch so beliebt? Gleich vorweg: Dies ist keine Werbung für Temu, es soll nur hinterfragt werden, ob all die Warnungen, die man derzeit im Internet liest, gerechtfertigt sind - oder ob sie, statt des Konsumenten, nicht vielleicht auch die hiesigen Händler und Zwischenhändler „schützen“ sollen. Denn eines steht fest: Wer bei Temu kauft, kauft direkt bei Herstellern in China. Das ist um einiges günstiger als bei anderen Anbietern der identischen Ware, kann in Sachen Lieferung, Kundenservice und Zoll problematisch werden, war es im Fall der getätigten Testkäufe bei Temu jedoch nicht.
- Fakt 1: Angaben zu Steuern sind bei Temu absolut transparent
- Fakt 2: Der Versand ist kostenlos, der Rückversand bei Retouren (sofern sie überhaupt nötig sind) auch.
- Fakt 3: Zollgebühren fallen in Deutschland für den Käufer erst an, wenn der Warenwert über 150 Euro ist – in diesem Fall verschickt Temu meist in mehreren Paketen, teilt damit auch die Rechnungen und den Warenwert auf.
- Fakt 4: Einfuhrumsatzsteuer – diese fällt bei jeglichem Warenwert an (entweder sieben oder 19 Prozent je nach Art der Ware), wird jedoch von Temu übernommen bzw. ist im in der App angegebenen Preis bereits enthalten - das ist möglich, weil Temu einen in Irland registrierten Unternehmenssitz hat.
Die Qualität
Die Qualität der Waren ist, weil Temu eine Verkaufsplattform ist, auf der verschiedenen Anbieter ihre Waren verkaufen, sehr unterschiedlich. In vielen Fällen entspricht sie aber auf jeden Fall der Qualität identischer Produkte auf anderen Verkaufsplattformen oder günstiger stationärer Händler.
Bei elektronischen Produkten sollte man bei Billiganbietern generell vorsichtig sein und in Sachen Markenpiraterie ist auch klar: 1. Es gibt keine Smartwatch bekannter Anbieter für unter 15 Euro und 2. Produktpiraterie ist kriminell. Findet der Zoll solche Waren in Paketen, werden diese einbehalten und vernichtet – auch eine Strafe für den Käufer wäre theoretisch möglich.
Wer ein Ladekabel für unter 50 Cent bestellt oder einen Staubsauger für weniger als 10 Euro, der muss sich einfach bewusst sein, dass er bei der Qualität und schlimmstenfalls auch bei der Sicherheit Abstriche machen muss. Daher sollte man bei solchen mutmaßlichen "Schnäppchen" generell - und nicht nur bei Temu - äußerst vorsichtig sein.
Auch der Kauf extrem günstiger Kosmetikartikel birgt - vor allem für Allergiker - Risiken. Auflistungen der Inhaltsstoffe sucht man meist vergebens und auch auf die Berwertungen der Käufer sollte man sich nicht unbedingt verlassen.
Was die Qualität von Textil-, nicht elektronischen Haushalts- und Dekoartikeln angeht, kann man feststellen, dass diese oft sogar besser ist als in den bekannten Billigshops vor Ort.
Die Sicherheit
Ja, die Temu-App kann - wie so viele andere Smartphone-Anwendungen auch - eine Datenkralle sein. Das kann aber jeder User selbst in den Einstellungen und Berechtigungen seines Telefons verhindern. Auch die Zahlungsmethoden entsprechen bei Temu denen, die andere Plattformen auch anbieten. Wer absolut sicher sein will, zahlt per Paypal oder Klarna.
Ja, die vielen Pop-ups, die aufdringliche Werbung - das nervt ein bisschen, ist aber harmlos und lässt sich, wenn man Newsletter und Benachrichtigungen ausschaltet, schnell abstellen.
Was den Versand betrifft, wurde bei den Testbestellungen durch Hermes und DHL geliefert - auch das durchaus vertrauenswürdige und etablierte Partner.
Einzig kritischer Punkt, der aufgefallen ist: Alle Produkte bei Temu haben erstaunlich gute Bewertungen. Sehr selten findet man Bewertungen mit weniger als den maximalen 5 Sternen. Im Selbstversuch wurden kritische Bewertungen von Temu abgewiesen und nicht veröffentlicht.
Das Gewissen
Natürlich gibt es viele Gründe, die gegen einen Einkauf bei Temu sprechen: lange Transportwege, undurchsichtige Herstellungsbedingungen, mangelnde Sicherheit, Konsumethik. Allerdings darf man sich nichts vormachen: ein großer Prozentsatz der Ware, die man in Deutschland bei stationären Händlern kauft, kommt ebenso aus China – reist bestenfalls im gleichen Frachtcontainer wie das Temu-Paket. Auch bekannte Modemarken lassen ihre – mitunter sehr teuren – Textilien in China oder Ländern mit ähnlichen Arbeitsbedingungen herstellen, von den Billiganbietern gar nicht zu sprechen.
Selbstverständlich ist es besser, den lokalen Handel vor Ort zu unterstützen, regional hergestellte Waren zu kaufen. Allein der Preis ist das Problem, denn die sind meistens sehr teuer. Nicht falsch verstehen: Die Preise sind absolut gerechtfertigt, wenn Produkte aus hochwertigen Rohstoffen, zu guten Bedingungen regional hergestellt werden. Aber leisten können sich das viele Menschen nicht. Es ist einfach so, dass viele Familien mittlerweile gezwungen sind, bei ohnehin kurzlebiger Kinderkleidung, auf Billigprodukte zurückzugreifen. Oft sind die nämlich sogar billiger als Markenware aus dem Secondhandshop. Und das ist nur ein Beispiel von vielen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass jemand, der „Plastikschrott“ bei Temu kauft, diesen auch ohne den neuen Anbieter irgendwo kaufen oder bestellten würde. Das ist aus ökologischer Sicht problematisch, lässt sich aber nicht verhindern. Gerade kommt beispielsweise Halloween-Deko in die Geschäfte. Die ist natürlich auch bei Temu ein Thema. Die Produkte ähneln sich nicht nur, sie sind identisch – aber beim China-Anbieter um ein Vielfaches günstiger als im hiesigen "1-Euro-Shop".
Fazit
Auf Plastikmüll stehe ich nicht so, den habe ich vor Temu nicht gekauft, den werde ich auch mit Temu nicht brauchen. Was meine Daten angeht, so fordert die Temu-App auch nicht mehr als jede andere Verkaufsplattform oder jedes Handy-Spiel. Die Zahlungsmethoden sind vielfältig – von Kreditkarte über Paypal bis Klarna ist alles möglich. Die Lieferzeiten sind OK, keines der Testpakete war länger als neun Tage unterwegs. Ein Testpaket ist unterwegs verschwunden, da hat Temu von selbst die Rechnung innerhalb weniger Minuten auf Null gesetzt. Ist ein Produkt kaputt oder entspricht nicht den Vorstellungen, war eine Rückerstattung stets problemlos – in vielen Fällen muss die Ware nicht einmal zurückgeschickt werden.
Ich habe – zugegebenermaßen aus Neugier – bei Temu bestellt. Und muss sagen, die Qualität der von mir ausgewählten Artikel - Textilien, Deko, Haushaltsware - war absolut in Ordnung. So ein Testkauf kann natürlich immer nur eine zufällige Momentaufnahme sein. Aber es ist Fakt, dass viele der Kleidungsstücke – eine Bildersuche macht es möglich dies nachzuvollziehen - auch in namhaften Onlineshops auftauchen. Temu verschickt die Jeans beispielsweise für unter zehn Euro und ohne Label – wird dieses zusätzlich aufgenäht, taucht die gleiche Hose in einem bekannten Modehaus auf und kostet 30 Euro mehr.
Es spricht – nach den bisherigen Erfahrungen – nichts gegen einen Einkauf bei Temu. Außer der Tatsache, dass die hiesigen Anbieter vermutlich wenig begeistert sind. Man muss sich daher fragen, ob die vielen Warnungen vor Temu nicht auch ein bisschen dem Druck der Lobby geschuldet sind. Denn wer direkt vom Hersteller oder Großhändler in China kauft, sorgt natürlich auch dafür, dass bei den Zwischenhändlern und Händlern in Europa und den USA weniger hängenbleibt. Ja, der stationäre Handel schafft Arbeitsplätze - aber das auch nur noch bedingt, denn oft werden Aushilfskräfte und Minijobber eingestellt. Und die wirklich guten, kreativen, traditionellen und einzigartigen lokalen Geschäfte, die ohnehin auf ihre eigenen oder regionale Produkte setzen, leiden unter Temu viel weniger als die großen Ketten, die sich überall in den Fußgängerzonen breit machen und die ihre Waren meist auch aus Asien beziehen - Ihr wisst, wovon die Rede ist.
Wie bei allem kommt es auch beim Kaufverhalten auf die Mischung an. Kauft, wenn ihr könnt und wenn es passt, vor Ort. Dann geht es auch mal völlig ok, einen Zehnerpack Socken oder -T-Shirts in China zu ordern. Denn in Asien kauft Ihr ganz oft auch, wenn Ihr in der Fußgängerzone einkauft - dann nur viel teurer. Am Ende muss jeder für sich selbst entscheiden, was er mit seinem Qualitätsanspruch und seinem Gewissen vereinbaren kann.
Autor:Heike Schwitalla aus Germersheim | |
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