Interview mit Professor Norbert Kersting
"OBs haben wenig Spielraum"
Ludwigshafen. OB Jutta Steinruck ist aus der SPD ausgetreten. Julia Glöckner sprach mit dem Politikwissenschaftler Norbert Kersting, Professor an der Uni Münster mit Schwerpunkt Kommunalpolitik, über die Austrittsgründe mit Blick auf die kommunale Entschuldung und die kommende Wahl.
???: OB Steinruck sagt, sie sei aus der SPD ausgetreten, weil sie mit der Politik von Bund und Land nicht mehr einverstanden sei. Die finanziellen Hilfen aus Mainz waren Steinruck für eine Industriestadt wie Ludwigshafen mit ihren gegenwärtigen Problemen nicht ausreichend; das Entschuldungsprogramm empfinde sie als „Spardiktat“. Warum treten wegen der Entschuldung derzeit im Land OB zurück oder kündigen an, nicht mehr zu kandidieren?
Norbert Kersting: Bis 2014 waren die Kommunen noch viel stärker verschuldet als derzeit. Bei den Entschuldungsprogrammen von damals wurden externe Sparkommissare als ein durchaus geeignetes, notwendiges Instrument gesehen, um von den Schulden weg zu kommen. Das Instrument greift, wenn Kommunen völlig überschuldet sind. Die schwarze Null, also der ausgeglichene Haushalt, war bis 2014 in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz weit entfernt. Dagegen standen Bayern und Sachsen sehr gut da – und zwar, weil sie schon vorher vorgegeben hatten, wie hoch sich die Kommunen verschulden durften. Auch in Bayern gibt es Behörden wie die ADD, die Gemeinden bremsen, wenn sie zu viel investieren. Rheinland-Pfalz ist in vielen Gebieten strukturschwach; in den hoch verschuldeten Städten floriert die Wirtschaft oft nicht. In Unterschied dazu gibt es in Bayern und Sachsen viele Wachstumsregionen. Die Unterschiede in der Kommunalverschuldung der Länder waren demnach schon länger da. Um Spielraum zu haben für den Bau von Schulen und die Sanierung von Straßen, nahmen die Kommunen in den vergangenen Jahren immer weiter Kassenkredite auf.
Solange die Kredite günstig zu haben waren, war das Problem überschaubar. Nun steigen Kosten und Zinsen und die Belastung für die Gemeinden wächst. Hessen nutzte die zinsarmen, fetten Jahre für die Entschuldung – mit der sogenannten Hessenkasse: Das Land übernahm nicht nur teils die Schulden der Kommunen, sondern sah auch Wirtschaftsförderungen vor. So gelangen Investitionen, die die Wirtschaft ankurbelten und Renditen in Form kommunaler Einnahmen brachten. Auch Bayern und Sachsen helfen den Kommunen, lohnend zu investieren. Dagegen zeigt sich in Rheinland-Pfalz und dem Saarland, dass die Investitionen sich nicht rentieren, also teils nicht zu besseren Kommunaleinnahmen führen. Hessen hat sich auf die aktuellen Krisenjahre gut vorbereitet. Erst jetzt in der Krise zu entschulden, ist ein schlechter Zeitpunkt. Die Schulden haben sich angehäuft, Zinsen und Preise treiben die kommunalen Ausgaben nach oben, die Wirtschaft stagniert, was die Einnahmen weiter senkt. Das bringt OB und Kommunalpolitiker in ein Dilemma, weil sie weniger Spielraum haben, um den Strukturwandel und andere wichtige Aufgaben hinzubekommen.
???: Der Bund delegiert viele Aufgaben an die Kommunen. Kommen die Städte und Gemeinden angesichts ihrer vielen Aufgaben überhaupt noch raus aus den roten Zahlen?
Kersting: Der Bund überfordert die Kommunen. Das verstößt oft gegen das Konnexitätsprinzip: Wer bestellt, bezahlt. Er sollte die verschuldeten Kommunen mit entlasten – etwa durch einen Fördertopf, aus dem Zuschüsse für Investitionen abrufbar sind. Als das Entschuldungsprogramm in Hessen unter Corona ächzte, hat der Bund die hessischen Gemeinden mit einem solchen Fördertopf mit entlastet. Man müsste auch den Bundesanteil an den Kosten für Arbeitssuchende und die Unterbringung von Asylbewerbern erhöhen. Viele Kommunen steuern derzeit auf einen Bankrott zu.
???: Steinruck lässt offen, ob sie im Herbst 2024 nochmals kandidiert. Für die SPD tritt David Guthier an. Es gibt immer mehr parteilose Bürgermeister. Haben Bürgermeister, die von einer Partei unterstützt werden, bessere Chancen zu gewinnen?
Kersting: Während in kleineren Gemeinden immer mehr Parteilose kandidieren, um eine breitere Wählerschaft anzusprechen, treten in Großstädten vor allem Parteikandidaten an. Aber auch Spitzenkandidaten der ehemaligen Großparteien müssen sich immer breiter aufstellen, um nicht nur die Wählerschaft der eigenen Partei, sondern auch andere Wähler anzusprechen – sie brauchen 50 Prozent. Dies ist besonders in der SPD derzeit zu beobachten, die seit der Bundestagswahl laut Umfragen an Beliebtheit einbüßt. Die SPD-nahen Kandidaten hören sich zunehmend auch andere Interessen an und versuchen, auch andere Wähler anzusprechen. Was aber häufig unterschätzt wird: Man muss in der Großstadt aufwendig Wahlkampf betreiben, was eigentlich nur mit einer Partei im Rücken klappen kann.
???: OB Steinruck wurde für Alleingänge in Ratssitzungen kritisiert; es kam so wohl zum Zerwürfnis auch mit Parteikollegen.
Kersting: Die Logik der Direktwahl vermittelt manchen OB irrtümlich, dass sie das Recht hätten, eigene Positionen durchzusetzen. Das führt dann häufig zum Knatsch mit der eigenen Fraktion, bis hin zum Parteiaustritt. Bürgermeister überschätzen sich in ihrer Rolle häufig, besonders wenn sie nicht über die Partei ins Amt hineingewachsen sind. Letztlich ist der Rat das Entscheidungsgremium. Bürgermeister versuchen häufig, im Rat, in Ausschüssen und in der Verwaltung Einfluss zu haben. Aber es ist nicht so, dass man als Verwaltungsspitze durchregieren kann. Man muss sich Mehrheiten besorgen. Das bleibt eine Gratwanderung: Wenn man sich mit der eigenen Partei anlegt, hat man ein Problem und genauso, wenn man zu sehr auf sie setzt, denn die Direktwahl erfordert 50 Prozent. In der Kommunalpolitik ist man ständig unter Druck, andere nicht vor den Kopf zu stoßen; Zerwürfnisse sind schwer wieder zu heilen. Oberbürgermeister sind Moderatoren, die Brücken bauen müssen zwischen der Verwaltung und den Parteien sowie zwischen Gruppen der Gesellschaft. Auch wenn man in dem Amt vieles umsetzen kann, muss man die anderen Parteien und vor allem die eigene mitnehmen. Sonst gerät man in Konflikte.
???: Viele Stimmen, auch in den Sozialen Medien, geben der SPD und Steinruck die Schuld an der Haushaltsschieflage der Stadt.
Kersting: Es ist nicht ganz so einfach, wie viele sich das vorstellen. Man kann nicht pauschal sagen, dass die Sozialdemokraten oder die Linken nicht mit Geld umgehen können und die Christdemokraten das können. Es gibt strukturschwache Gemeinden, die früher strukturstark waren, wie das Ruhrgebiet oder eben Chemiestädte wie Ludwigshafen. Früher war das vielerorts christdemokratisch regierte Bayern Profiteur des Finanzausgleichs und heute ist das Land durch ihn Nettozahler. In Bayern wie auch in dem von der Linkspartei regierten Thüringen besteht derzeit kein Bedarf für höhere Hebesätze bei der Gewerbesteuer. Das liegt daran, dass dort wachsende Branchen rechtzeitig forciert worden sind.
???: Was bedeutet das für Ludwigshafen?
Kersting: Ludwigshafens strukturelle Probleme sind nicht zu übersehen. Mannheim hat sich dagegen anders entwickelt. Die Stadt hat rechtzeitig in Wachstumsbranchen investiert wie in die IT oder den Maschinenbau und hat entsprechende Unternehmen angeworben. Ludwigshafen hat Potenzial, das wurde aber bislang nicht ganz ausgeschöpft. Als klassische Industriestadt wird man schnell in diese eine Schublade gesteckt, worunter das Image leidet. Man kann den Strukturwandel nutzen. Die Möglichkeiten sind da.
Autor:Julia Glöckner aus Ludwigshafen |
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