Dreckiges Erbe: Heidelberger Hip-Hop ist Weltkulturerbe
Musik. Heidelberg lebt von seiner Geschichte. Die Schlossruine, die malerische Altstadt oder die Ruprecht-Karls-Universität, die älteste deutsche Schule, locken jährlich mehr als 13 Millionen in die Stadt am Neckar, die der Dichter Friedrich Hölderlin einst als "der Vaterlandsstädte Ländlichschönste" bezeichnete. Doch Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre war in Heidelberg ein ganz anderer, neuer, frischer und dagegen dreckiger Sound zu hören: Hip-Hop war jetzt angesagt. Auch der hat nun historischen Anstrich, denn im März dieses Jahres erhob die Unesco die Hip-Hop-Kultur aus Heidelberg zum Immateriellen Kulturerbe.
Von Christian Gaier
"Aufgrund der historischen Rolle Heidelbergs gilt die Stadt als Erinnerungsort für die Entwicklung der deutschsprachigen Hip-Hop-Kultur", heißt es in der sprachlich etwas steif geratenen Begründung der Unesco. Kleine Kostprobe gefällig? Bitteschön: „Das Erlernen von Rap oder Beatboxing und anderen Hip-Hop-Elementen beinhaltet nicht nur eine reflektierte Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Medium, sondern auch ein Erlernen der damit verbundenen Wissensfelder wie Kunst oder Literatur sowie soziale und kommunikative Fähigkeiten." Das ist natürlich alles richtig, klingt aber furchtbar gestelzt.
In der Realität hörte sich der Hiphop made in Heidelberg so an: "Ich hoffe die Radiosender lassen diese Platte spielen, denn ich bin kein Einzelfall, sondern einer von vielen. Nicht anerkannt, fremd im eigenen Land. Kein Ausländer und doch ein Fremder." Diese Sätze stammen aus dem programmatischen Stück "Fremd im eigenen Land" der 1987 gegründeten Band Advanced Chemistry. Der wachsende Rechtsradikalismus und die die Ausgrenzung von Minderheiten waren die Themen der fünfköpfigen Formation. Ausgrenzung und Rassismus haben die Musiker am eigenen Leib gerspürt: Torch, mit bürgerlichem Namen Frederik Hahn, ist Deutscher mit haitianischen Wurzeln und Linguist (bürgerlich: Kofi Yakpo) stammt aus Ghana. "Fremd im eigenen Land" erschien 1992 und war der Durchbruch der Hip-Hop-Pioniere.
Einen ähnlichen Nimbus genießen die Stieber Twins, berühmt für ihren Rap mit dialektalem Zungenschlag. Die Heidelberger Zwillingsbrüder Martin und Christian Stieber waren als Graffitisprayer, Tänzer oder Beatboxer bereits seit 1984 in der Hiphopszene aktiv, begannen 1992 mit der Produktion eigener, mit Jazz- und Funksamples gespickten eigenen Musik. Ihr 1996 erschienenes Album "Fenster zum Hof" ist legendär und enthält wunderbare und auch heute noch zutreffende Sätze wie "Doch in zu viel deutschen Köpfen wird mir zu wenig nachgedacht".
Nicht vergessen werden darf die in Kiel geborene und seit 1992 in Heidelberg lebende Cora E. (bürgerlich Sylvia Macco), die mit Singles wie "Nur ein Teil der Kultur" und "Schlüsselkind" Maßstäbe setzte. Sie und ihre Mitstreiter erfahren jetzt eine Wertschätzung, an die zu Beginn ihrer Karrieren nicht zu denken war.
"Gut fühlt sich das an, dass man von offizieller Stelle diese Anerkennung bekommt", sagte der Hip-Hop-Künstler Torch in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Er hat heute als Botschafter der Hip-Hop-Kultur Lehraufträge an der Uni Heidelberg und der Kunstakademie in Karlsruhe. "Man bleibt irgendwie der Pionier dieser Kultur, die in diesem Jahr 50 Jahre alt wird", sagt Torch.
Autor:Christian Gaier aus Mannheim |
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