Eine Bilanz des Nationaltheaters
Erfolgreiche Jubiläumsausgabe der Internationalen Schillertage
Mannheim. Mit der Abschluss-Präsentation der Stadt-Jury, dem umjubelten Gastspiel "It’s going to get worse …" von Lisbeth Gruwez, der letzten Aufführung der von den »Räubern« inspirierten Geschichte des fiktiven Startups "Moor&more" von Studio Beisel, einer weiteren ausverkauften Vorstellung von Claudia Bauers neuer Inszenierung "Maria Stuart" sowie einem Konzert der Band Madsiusovanda in der NTM-Arena gingen heute die 20. Internationalen Schillertage am Nationaltheater Mannheim zu Ende.Die künstlerische Leitung der 1978 gegründeten Schillertage, die inzwischen zu den größten und renommiertesten Theaterfestivals Deutschlands zählen, lag in diesem Jahr erstmals bei Christian Holtzhauer, seit Beginn der Spielzeit 2018/2019 Schauspielintendant am Nationaltheater.
Unter dem Motto "Fieber" – ausgehend von Schillers Erkrankung an Malaria während eines Aufenthalts in Mannheim sowie seiner Diagnose gesellschaftlicher "Fieberkrämpfe" im ausgehenden 18. Jahrhundert – untersuchten die 20. Internationalen Schillertage in Eigenproduktionen, internationalen Gastspielen, Gesprächsrunden und einem Seminarprogramm die gesellschaftlichen und medialen Fieber- und Erregungskurven unserer Zeit.
Die 20. Internationalen Schillertage fanden vom 20. bis zum 30. Juni statt. 33 verschiedene Produktionen mit 310 beteiligten Künstler*innen an 14 verschiedenen Spielorten (darunter neben dem NTM auch die Multihalle im Herzogenriedpark, die Mannheimer Abendakademie oder die Disco Zwei) zogen an elf Festivaltagen weit über Mannheim hinaus das Publikum an. Insgesamt besuchten mehr als 25.000 Zuschauer*innen die über 70 Veranstaltungen des Festivals inklusive der kostenfreien Schill-out-Konzerte in der NTM-Arena und der Bunkerparties unter dem NTM. Die Platzauslastung lag bei rund 90 Prozent.
Mit der Premiere von Claudia Bauers Neuinszenierung von "Maria Stuart" eröffnete das Festival. Das fesselnde Spiel um die Macht mit wechselnden Rollenbesetzungen stieß auf große überregionale Resonanz und vielfach positive Reaktionen. Die FAZ konnte der Aufführung "entscheidende Entdeckungen" abgewinnen. Deutschlandfunk Kultur urteilte: "Diese ebenso außergewöhnliche wie geglückte Theateridee vergegenwärtigt das unstete, schlüpfrige Milieu dieser Arena der bodenlosen Machtspiele auch körpersprachlich. Schillers messerscharf akzentuierte Dialoge kommen dabei nicht unter die Räder vager Aktualisierungsbemühungen. Im Gegenteil: jede Regung, jeder Gesinnungswechsel folgt dem Text."
Auch die weiteren Eigenproduktionen – Fiston Mwanza Mujilas "Tram 83" in der Regie von Carina Riedl als deutsche Erstaufführung im Mannheimer Club "Disco Zwei" sowie Clemens Bechtels Audio-Parcours "Mannheim 2.480 oder die subjektive Sicherheit" – fanden bei Presse und Publikum großen Anklang. Für das Festival weiterentwickelt wurde das Projekt "Die Räuber" des Gießener Kollektivs Studio Beisel im Mannheimer Stadtraum.
Drei große Schiller-Gastspiele stellten die Sicht einer jungen Generation von Regisseuren auf Mannheims ersten Hausautor in den Mittelpunkt: "Don Karlos" (Düsseldorfer Schauspielhaus) in der Regie von Alexander Eisenach, "Kabale und Liebe" (Staatsschauspiel Dresden), inszeniert von dem Georgier Data Tavadze sowie "Die Räuber" (Schauspiel Köln) in der Inszenierung von Shooting-Star Ersan Mondtag.
Besonderen Eindruck hinterließ die Aufführung "Odisseia" der Cia. Hiato aus Brasilien im Eintanzhaus. Die internationalen Gastspiele, allen voran Marta Górnickas wuchtiges Chorstück "Hymne an die Liebe", Lisbeth Gruwez‘ Solo "It’s going to get worse" oder die Videoinstallation "Guilty Landscapes" von Dries Verhoeven waren herausragende Beispiele einer sich dezidiert politisch verstehenden zeitgenössischen Kunst und stehen damit in bester Tradition Schillers. Die Tanzstücke "To Da Bone" des französischen Kollektivs (La)Horde und "Die Bretter, die die Welt bedeuten" von Christoph Winkler und Robert Ssempija zeigten, wie sich künstlerische Arbeit in Zeiten der Globalisierung und der nahezu unbeschränkten digitalen Kommunikation verändert.
Anlässlich des Festivaljubiläums luden die Schillertage 27 internationale Autor*innen ein, ausgehend von Schillers berühmter Schrift "Über die ästhetische Erziehung des Menschen, in einer Reihe von Briefen« die Rolle der Kunst in der heutigen Zeit zu reflektieren. Die Sammlung dieser neuen Briefe erschien unter dem Titel »Immer noch Barbaren?" zum Festivalbeginn im Heidelberger Verlag Wunderhorn und ist im Buchhandel erhältlich.
Ergänzt wurde das Programm durch zahlreiche Nachgespräche, fünf Podiumsdiskussionen des SWR2 Forums zu aktuellen Fragestellungen und elf kostenlose Schill-out-Konzerte mit Bands aus Mannheim und aller Welt. Die von den Leipziger Künstlern Sven Bergelt und Kai-Hendrik Windeler entworfene NTM-Arena auf dem Theatervorplatz entwickelte sich zum Publikumsmagneten und trug dem Anspruch der Schillertage Rechnung, sich der Stadtgesellschaft gegenüber noch weiter zu öffnen.
Eine neu gegründete Stadtjury unter der Leitung von Beata Anna Schmutz reflektierte aus dem Blickwinkel verschiedener Generationen und Vorerfahrungen im Umgang mit Theater und Kunst das Festivalprogramm. 18 junge Theaterschaffende und Studierende besuchten als Stipendiat*innen außerdem die Festivalakademie mit ihren zahlreichen weiterführenden künstlerischen Workshops.
Christian Holtzhauer: "Die große und überaus positive Resonanz auf die 20. Internationalen Schillertage freut mich sehr. Über elf Tage hinweg war das Nationaltheater der zentrale Treffpunkt der Stadt. Ich bin begeistert von den vielen Bezügen und Verbindungen, die unsere Zuschauer*innen zwischen Schiller und den im Festivalprogramm vertretenen zeitgenössischen künstlerischen Arbeiten hergestellt haben. In vielen Gesprächen wurde deutlich, was wir von Schiller auch heute noch unbedingt lernen können: Mit kühlem Kopf und heißem Herzen die Herausforderungen unserer eigenen Zeit zu beschreiben und uns ihnen zu stellen." ps
Autor:Laura Seezer aus Mannheim |
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