Unterwegs in und um Tarragona
Kaiser-Residenz, Menschen-Pyramiden und eine Wiedergeburt

Auf dem Reißbrett geplant: Das einstige Tarraco wurde als erste Stadt außerhalb Italiens von den Römern terrassenförmig über dem Meer angelegt – und wurde zu einer der wichtigsten Zentren der damaligen Provinz Hispania. | Foto: Daniel Basler
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  • Auf dem Reißbrett geplant: Das einstige Tarraco wurde als erste Stadt außerhalb Italiens von den Römern terrassenförmig über dem Meer angelegt – und wurde zu einer der wichtigsten Zentren der damaligen Provinz Hispania.
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Sie schimmert immer noch durch - die imperiale Macht Roms: An allen Ecken und Enden im historischen Tarragona sind Relikte der antiken Zivilisation anzutreffen. Dennoch ist die Hafenstadt südlich von Barcelona alles andere als ein konserviertes Freilichtmuseum: Ihre lebendige katalanische Kultur und ihr wildes Hinterland machen sie gleichwohl zu einem ganzjährigen facettenreichen Reiseziel, das man bei einem Aufenthalt an der Nordostküste Spaniens unbedingt mit auf das Urlaubsprogramm setzen sollte.

Türme, die aus Menschen bestehen, römische Relikte auf Schritt und Tritt, ein gebirgiges Hinterland mit urtümlichen Dörfern und renommierten Weindomänen: Sinnbildlich gesprochen sind das nur ein paar Farbtupfer aus dem prall gefüllten „Malkasten“, den die Provinz Tarragona und ihre gleichnamige Hauptstadt zusammen ausmachen. Die Römer, so ist es allenthalben in den Geschichtsbüchern überliefert, sollen in dieser Ecke Kataloniens im Nordosten Spaniens, nachdem sie im Krieg gegen Karthago die Oberhand behielten, sich so richtig „breit“ gemacht haben. „Das milde Klima und die schöne Küste waren offenbar so attraktiv, dass man gleich ein kleineres, zweites Rom hier in Angriff genommen hat“, deutet Bruno van Maurik auf tonnenschwere, übereinander geschichtete Quaderblöcke hin. Die Baumeister und Legionäre aus Italien haben dabei ganze Arbeit geleistet.

„Seit über 2000 Jahre stehen sie für ein ambitioniertes Bauprojekt. Eine ganze Stadt auf dem Reißbrett geplant, mit allem was damals ein antikes Gemeinwesen auszeichnete“, erklärt der aus den Niederlanden stammende Guide unserer Gruppe auf dem Weg von den Resten der einst über 3,5 Kilometer langen Stadtmauer zu einem besonderen Aussichtspunkt, dem sogenannten Torre del Pretorio. Die Mühe auf den Festungsturm hinaufzusteigen, ist oben, nachdem man auf die große Dachterrasse hinaustritt, bei allen schnell verflogen. „Zu Füßen liegt uns eine der ehemals wichtigsten Metropolen am Mittelmeer, die früher Tarraco hieß, Hauptstadt der Provinz Hispania Citerior war, und zur Zeitenwende zu den reichsten und bedeutendsten Siedlungen der Antike zählte, wovon vieles erhalten blieb“, zeigt unser Stadtführer reihum auf markante Monumente in der Altstadt und nennt gleich ein Dutzend Gebäude, die römische Herrscher wie Augustus, Vespasian oder Trajan auf einem terrassierten Plateau, nur ein Katzensprung von den Ufern der heutigen Costa Daurada (ihr Name rührt von den goldschimmernden Stränden her) entfernt, hinterlassen haben.

„Praktisch steht das ganze historische Zentrum auf Ruinen und Mauerresten, was letztlich Neubauten verunmöglicht und somit dafür sorgt, dass das einzigartige Ensemble archäologischer Baudenkmäler so erhalten bleibt“, erwähnt der 71-jährige Wahlkatalane (er ist schon Jahrzehnte dort zuhause) beim Verlassen des Eckturms die Gründe für die Aufnahme von Circus, Forum, Tempel, Thermen oder Amphitheater in die Liste des UNESCO-Welterbes im Jahr 2000. Gleich welches dieser Monumente man ansteuert, allesamt ist den gut erhaltenen Restanlagen gemeinsam, dass man als Besucher von ihren einst schieren Ausmaßen unwillkürlich ergriffen wird, berichtet uns der Guide von derlei Feedback vieler Reisegruppen.
„Greifbar ist dieses Gefühl am eindringlichsten in der elliptischen Arena, deren Fläche von 110 mal 90 Metern geschickt in einen Hügel hineingebaut wurde, um den Zuschauern von Gladiatoren- und Tierkämpfen und später auch von Hinrichtungen Verurteilter ein unmittelbares Spektakel zu bieten“, blendet der Stadtführer einige Szenen ein, die vor über 1800 Jahren im Amphitheater Teil der Gewohnheiten der römischen Gesellschaft ausmachten.

Was damals sonst noch alles den antiken Alltag bestimmte, von Mosaiken, Fresken, Keramiken, Schmuck und Gebrauchsdingen, dazu ist das nahe liegende Archäologische Nationalmuseum (MNAT) eine erstklassige Adresse, um sich über die wechselvollen Zeiten in Tarragona ein Bild zu verschaffen – und dabei werden Jung und Alt gleichermaßen angesprochen. „Die wertvollen Bestände und Exponate sind nach der Renovierung ganz modern und erlebnisorientiert in Szene gesetzt“, hebt van Maurik auf die herausragende Qualität der Ausstellungskonzeption ab. Bevor wir das schöne, aus dem 19. Jahrhundert stammende Gebäude betreten, gibt es direkt am gleichen Ort, dem Plaza del Rei, einen Exkurs in die einheimische Kulinarik: In einem kleinen Lokal, in dem die Tradition einer Taberna Marinera (Hafentaverne) mit frischen Produkten aus dem Meer, gepaart mit den typischen Rezepten der 135.000 Einwohner-Stadt im Süden der spanischen autonomen Region Katalonien, kreativ und bodenständig gepflegt wird.

Ein nach heimischer Art zubereitetes kraftvolles Reisgericht mit pikantem Romesco-Paprika, Seeteufel und Venusmuscheln sorgt für den nächsten Schwung, uns Teile der Sammlungen, die überwiegend von Ausgrabungen der letzten 150 Jahre stammen, anzuschauen und dann über die Plaça de la Font, den schmucken Rathaus-Platz (er steht auf Resten des römischen Zirkus), zum Balcón del Mediterráneo hinüber zu schlendern und etwas zu verschnaufen. Am Ende der breiten Promenade Rambla Nova, die schon zur Neustadt gehört, erhebt sich eine längere Aussichtsplattform mit Balustrade, die uns zu einer Rast mit einer leichten See-Brise und einem erhebenden Panorama-Ausblick einlädt: Vor uns entfaltet sich das gut erhaltene, ovale Rund des Amphitheaters (an der Via Augusta gelegen), die Eisenbahnlinie, das Hafen-Areal und der Strand del Miracle, zu dem man für einen Sprung ins Wasser leicht in ein paar Minuten hinunter gehen kann.

Anstatt uns diese Erfrischung direkt zu gönnen (wir holen sie am zweiten Tag abends aber nach), bummeln wir die Rambla Nova, die knapp zwei Kilometer lange zentrale Achse Tarragonas mit Allee-Charakter, vielen Bars und Cafés, hinab zu unserer Hotel-Unterkunft am großflächigen Plaça Imperial Tàrraco in der Unterstadt, von dem aus alle Hauptattraktionen des ehemaligen Zentrums des römischen Iberia fußläufig mühelos angesteuert werden können.

Ein Stopp bleibt uns auf dem Rückweg dennoch nicht erspart, der uns unmittelbar steil in die Höhe blicken lässt: Verschlungene, in Bronze gegossene Leiber bilden eine nach oben sich verjüngende menschliche Pyramide, die in ihrer Dynamik den echten Castells (was wörtlich übersetzt „Burg“ bedeutet), recht nah kommt. Geschaffen wurde die akrobatische Turmkonstruktion vom Bildhauer Francesc Anglès, deren realer Ursprungsort in Tarragona vermutet wird, aber auch in anderen katalanischen Orten eine lange Tradition hat. „Los ging es wohl vor ungefähr 200 Jahren mit religiösen Gruppen, die die Turm-Figuren bei Prozessionen aufführten. Dann rückte der Wettkampf untereinander immer mehr in den Vordergrund, wobei das religiöse Element zurücktrat, bis es nur noch um Spiel und gewagtere technische Aufstellungen aus bis zu 500 Personen ging“, erfahren wir von unserem Reisebegleiter Details zur Kultur der Castelles.
Um sich für derartige, kunstvolle Vorführungen aufzuschichten, treffen sich Menschen heute in ganz Katalonien, oft im Rahmen von besonderen Anlässen. „In Tarragona sind hier besonders das Patronatsfest der Heiligen Tekla Ende September oder der große Wettbewerb Concurs de Castells de Tarragona am ersten Sonntag im Oktober in geraden Jahren in der Arena der Stadt zu nennen, wobei immer ein bisschen Nervenkitzel mitschwingt“, verabschiedet sich Bruno van Maurik mit dem Tipp und einem Schmunzeln im Gesicht, dass es einem Extra-Bonbon gleichkommt, auf einer Reise durch diese vielfältige Region Spaniens, die „katalanischen Superkräfte live mitzuerleben.“

Am zweiten Reisetag steht eine andere Art von Besonderheit dieses Landstrichs auf dem Plan: Auf eigene Faust und per Mietwagen fahren wir aus Tarragona in Richtung Nordwesten hinaus aufs Land und erreichen nach gut 40 Kilometern eines der ältesten Weinanbaugebiete Spaniens, malerisch eingebettet in eine weite Landschaft und die schroffen Berge der Serra de Montsant – und Schauplatz einer außergewöhnlichen Story oder besser „Wiedergeburt“. Sie nahm zu Beginn der 80er-Jahre ihren Anlauf und heute spielen ihre flüssigen Erzeugnisse in der Top-Liga der internationalen Weinproduzenten. Die vier gleichgesinnten Önologen René Barbier, Alvaro Palacios, Carles Pastrana und José Luiz Pérez machten dies möglich: Ihnen gelang es, den zuerst von den Römern und den Klöstern betriebenen, arbeitsintensiven Weinbau zu neuen Ufern zu führen und aus dem Potenzial des Priorat-Terroirs mit seinen durch Vulkanverwitterung und kargen Schiefer geprägten Gesteine sorgfältig komponierte Rotweine auszubauen. Im malerischen Dorf Poboleda mit seinen terrassenförmigen Weinbergen, geschützt durch die Gebirgszüge Montsant im Nordwesten und der Serra del Mollo im Südosten, kommen wir um einen Abstecher in eine der renommierten lokalen Bodegas (manche Weinkellerei der Gegend erstaunt mit modernistischer Architektur) nicht drum herum – auch nicht um eine Mini-Kostprobe der edlen Tropfen aus den einheimischen Rebsorten Cariñena und Garnacha.

Und damit wir die Essenz dieser zerklüfteten, fast schon mystisch anmutenden Bergwelt mit ihren steil abfallenden Schluchten und dazwischen eingestreuten alten Dörfern noch bei Gaumenfreuden in heimischen Gefilden nachklingen lassen können, ist es uns Wert, zwei Flaschen aus dem eher höheren Segment der Priorat-Weine (wie gesagt: sie zählen zu den hochklassigen D.O.Ca Regionen Spaniens) ins Gepäck zu packen und zu Hause in Erinnerung an diese besonderen Reisemomente des Lebens diese rückblickend nochmals innig zu genießen.

Text und Fotos Daniel Basler

Gut zu wissen: Interessante und weiterführende Infos zur Region Tarragona, zum Urlaubsort Tarragona und seiner Umgebung gibt es unter www.catalunya.com, www.tarragonaturisme.cat, www.costadaurada.info, www.katalonien-tourismus.de, www.spain.info

Katalonien kennenlernen: Dafür hat das katalanische Tourismusbüro ein neues Angebot gestrickt. Unter dem Motto „Grand Tour“ wurden fünf Etappen entwickelt, die Region im Nordosten Spaniens mit Auto, Wohnmobil oder Motorrad zu erkunden, wobei Wander-, Rad- oder Paddeltouren dabei integriert werden können. Die insgesamt 2000 Kilometer lange Strecke führt zu Naturparks, wilden Flusstälern und Schluchten, in die Pyrenäen, zu Wein- und Mittelalterdörfern, zu geschichtsträchtigen Städten und kulinarischen und kulturellen Attraktionen. Tipps und Beschreibungen zu den Routen finden sich unter www.grandtour.catalunya.com/de oder in gedruckter Form in einem aktuellen Reiseführer: Grand Tour von Katalonien, Verlag Reisedepeschen, 192 Seiten, 24 Euro.

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Autor:

Daniel Basler aus Karlsruhe

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