Wie Lidl den Tafelgedanken trotz Pakt gegen Lebensmittelverschwendung lebt
Ludwigshafen/Neckarsulm. Die meisten Supermarktriesen arbeiten seit Jahrzehnten eng mit den Tafeln zusammen. Das Spenden an die Tafeln wirkt Lebensmittelverschwendung und damit CO2 Emissionen entgegen. Doch die Discounter wollen immer nachhaltiger werden, optimieren das Angebot in den Filialen am Bedarf – zum Nachteil der Tafeln. Bislang gibt es keine Lösung, um dem Dilemma zu entgehen.
Bei der Lebensmittelherstellung emittiert rund ein Drittel der Treibgashause und es werden Unmengen Wasser verbraucht. Für die Tonne produzieren ist deshalb unbedingt zu vermeiden. Die Supermarktkonzerne haben 2023 in Berlin gemeinsam mit Landwirtschaftsministerium (BMEL) und Verbänden aus Handel und Industrie den „Pakt gegen Lebensmittelverwendung“ geschlossen. Damit haben sie sich verpflichtet, Restmengen und damit Lebensmittelverluste in den Läden immer weiter zu reduzieren – um 30 Prozent bis 2025 und um 50 Prozent bis 2030.
Dabei ist Spenden an die Tafeln Teil der Lösung. Wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum naht, Obst und Gemüse schon mehr als einen Tag auf der Theke liegt oder ein Produkt sich nicht gut verkauft, wird die Ware aussortiert und den Tafeln geschenkt. „Die aussortierte Ware holen die regionalen Tafeln aus dem gesamten Bundesgebiet bei unseren Filialen ab“, erklärt Lidl-Pressesprecherin Melanie Pöter auf Anfrage des Wochenblatts. Die Partnerschaft mit den Tafeln gehört zur Firmenphilosophie. „Als einer der führenden Lebensmitteleinzelhändler verstehen wir uns als Teil der Gesellschaft und übernehmen Verantwortung. Dabei ist die Zusammenarbeit mit den Tafeln wesentlich: einerseits für die Versorgung der Tafel-Kunden mit ausgewogener Ernährung, aber auch im Sinne der Lidl-Lebensmittelrettung.“
Die LIDL-Hauptverwaltung steuert die Lebensmittelspenden zentral. Außerdem gibt es 39 regionale Tafelbeauftragte, je einen pro LIDL-Region im Bundesgebiet. Sie planen die Zusammenarbeit mit den Tafeln und vermitteln zwischen Eigeninteressen von Lidl und den Interessen der Tafeln. „Die Abgabemengen variieren dabei – je nachdem, wie der Abverkauf in den Filialen tagesaktuell lief und wie oft das Tafelmobil vorbeikommen kann“, sagt Löbel.
Doch viele Supermärkte wollen immer nachhaltiger werden und Lebensmittelverluste vermeiden, was das BMEL mit dem Pakt für Lebensmittelrettung unterstützt. Das gelingt auch immer besser: Früher wurde bei der Inventur festgestellt, dass zu viel da war und man bestellte auf Vorrat. Heute wird nur noch das nachbestellt, was abends fehlt. Laut Lidl lassen sich abends Warenbestände und Abverkäufe für jede Filiale digital ermitteln. Die Daten laufen zentral bei Logistikzentren ein. „Auch in den Logistikzentren holen die Tafelmobile die Ware ab“, erklärt Löbel. Etwa, wenn ein Produkt aus dem Sortiment genommen wurde oder es in den Filialen gerade nicht gut läuft oder eine Sonderedition sich nicht verkaufen lässt.
Auch die neuen supergünstigen Rettertüten etwa mit krummem Gemüse und Obst, die bei Lidl überall an der Obsttheke stehen, sowie die 30-Prozent-Rabatte auf MHD-Ware in den Regalen sollen vermeiden, dass Essen abends im Müll landet.
Klimaschutz und Tafelangebotsverknappung
Die bedarfsgerechte Bestellung bei Lebensmittelfabriken und Bauerngroßhandel ist notwendig, um Lebensmittelverschwendung und damit CO2-Emissionen einzudämmen. Doch es gibt eine Kehrseite: Für die Tafeln bleibt einfach weniger. Die fragen daher immer häufiger direkt bei Lebensmittelproduzenten oder Großhandel an, ob es Überproduktion etwa bei Pizzen, Joghurt oder Fritten gibt. Bei falsch etikettierter Ware, Überproduktion oder nicht perfekt gewachsenem Gemüse klappt das sehr gut.
Bei der immer besseren Anpassung des Lebensmittelangebots an den Bedarf der Endkunden arbeitet man entlang der Wertschöpfungs- und Lieferkette Hand in Hand. Supermarktriesen arbeiten verzahnt mit Lebensmittelfabriken, Großhandel und Landwirten, um Restbestände zu verringern. Denn Zulieferer haben ebenso wenig Interesse an Überproduktion und einer teuren Entsorgung des Abfalls. „Äußerlich weniger perfekte, aber geschmacklich einwandfreie Tomaten werden püriert als Tomatenbasis verarbeitet“, so Löbel. „Lidl schaut bei seinen Lieferketten genau hin. Das Thünen Institut, das fürs BMEL forscht, hat wissenschaftlich analysiert, wieviel Lebensmittelverluste in unseren Obst- und Gemüse-Lieferkette anfallen und welche Verbesserungen wie erzielt werden können.“ Auch die Kunden gilt es mit Slogans wie „Oft länger gut“ oder „Rette mich“ für Kauf von MHD-Ware zu sensibilisieren.
Die Tafeln sehen den Pakt gegen Lebensmittelverschwendung dagegen durchaus kritisch. "Wir sind die letzten in der Kette der Lebensmittelrettung", erklärt der Ludwigshafener Tafelleiter Jürgen Hundemer. "Der Pakt hat zur Folge, dass wir deutlich weniger Lebensmittel für bedürftige Menschen einsammeln können. Wie das erst wird, wenn zwischen 2025 und 2030 die Restbestände um 50 Prozent reduziert werden, wird sich zeigen. Durch die Abverkäufe der Restbestände erwirtschaften Händler Umsätze mit Waren, die die früher an die Tafeln abgegeben wurden. Warenverluste für uns!"
Dem Dilemma durch MHD-Ware entkommen?
Produkte, deren MHD-Ware überschritten ist, an die Tafeln zu spenden wäre zwar rechtlich erlaubt. Doch es gilt als umstritten. Der Verbraucherschutz sprach sich schon dafür aus, um dem Dilemma zwischen Klimaschutz und Verknappung des Tafelangebots zu entgehen. Denn nur bei Fleisch gilt der Abverkauf von MHD-Ware als wirklich gesundheitsgefährdend. Darauf könnte man verzichten und nur andere Lebensmittel spenden. Doch Gegner geben zu Bedenken, man könnte so den Eindruck vermitteln, dass Tafeln minderwertige Ware führen. Außerdem wird MHD-Ware zu Tierfutter verarbeitet.
Spendenaktionen der Supermärkte für die Tafeln werden also immer wichtiger. „Seit August 2023 haben wir die Rettertüte zudem um eine Spendenmechanik erweitert und spenden pro verkaufter Tüte 20 Cent an die Tafeln in Deutschland“, so Löbel. Dadurch kamen bislang 1,3 Millionen Euro für die Tafeln zusammen. Auch die Lidl-Pfandspende läuft mit einem Spendenvolumen von 32 Millionen Euro sehr gut. jg
Autor:Julia Glöckner aus Ludwigshafen |
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