Fotostrecke
Das Erbe des Surrealismus: Wo mutet Heimat andersartig, exotisch, fremd, skurril an?

Das Creation Center: Hier werden Firmen zur Produktentwicklung beraten, von Ingenieuren, Designer, Chemieexperten.  | Foto: Julia Glöckner
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Ludwigshafen.Am 23. Januar jährt sich der Todestag von Salvador Dalí zum 35. Mal. Anlass zu fragen also, was die Surrealisten eigentlich wollten, was von ihrer Kunstrevolte geblieben ist und was wir heute von ihnen lernen können? Eine Fotostrecke führt an die Orte Ludwigshafens, wo Heimat andersartig, fremd, exotisch oder skurril anmutet und wo Träumen erlaubt ist.

Von Julia Glöckner

Von jeder Revolte bleibt etwas, aber keine Bewegung prägte die Kunst im 21. Jahrhundert und bis heute so sehr wie der Surrealismus. Er entstand in den 1920ern aus der Sehnsucht nach Traum, Fantasie, nach mehr Kreativität. Im ersten Weltkrieg hatte das Bildungsbürgertum mit seinen Erwartungen an die Kunst auch eine Menge Regeln ans schöpferische Tun herangetragen. Vor allem in der Malerei wollte man das „Banale“, das dadurch entstanden war, überwinden. Kunst war nur noch eine wenig kreative und Zwängen unterworfene Beschäftigung geworden. Die Surrealisten wollten die Regeln infrage stellen. Dazu richteten sie den Blick ins Innere – in die Welt des Unbewussten, der Träume, der Fantasie – die Urquelle der Kreativität, die bis dahin als Inspirationsquelle nichts gegolten hatte.

Der Surrealismus war ein Weckruf und seine Vertreter wie Dalí glaubten: Zu viel von Ratio, Logik, Vernunft, Ordnung und die Suche nach objektiv Erfahrbaren hatten den Blick der Menschen verengt, Kriege hervorgebracht, unfaire gesellschaftliche Verwerfungen zwischen Arbeitern und Besitzenden geschaffen, menschliche Beziehungen geschaffen, die nur darauf beruhen, dass sie sich auszahlten. Sie fanden künstlerische Mittel, um zu zeigen, dass der Geist nicht nur im rationalen Verstand lebt und dass sich einem Wunderbares erschließen kann, wenn man inneren Bildern folgt. Sie richteten den Blick all das, was nicht rational erschließbar und damit allgemein verständlich, aber trotzdem verstehbar ist. Die Rolle des Künstlers war, was er in sich sieht, zu projizieren.

Die Surrealisten versuchten, ihr Unbewusste und Traumhaftes – das Freud in den 1920ern erst entdeckte - für die Kunst zu nutzen, indem sie mit Gestaltungsmitteln des Zufalls und der Spontaneität arbeiteten. Sie wollten sich so der Kontrolle durch ästhetische Normen und Moral entziehen und den Zwängen der Logik entgehen.

Die Bewegung half den Menschen auch, über die Schrecken des ersten Weltkriegs wegzukommen. Collagen und Bilder kombinieren und vereine Gegenstände ungewöhnlich, sogar im Kontrast, und spielen mit zerbrochener Welt, um eine neue Welt voller Wunder zu schaffen. In den Werken entsteht eine übergeordnete, geheimnisvolle Wirklichkeit.

Die Bewegung ist eine Ode an die Fantasie und Kreativität. Der 35. Todestag von Dalí wirft auch die Frage auf: Wie surrealistisch ist Ludwigshafen? Gibt es Ort, wo Heimat andersartig, fremd, exotisch oder skurril anmutet oder wo Raum zum Träumen bleibt? Eine Fotostrecke gibt Antworten.

Wandkunst von Muralo

„Auch wenn wir nicht explizit surrealistische Künstler:innen beauftragt haben, finden sich in vielen Werken surrealistische Einflüsse wieder“, erklärt Andreas Heinrich von Muralo, dem Team, das sie wunderbaren Wandbilder im Stadtgebiet malt und beauftragt. „Die Verwendung dieser surrealistischen Elemente erlaubt es, Künstler:innen, die schwer in den Grenzen der Realität auszudrückenden Aspekte der persönlichen Vorstellung und Erfahrung näher zu beschreiben. Wieso also einengen lassen?“ Beispiele sind etwa die in der Teetasse badende Frau von Natalia Rak und die „Waldtiernachbarn“ von Limo in der Karlsbader Straße. 

Coole Zonen am Fluss

Die junge Stadt hat viele Potenziale und an vielen Ort gibt es deshalb Raum für Träumereien, wie sich die Stadt in den nächsten Jahren entwickeln soll. Etwa an den coolen Erlebniszonen am Fluss, wo sich Nostalgie und Zukunft verbinden, wo ehemalige Hafenanlagen standen. Dort gibt es für die Stadtentwicklung Potenzial zum Ausbau. Alle Stadtplanungen seit den 70ern zielten darauf, die City-Nutzung an den Rhein zu führen. Bis in die 80er dachte man darüber nach, dies in einer Hoch-Ebene über die Hafenanlage zu tun. Seitdem der Hafen nach Süden hin als Kaiserwörthhafen verlegt wurde, ist nun Platz dafür. Es sind Zonen mit Aufenthaltsqualität entstanden, erste Praxisergebnisse einer Vision.

LU, Deine Bunker

Mit sechs Meter dicken Wänden und zehn Meter dicken Decken aus Stahlbeton sind sie leider nicht zu sprengen und nur schwierig abzutragen. Nun wird der erste Hochbunker trotz Denkmalschutz für den Bau der Helmut-Kohl-Allee abgerissen. Aus weiteren hat man kultige Kulissen und architektonisch kunstvolle Gebäude gemacht: Kulturm und Creation Center der BASF sind skurrile Architekturdenkmäler im Stadtgebiet.

Exoten in Ludwigshafen

Ludwigshafen ist die Stadt der Platanen, die man besonders oft an Mittelmeerpromenaden in südeuropäischen Städten findet, etwa auf Korsika. Dort kommt sie her und wächst in der wärmsten Stadt der Rheinebene genauso gut. Wie gut Exoten hier wachsen, zeigt sich auch am Gingko-Baum. In der Raschigstraße etwa pflanzte das Gartenbauamt sie vor zwei Jahrzehnten, weil sie extrem widerstandsfähig gegen Hitze, Trockenheit sind. Über den Ginkgo ist auch bekannt, dass er sich auch Abgasen in der Luft nicht so viel macht wie andere Bäume. 120 Stück wachsen derzeit in Ludwigshafen.

LUs hängende Gärten

Steht man vor dem Gebäude, das heute die Pfalzwerke beherbergt, sieht man sie schon vor sich: LUs hängende Gärten, die Teil des visionären, verträumten Stadtentwicklungskonzept der Lukom sind. Das Gebäude eignet sich mit seinen nicht überdachten Terrassen für die Bepflanzung mit Hängegärten. Bis 2050 soll die City ihr Gesicht komplett verändern, Ludwig- und Bismarckstraße werden zum Nachmittagsboulevard und überall wird es hängendes Grün geben.

Skurrile Baustellen

Manche Baustellen gehören zu den Skurrilitäten im Stadtgebiet. Das Loch am Berliner Platz ist ein stummer Zeuge für ein verschlepptes Privatisierungsprojekt. Auch die pinkfarbene Tube, die sich durch die City zieht bis an den Rhein, ist kein Kunstwerk oder eine neue Gasversorgung, sondern Teil der Entwässerungsanlage zur Baustelle fürs neue Polizeipräsidium.

Fabelwesen

Die komischen Vögel sind das inoffizielle Aushängeschild des Restaurants Elwetritsche. Das drollige Fabelwesen, eine Kreuzung aus Ente, Gans, Huhn, Kobold und Elf, soll eine Erfindung von Söhnen des Pfälzer Kurfürsten gewesen sein. Die scheuen Wesen lieben Trauben und bringen den Menschen Glück. Sie sind älter als der Surrealismus – denn in der Mythologie ist Fantasie alles. Dalí nutzte in seinen Bildern die Mythologie und deutete sie.

Und was jetzt?

In der Philosophie liegt dem Surrealismus die Weltanschauung zugrunde, dass Neues entdeckt werden kann, wenn wir vorurteilsfrei und spontan wahrnehmen. Zudem gingen sie von der Relativität von Faktizität aus, dass es die Welt, wie wir sie kennen also nicht gibt, sondern sie Ergebnis unserer subjektiven Auffassung ist. Was wir von den Surrealisten lernen können ist, Verankertes zu hinterfragen und kreative, mutige Ideen und Lösungen zu erlauben – sicher hilft uns das aus dem Krisenmodus und aus der Klima- und Wirtschaftskrise selbst. Wir suchen neue Antworten auf die Frage „Was jetzt?“. Denn Gewohnheiten und Automatismus sind aus neuropsychologischer Sicht nicht mehr als Energiesparmechanismen. Das braucht die Gabe, einfache, naive Fragen zu stellen. Uns macht zum Glück mehr aus als nur Ratio. jg

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Autor:

Julia Glöckner aus Ludwigshafen

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