Erinnern gegen die Gleichgültigkeit
SÜW-Delegation berichtet von Eindrücken beim Gedenktag in Oswiecim
Kreis SÜW/Oswiecim. „Das elfte Gebot: Du sollst nicht gleichgültig sein. Denn wenn du gleichgültig sein wirst, so wird - ehe du dich versiehst - auf euch, auf eure Nachfahren plötzlich irgendein Auschwitz vom Himmel fallen.“ Diese Rede hielt der Auschwitz-Überlebende Marian Turski am 27. Januar 2020 bei der Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Genau vier Jahre später hat SÜW-Landrat Dietmar Seefeldt Blumen am „Grab des unbekannten Soldaten“ in der polnischen Stadt Oswiecim abgelegt. Die Schleife am Blumengesteck trug neben dem Schriftzug der Südlichen Weinstraße, bezugnehmend auf dieses elfte Gebot, die Aufschrift: „You shall not remain indifferent. Indifference kills.“ (Deutsch: „Du sollst nicht gleichgültig sein. Gleichgültigkeit tötet.“)
Delegation von der Südlichen Weinstraße
Landrat Dietmar Seefeldt, Kreismusikschulleiter Adrian Rinck und Professor Matthias Bahr von der Universität in Landau haben als Delegation von der Südlichen Weinstraße auf Einladung von Janusz Chwierut, dem Stadtpräsidenten von Oswiecim, am Gedenken in der polnischen Stadt teilgenommen. Diese Ehre wird nur wenigen mit Oswiecim befreundeten Städten in Europa zuteil, viele davon sind ebenfalls für dort begangene Nazi-Gräueltaten bekannt: Dachau, Gernika (Baskenland), Ballan-Miré (Frankreich), Sambor (Ukraine), Breisach, Kerpen, Cori (Italien) und Arezzo (Italien). Durch die Kooperation der Musikschulen von SÜW und Oswiecim ist auch die Südliche Weinstraße in diesem Jahr eingeladen worden, in welchem sich die Befreiung von Auschwitz zum 79. Mal jährt.
Zeremonie in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau
Neben der Kranzniederlegung am Mittag in der jahrhundertealten polnischen Stadt Oswiecim, die unter der Nazi-Herrschaft Auschwitz hieß, hatten die Delegationen am Abend des 27. Januars auch die Möglichkeit, an der Gedenkveranstaltung im früheren Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau teilzunehmen. Überlebende und ihre Angehörigen, Vertreter des polnischen Staats und des Staats Israel sowie weitere Diplomaten aus der ganzen Welt kamen für die Zeremonie an einer ehemaligen Frauen-Baracke des Lagers zusammen. Am internationalen Mahnmal in Birkenau wurde anschließend das jüdische Totengebet gesprochen, und es wurden Kerzen angezündet.
Vor Ort für ein ,Nie Wieder‘ einsetzen
Landrat Dietmar Seefeldt berichtet von den Eindrücken vor Ort: „Jeder, der einmal eines der früheren Konzentrations- und Vernichtungslager besucht hat, weiß, wie betroffen einen der Schrecken macht, der hier geschehen ist. Doch während der Zeremonie neben dieser Baracke zu sitzen und die Schilderungen von einer der letzten noch unter uns weilenden Überlebenden des Lagers zu hören, war darüber hinaus so unfassbar beklemmend, erschütternd und aufwühlend, dass ich diesen Tag des Gedenkens an die Befreiung von Auschwitz niemals vergessen werde.“
Er führt aus: „Wir erinnern am Gedenktag an die sechs Millionen Jüdinnen und Juden, die von den Nazis ermordet wurden, an Sinti und Roma, Zwangsarbeiter, Menschen aus der polnischen Bevölkerung, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle, und die vielen anderen Opfer des NS-Regimes. Dass in der aktuellen Debatte in Deutschland völkisches Gedankengut, Nationalismus und Vertreibungsphantasien zurück sind, ist mir völlig unverständlich und darf uns als demokratische Gesellschaft nicht gleichgültig lassen. Wer Auschwitz besucht, weiß, dass wir uns in Europa, in Deutschland und in unseren Kommunen vor Ort für ein ,Nie Wieder‘ einsetzen müssen.“
Konzert des Kreismusikschulleiters am Vorabend
Der Jazz-Pianist Adrian Rinck gab am Vorabend des Gedenktags ein Konzert in der Staatlichen Musikschule von Oswiecim, das für die internationalen Delegationen ausgerichtet worden war. Seine Schule kooperiert seit zwei Jahren durch Austausche von Musikschülerinnen und -schülern eng mit der dortigen Einrichtung. Was auch erklärt, warum er als „our musical friend“, deutsch: „unser musikalischer Freund“ von der Moderatorin des Abends angekündigt wurde. Er hatte seinem Spiel auch eine kurze Ansprache ans Publikum vorausgeschickt. „Gerade beim Jazz, beim Improvisieren, spielt ja die Situation, die Interaktion mit den Zuhörerinnen und Zuhörern eine besondere Rolle - trotz des traurigen Anlasses habe ich das Publikum als positiv und zugewandt wahrgenommen, ein ganz besonderer Konzertabend für mich. Musik ist eine internationale Sprache, die jeder versteht, und die für mich der Weg ist, Menschen über Grenzen hinweg zusammenzubringen.“
Neue Wege der Erinnerungskultur finden
Matthias Bahr, Professor für katholische Theologie sowie wissenschaftlicher Leiter des Arbeitsstelle „Menschenrechtsbildung“ im Fachbereich Kultur- und Sozialwissenschaften an der RPTU in Landau, wirkt bereits viele Jahre im Stiftungsrat der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Oswiecim mit. Er setzt sich dort und über andere Projekte für die Menschenrechtsbildung ein. Auch das Kooperationsprojekt „Youth. Europe. Music.“, in welchem die Kreismusikschule SÜW mit polnischen und französischen Freunden kooperiert, hat er mit initiiert. Nach den Feierlichkeiten des 27. Januars in Oswiecim und in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau hält er fest: „Je mehr Zeit vergeht, desto weniger Überlebende des Lagers können uns noch persönlich berichten.“ Bahr weiter: „Die Erinnerungskultur muss neue Wege finden, zu gedenken. So verändert sich unsere Bildungsarbeit mit jungen Menschen, auch in der Jugendbegegnungsstätte von Oswiecim. Auf der kulturellen Ebene können Projekte wie unser ,Youth. Europe. Music‘, das junge Menschen aus Polen, Frankreich und Deutschland zusammenbringt, künftig verstärkt dazu beitragen, das Erinnern fortzuführen und sich für die Menschenrechte einzusetzen.“
Landrat Dietmar Seefeldt freut sich, im Frühsommer polnische Musikschülerinnen und Musikschüler wieder in der Pfalz begrüßen zu können. Ein Besuch der Freunde aus Oswiecim an der Südlichen Weinstraße und in Weißenburg ist für Mai geplant. red
Autor:Sabine Meyerhöffer aus Landau |
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