Neue Konzepte am Nationaltheater Mannheim – Teil III
Die große Ungewissheit
Mannheim. Die Pforten des Nationaltheaters Mannheim bleiben aufgrund von Corona bis September geschlossen. Was bedeutet das für die Künstler? Wie erreichen sie die Zuschauer? In den letzten Wochen haben Ensemblemitglieder kreative Wege gefunden, um weiterhin mit den Zuschauern in Verbindung zu bleiben.
Wochenblatt-Redakteurin Jessica Bader sprach dazu mit László Branko Breiding (L) und Arash Nayebbandi (A) über ihren Podcast „Händewaschen“ und darüber, in welche Richtung sich das Theater als Institution entwickeln kann.
Ihr habt die proben- und spielfreie Zeit genutzt, um ein neues Format am NTM zu entwickeln. Was genau habt ihr gemacht und wie kam es zu dieser Idee?
L: Im März wurde das digitale NTM ausgerufen. Jetzt stellte sich für uns die Frage, was wir daraus machen können. Und wir hatten beide unabhängig voneinander Lust auf das Format Podcast. Das gab es zu dem Zeitpunkt in der Theaterlandschaft noch nicht in dieser Vielzahl.
A: Das hat sich relativ organisch ergeben. Eher beiläufig kam das zur Sprache. Wir haben daran festgehalten und den Podcast mit Lena Wontorra und Sascha Hargesheimer aus der Dramaturgie auf die Beine gestellt.
L: Das Konzept hat sich im Laufe der Zeit verändert. Am Anfang stand alles unter dem Stern der großen Fassungslosigkeit und Ungewissheit. Wir wollten eine Möglichkeit von Kommunikation zwischen dem Haus, uns Spielern und dem Publikum schaffen. Unter dem Motto: „Keiner weiß eigentlich, was kommt. Wir fangen erstmal an zu sprechen und schauen, wo das hingeht – ihr könnt uns schreiben, wenn ihr wollt.“ Und dann war relativ schnell klar, dass wir Gäste dazu holen wollen. Wir dachten uns, wir hätten Lust, auch Berufe und Leute am Theater vorzustellen, die man als Zuschauer nicht unbedingt kennt.
A: Als Spieler hatten wir Lust, in irgendeiner Form für die Leute da zu sein und einen Ersatz für das fehlende Miteinander zu finden. Die Entscheidung, einen Gast dabei zu haben, kam dann relativ schnell. Für die erste Folge kam uns gleich unser Chefdisponent Wolfgang Dürnberger in den Sinn, mit dem wir sowieso viel in Kontakt stehen. Zumal man von seinem Beruf als Zuschauer erstmal gar nichts weiß. Und dann haben wir Woche für Woche überlegt, wer als nächstes zu uns kommt.
Wie habt ihr den Austausch mit euren Interview-Partnern erlebt?
A: Ganz unterschiedlich. Im Grunde genommen waren die Gespräche immer aufschlussreich, weil man in einen ganz persönlichen Austausch kam, was im normalen Berufsalltag selten möglich ist.
L: Es war eine Expedition ins eigene Theater. Und darüber hinaus - als wir dann mit dem DRK gesprochen haben, zum Beispiel.
A: Ich fand bei dieser Folge besonders schön, dass man über den eigenen Horizont hinaus ein Thema der Stadt ganz konkret behandelt hat.
Seid ihr denn in Austausch mit euren Hörern gekommen? Wie war die Resonanz?
L: Wir haben ja immer die E-Mail-Adresse beworben, weil wir uns nicht einfach nur vor zwei Mikros setzen und erzählen wollten, sondern die Geschichten aus der Stadt einfangen und mit dem Publikum in einem Austausch sein wollten, auch wenn es dann zeitversetzt ist und nicht live.
A: Es gab Nachrichten von Theatergängern und Theaterinteressierten, genauso aber auch von Abteilungen aus dem Haus, mit denen wir zuvor gar nichts zu tun hatten. Eine Mail kam aus dem Orchesterbüro, dass sie sich wahnsinnig freuen, ein Lebenszeichen aus dem Haus zu bekommen.
L: Und aus dem Personalbüro … Deshalb war das auch für uns so lustig, weil wir plötzlich ins eigene Theater abgetaucht sind und gesehen haben: Wen gibt’s hier eigentlich? Was gibt es hier eigentlich?
A: Trotzdem war das natürlich auch komisch, weil man im Vergleich zum Auf-der-Bühne-Stehen nicht die unmittelbare Reaktion hat.
L: Das war sicherlich das richtige Format für diese Zeit, aber dir fehlt einfach die direkte und unmittelbare Resonanz vom Publikum und das kannst du nicht mit einer E-Mail-Adresse ersetzen. Da hat man schon deutlich gemerkt, was so toll daran ist, wenn wir auf der Bühne stehen. Du kannst da die Reaktion des Publikums ganz direkt spüren.
A: Ja, genau. Hören sie gebannt zu? Hören sie gar nicht zu? Schnarchen sie? Gehen drei Leute raus? Alles das ist ja ein Austausch. Das fehlt mir richtig, dieser Raum von Öffentlichkeit.
In der Krise haben viele Theater digital aufgerüstet – Es gibt Streams von Aufführungen, Online-Premieren oder Festivals, die online präsentiert werden … Wie steht ihr dazu? Und was glaubt ihr, wo diese Entwicklung hingehen wird?
L: Ich finde es grundsätzlich spannend, dass Neues passiert. Dass das wie mit dem Brecheisen geschehen ist, wollte keiner, aber es war nun mal die Situation. Da sollte man meiner Meinung nach nicht so kritisch mit dem sein, was ausprobiert wurde. Ich finde völlig in Ordnung, dass erstmal alle Sachen in die Waagschale geworfen haben und man jetzt schaut, was daraus wird.
A: Das war jetzt vielleicht ein unschöner Anlass, aber manchmal ist so ein unerwarteter Grund, der hereinbricht, gar nicht so schlecht … Vielleicht ist man dann umso schneller bereit, sich auf andere Formate oder eine andere Arbeitsethik einzulassen. Flexibel sind wir jetzt auf jeden Fall.
L: Das ist eine spannende Lektion in Sachen Offenbleiben und Neues entdecken. Was man davon über die Corona-Zeit hinweg mitnehmen will und was vielleicht auch nicht, muss man jetzt sehen.
A: An sich ist es ja nichts Schlechtes, wenn etwas in Bewegung kommt. Und wer weiß, wie man nachher darüber sprechen wird. Vielleicht ist das ein großer Wendepunkt im Miteinander, in der Gesellschaft, in der Kunst, für das Theater.
Wie war das denn, als ihr wieder begonnen habt zu proben?
L: Erstmal haben wir viel gelesen – online. Wir sind Szenen inhaltlich durchgegangen, was man sonst am Tisch gemeinsam machen würde. Dann wurde alles ein bisschen spielerischer – immer noch über Zoom. Da hat man gemerkt, dass ein Punkt erreicht ist, an dem wir den Körper im Raum brauchen. Und dann war es schon auch gut, sich wieder auf der Probebühne zu sehen und wirklich proben zu dürfen.
A: Irgendwann tauchte die Frage auf: „Wie gehen wir jetzt weiter vor?“ Und dann war relativ schnell klar: Wir müssen körperlich weitermachen, weil man ab einem gewissen Punkt so nicht mehr weiterkommt. Wieder mit physischer Anwesenheit der Kollegen zu proben war dann plötzlich ganz schön aufregend.
Worauf freut ihr euch am meisten, wenn der reguläre Spielbetrieb wieder stattfinden kann?
L: Auf Publikum. Auf das Publikum im Raum. Die direkte Reaktion - egal, wie die ist. Vollkommen egal. Auf den Austausch.
A: Einerseits auf diesen immanenten Austausch, den man hat, wenn man spielt. Ich bin allerdings auch gespannt darauf, wie das danach abläuft. Inwiefern noch ein Austausch zwischen Publikum und Künstlern stattfinden kann – in Form von Publikumsgesprächen zum Beispiel? Das ist ein Aspekt, den ich sehr wichtig finde. Es gilt herauszufinden, wie man Theater wieder miteinander erleben kann. Es ist eine Ausnahmesituation für alle. Das alles kann aber auch eine spannende, neue Energie haben, die einen aus der Routine herausreißt. Uns genauso, wie das Publikum.
Weitere Informationen:
Mehr zu aktuellen und zukünftigen Projekten am Nationaltheater Mannheim finden Interessierte unter www.nationaltheater-mannheim.de
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Autor:Jessica Bader aus Mannheim |
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