Timo Holstein über die schwierige Lage in der Veranstaltungswirtschaft
„First in - Last out“
Coronakrise. Die Lage in der Veranstaltungswirtschaft ist durch die Coronapandemie mehr als ernst. Musiker, Veranstalter und Unternehmer hat der Lockdown im März als erstes hart getroffen. Viele kämpfen mittlerweile um ihre Existenzen. Das Wochenblatt sprach mit Timo Holstein, Inhaber der Eventmanagement- Firma „EigenArtevents“ in Kirchheimbolanden.
Von Claudia Bardon
???: Sie selbst sitzen auch in diesem Boot mit Ihrer Eventmanagement-Firma „EigenArtevents“. Wie geht es Ihnen in der aktuellen Situation und wie haben Sie diesen Lockdown im März erlebt?
Timo Holstein: „Der Lockdown einer ganzen Branche zeichnete sich bei uns schon im Februar ab, als zunächst das gesamte bundesweite Messegeschäft binnen weniger Tage zusammenbrach. Als dann das sehr vage und langfristig ausgesprochene Veranstaltungsverbot bis zum 31. August ausgesprochen war, standen für die ersten drei bis vier Wochen die Telefone nicht still. Unsere Arbeit ruhte nicht, sie explodierte zunächst förmlich. Storno reihte sich an Storno und musste bewertet, dokumentiert und abgewickelt werden. Jegliches örtliche Vermiet- und Booking-Geschäft ist um 100 Prozent zusammen gebrochen, keinerlei kommunale Veranstaltungen - in denen wir uns in den letzten Jahren durchaus auch überregional einen Namen als Berater und Generalunternehmer für Städte und Kommunen gemacht haben - fanden und finden bis auf Weiteres statt. Dazu kamen Absagen und Verlegungen von über 65 Open-Air-Festivals in Deutschland, Österreich und der Schweiz der von uns betreuten Bands wie Michael Schulte und Glasperlenspiel. Hier mussten wir bei jedem Fall die juristische Lage der Absage, deren Zeitpunkt prüfen, dies ist der föderalen Struktur geschuldet, in nahezu jedem Fall aufs Neue und unter anderen örtlichen Herangehensweisen. Es ist ein Fass ohne Boden. Nicht unwesentlich, dass auch keine Versicherung ob der Sonderlage der Pandemie greift. Künftig wird sich das Vertragswesen radikal ändern. Begriffe wie „Höhere Gewalt“ gehören der Vergangenheit an. Unterdessen sind meine Mitarbeiter in Kurzarbeit und wir versuchen nach Troubleshooting, das Wenige, das man ohne Aussicht auf einen Restart planen kann, zu erledigen, sodass wir im Falle eines Neuanfangs durchaus gerüstet sind. Es besteht jedoch die berechtigte Befürchtung, dass viele Dienstleister und Partner den langen Weg nicht überleben werden.“
???: Was müsste sich Ihrer Meinung nach in der Politik oder auch allgemein ändern, dass Musiker, Veranstalter, Eventmanager in der Coronakrise nicht in eine Insolvenz abrutschen?
Timo Holstein: „Zunächst gehört in diesem Falle tatsächlich, der Sondersituation geschuldet, der föderale Flickenteppich in Hilfsprogrammen aufgelöst. Nachbarbundesländer haben binnen Stunden nach Auflage der Ersthilfe reguliert, in Rheinland-Pfalz gingen vier Wochen ins Land. Der viel und gerne zitierte Soloselbstständige geht in unserem Heimatbundesland leider leer aus. Während ein Techniker beispielsweise aus Karlsruhe unmittelbar Hilfe erhielt, wird ihm hier zur Grundsicherung geraten. Die Definition von Betriebskosten, die Erfassung derer, die die Veranstaltungswirtschaft wirklich darstellen - und wir sind ein Wirtschaftsbetrieb, kein Hobby und bei allem Respekt auch kein Kunstförderprojekt - hinkt in der politischen Wahrnehmung um Jahrzehnte hinterher. Es werden ganze Zweige der Branche gar nicht gesehen, fallen durchs Raster. Das Agenturwesen, Technikdienstleister, Personaldienstleister und eben die vielen Soloselbstständigen. Das neuere 6-Punkte-Programm des Landes zielt daher leider an einem nicht unbeträchtlichen Anteil der „Player“ komplett vorbei. Themen wie die KSK-Mitgliedschaft als Voraussetzung für Hilfsgelder sind das Eine. Die von vielen Bundesverbänden wie dem BDKV, VPLT und dem IMUC - in dem ich selbst im Bundesvorstand sitze - geforderten Ansätze wie eine Berücksichtigung eines wie auch immer gearteten Unternehmerlohns in den Monaten der de facto Berufsunfähigkeit, weil Untersagung, sind weitreichende Kernforderungen.“
???: Sie selbst haben Musiker in Ihrer Betreuung, wie geht es diesen und wie meistern Sie gemeinsam diese Situation? Gab es schon Schützlinge, die aufgeben mussten?
Timo Holstein: „Bei dem ein oder anderen Techniker im Umfeld der betreuten Acts sieht es schon in wenigen Wochen mehr als düster aus, so haben auch einige Technikpartner und Fuhrunternehmen wie eben auch Spielstätten derzeit kaum mehr Luft zum Atmen. Es steht zu befürchten, selbst wenn der Hauptact, sprich zum Beispiel das Management-Thema als solches, sicher überlebt, dass hernach beim „Restart“ der ein oder andere Dienstleister und Mitglieder der Crews, Mietmusiker auf der Strecke geblieben sind. Das zieht sich durch alle Felder der Branche. Der Mangel an einer Vision, wann denn wieder vollumfänglich veranstaltet werden kann, macht die Situation nicht besser. Wir müssen davon ausgehen, dass weder pro-bono Streamingkonzerte, noch Veranstaltungen mit reduzierten Kapazitäten, dass weder Autokino-Konzerte noch neuere Konzepte die Branche retten, sie sind schlichtweg kein Geschäftsmodell. Erst wenn wieder ohne jegliche Abstandsregularien und zusätzliche Sicherheitsauflagen geöffnet werden kann, wird hier langsam von der Rückkehr zur Normalität die Rede sein, das ist sicher nicht vor 2021. Wir unterliegen hier wirklich dem „First in - Last out“. Die Veranstaltungswirtschaft wird als Letzte wieder loslegen können.“
???: Wo sehen Sie eine Chance aus diesem „Coronaloch“ jemals wieder aufzusteigen?
Timo Holstein: „Hier hilft wirklich nur das Durchhalten derer, die in den letzten Jahren solide aufgestellt waren und mit einem gewissen Polster ausgestattet sind. Eines gilt, egal ob One-Man-Show oder Großkonzern, hier sind derzeit alle Player der Branche gleichwohl getroffen. Ferner bleibt es an uns, den politischen Diskurs zu suchen, der Branche eine Stimme zu geben und sowohl im Kleinen wie auch in Verbandsarbeit an Modifikationen der Hilfen zu arbeiten. Ich selbst bin seit Wochen sowohl auf Landes- wie auf Bundesebene tätig und versuche im Rahmen meiner Möglichkeiten hier einzuwirken und im wahrsten Sinne des Wortes Lobbyarbeit zu erledigen. Denn ohne uns wird es nicht nur düster, sondern auch tatsächlich schon bald sehr still!“
???: Kommenden Montag, 22. Juni, um 21 Uhr, soll eine bundesweite Aktion „NIGHT OF LIGHT“ starten. Bis jetzt haben sich über 1000 Betriebe deutschlandweit gemeldet. Was genau ist diese Aktion und was soll damit bewirkt werden und vor allem wo in unserer Region kann man diese erleben? Werden Sie auch dabei sein?
Timo Holstein: „Wir gehen davon aus, dass am Ende fast 2.000 Unternehmen, Spielstätten und Partner der Branche in vielen hundert Städten und Gemeinden, jeweils ihr Firmengebäude, das eigene Theater oder Kino, die Festhalle oder ein markantes Gebäude der Stadt rot illuminieren, um auf die Situation von rund zwei Millionen Arbeitnehmern und Selbständigen der Veranstaltungswirtschaft hinzuweisen. Wir selbst werden unseren Firmensitz, das Büro- und Lagergebäude in der Uhlandstraße als Solches in „Rot“ hüllen und diese Bilder so auch nach draußen senden. clh
Weitere Informationen zu der bundesweiten Aktion "NIGHT OF LIGHT" unter:
Autor:Claudia Bardon aus Wochenblatt Kirchheimbolanden |
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