#briefwechsel
Das Fenster zum Hof
Wertgeschätzte Kollegin, liebe Frau Bauer,
auch ich schreibe Ihnen heute aus der sozialen Isolation. Die Welt steht still und obwohl ich mitten in der Stadt wohne, höre ich am offenen Fenster im Home Office die Vögel zwitschern.
Die Studenten-WG im Nachbarhaus sitzt auf der Terrasse, genießt die Sonne und ein nachmittägliches Bier – alle in sicherem Abstand von einander. Zumindest auf diese jungen Leute können wir stolz sein. Kennen Sie Alfred Hitchcocks „Fenster zum Hof“? Ich halte mich nicht für einen Stalker, aber ein bisschen erinnert mich meine derzeitige Situation an diesen Film. Vor Corona war ich selten tagsüber zuhause und auch die Wohnungen und Balkone, die ich von hier aus einsehen kann, waren tagsüber meistens verwaist. Jetzt ist das anders und der Journalist in mir ist neugierig, hört zu und beobachtet – es gibt ja sonst nicht viel zu tun.
Nachbarn, die ich vor der Isolation kaum kannte, winken mir jetzt am offenen Fenster morgens zu, man grüßt sich, wechselt über den Hinterhof ein paar Worte.
Von daher glaube ich, oder hoffe zumindest, dass das Coronavirus unseren Umgang miteinander und vielleicht sogar die Gesellschaft insgesamt verändern wird. Ich wage noch nicht, das Wort nachhaltig zu verwenden, aber ich hoffe doch, dass wir uns, jetzt, wo wir uns voneinander entfernen doch auch gleichzeitig ein Stückchen näher kommen. Auch was die Solidarität mit all jenen betrifft, die von Corona noch einmal intensiver betroffen sind als wir – den so genannten Risikogruppen.
Denn es gibt sie natürlich auch hier in Karlsruhe, die Menschen – jeden Alters übrigens, die nicht zuhause bleiben, die sich zum fröhlichen Beisammensein auf den Spielplätzen und in den Parks treffen, die miteinander joggen gehen und sich auch sonst nicht an die sinnvollen, neuen Regeln halten. Ich würde mir wünschen, dass auch sie zur Einsicht kommen, bevor die Regierungen ihnen Verbote auferlegen müssen - einfach, weil ich mir im Ganzen und ganz generell mehr Solidarität wünschen würde.
Solidarität auch von denen, die mir seit Tagen das Klopapier wegkaufen. Denn Sie, liebe Frau Bauer, müssen auf Mehl verzichten, das ich tatsächlich noch in allen Varianten im Vorratsschrank habe. Ich wiederum muss bald, wenn die Welt nicht wieder Vernunft annimmt, tatsächlich auf Klopapier verzichten. Denn meine Vorräte gehen zur Neige.
In der Hoffnung, dass auch bald der letzte Karlsruher seine Klopapier-Vorräte aufgefüllt hat und dass dann ein Päckchen für mich abfällt, möchte ich meinen ersten Brief an Sie heute schließen. Möge er der Beginn einer wunderbaren Brieffreundschaft sein, denn auch mir fehlt das persönliche Gespräch mit Ihnen, das menschliche Gegenüber in „greifbarer“ Nähe.
PS. Ich hoffe, das Mehlproblem ist gelöst?
Herzlichst,Ihre Heike Schwitalla
Autor:Heike Schwitalla aus Germersheim | |
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