Koordinatorin Claudia Krüger zur Notfallseelsorge
„Erste Hilfe für die Seele“

„Es braucht Zeit, die Realität des Todes eines Familienangehörigen erst einmal überhaupt zu begreifen. Wir helfen dabei, die Situation zu verstehen“, sagt Claudia Krüger.   | Foto: Privat
  • „Es braucht Zeit, die Realität des Todes eines Familienangehörigen erst einmal überhaupt zu begreifen. Wir helfen dabei, die Situation zu verstehen“, sagt Claudia Krüger.
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Mannheim. Seit mehr als 15 Jahren leistet das Team der Mannheimer Notfallseelsorge „Erste Hilfe für die Seele“. Auf diesen ehrenamtlichen Dienst können Polizei, Feuerwehr und Rettungsorganisationen rund um die Uhr und an sieben Tagen in der Woche über die Feuerwehrleitstelle zugreifen, wenn bei einem Einsatz seelsorgliche Begleitung gebraucht wird. Die seit 2006 vertraglich beschriebene Zusammenarbeit zwischen Stadt Mannheim, der Evangelischen und der Katholischen Kirche in Mannheim ist nun in einer Neufassung dokumentiert. Claudia Krüger ist die Koordinatorin der Notfallseelsorge in Mannheim. Im Interview mit dem „Wochenblatt Mannheim“ erläuterte sie, worauf es bei dieser verantwortungsvollen Aufgabe ankommt.

???: Wann und wie wird man alarmiert?
Alarmiert werden wir durch die Leitstelle auf der Hauptfeuerwache, nachdem die Einsatzleitungen von Rettungsdienst, Polizei oder Feuerwehr entschieden haben, dass in der vorgefundenen Einsatzlage seelsorgliche Unterstützung für die Betroffenen hilfreich wäre.

???: Wie läuft ein Seelsorgeeinsatz ab?
Nach der Alarmierung über den Pager schließt sich der oder die diensthabende Notfallseelsorger*in mit der Leitstelle kurz, wird informiert über die Einsatzlage und den Betreuungsbedarf und klärt ab, ob die Anfahrt zum Einsatzort mit dem eigenen Wagen erfolgen kann oder über das anfordernde Rettungssystem erfolgen muss. Danach wird die zweite Person im Einsatzteam benachrichtigt, die Informationen werden weitergegeben und ein Treffpunkt am Einsatzort vereinbart. Sobald beide Notfallseelsorger*innen vor Ort sind, holen wir uns unseren Auftrag bei der Einsatzleitung ab, sprechen uns kurz ab, wie wir generell vorgehen werden, wer welche Person primär betreut – Erwachsene, Kinder – und wer den Kontakt zu den Rettungsdiensten hält.

???: Wie versuchen Sie vor Ort zu trösten und zu helfen?
Wir nehmen Kontakt zu den Betroffenen auf und versuchen in erster Linie zu stabilisieren: „Wir sind jetzt für Sie da, haben Zeit für Sie und begleiten Sie für die nächsten Stunden“ - wenn gewünscht. Wir unterstützen dabei, die Krise, in der sich die Betroffenen bzw. deren Angehörige gerade befinden, anzuerkennen: Es braucht Zeit, die Realität des Todes eines Familienangehörigen erst einmal überhaupt zu begreifen. Wir helfen dabei, die Situation zu verstehen - und auch das eigene Verhalten der von uns betreuten Personen: „Ihr Schreien, Klagen, Ihre Versteinerung oder Ihr gesteigerter Redebedarf, selbst der Wunsch nach einer Zigarette oder dem Spaziergang mit dem Hund, das alles sind normale Reaktionen auf ein unnormales Ereignis“. Wir ermutigen zur aktiven Stressbewältigung: „Wen möchten Sie jetzt hier haben? Was brauchen sie jetzt, was tut Ihnen gut? Gibt es etwas, was Sie jetzt tun möchten?“ In unseren Einsätzen erleben wir gerade in diesem Punkt ganz unterschiedliche Bedürfnisse: Manche wollen reden, reden, reden, viele schweigen. Immer wieder bitten Menschen um ein Abschiedsritual. Das reicht vom Anzünden einer Kerze über ein Gebet bis hin zum Segnen des oder der Verstorbenen, je nach dem, welchen spirituellen oder religiösen Hintergrund die betreuten Personen haben. Gut ist es, wenn wir am Ende unsres Einsatzes dazu beitragen konnten, den Betroffenen ein wenig ihrer Eigenständigkeit zurückzugegeben: Sie sind fähig, die nächsten Schritte, die jetzt gegangen werden müssen, selbstständig zu gehen: Kontakte zum Bestattungsinstitut aufnehmen, mit Verwandten telefonieren, sich um die Kinder kümmern. Das gelingt nicht immer, oft ist der Schock, der Schmerz einfach zu groß. Dann ist es doppelt wichtig, ein tragfähiges soziales Netz geschaffen zu haben – in Zeiten von zunehmender Vereinzelung und Vereinsamung, gerade auch jetzt in der Pandemie nicht immer realisierbar.

???: Wie geht man mit den eigenen Emotionen um, die durch die Begegnung, mit geschockten, trauernden Menschen, geweckt werden?
Jeder Einsatz bringt neue Herausforderungen und muss gut bearbeitet werden, damit die Notfallseelsorger*innen vor Ort selbst unbeschadet bleiben. Kollegiale Nachgespräche nach den Einsätzen sind ebenso wichtig und selbstverständlich wie das Schreiben eines Einsatzprotokolls. Beides hilft zu eigenen Psychohygiene. Außerdem ist für alle Mitarbeitenden in der Notfallseelsorge die Teilnahme an etwa sechs Supervisionen pro Jahr verbindlich.

???: Wie wird man überhaupt Notfallseelsorger?
Mit allen, die sich für die Mitarbeit in der Notfallseelsorge interessieren, steht ein Eignungsgespräch an erster Stelle. Es ist wichtig, sich über die eigene Motivation und die Vorstellungen der Mitarbeit im Klaren zu sein. Danach beginnt die Hospitationsphase, die mindestens drei Monate vor Beginn der eigentlichen Ausbildung beginnen soll, um bei Einsätzen, erste Eindrücke zu gewinnen. Manchmal führt schon diese Phase dazu, dass Interessent*innen wieder abspringen. Die eigentliche Ausbildung der kirchlichen Notfallseelsorger*innen findet in zwei Kursteilen statt: jeweils fünf Tage im Januar, diese an der Landesfeuerwehrschule in Bruchsal und im Herbst in einem kirchlichen Tagungshaus, vermitteln die nötigen Kenntnisse. Dazu gehören Themen wie: Psychotraumatologie, seelsorgliche Gesprächsführung; Rituale, Schweigepflicht aber auch, wann es angebracht ist, „qualifiziert den Mund zu halten“.

???: Was muss man dafür mitbringen?
Von den Mitarbeitenden in der Notfallseelsorge erwarten wir eine wertschätzende Grundhaltung allen Menschen gegenüber, unabhängig von Herkunft, sozialem Hintergrund, Sprache, Kultur und Religion. Es braucht eine gute psychische Konstitution, Empathie und in jedem Fall den klaren Blick für den Auftrag: Im Moment einer großen Krise ein einziges Mal unterstützend mit auszuhalten, zu begleiten, zu helfen. Als Notfallseelsorgende sind wir bis auf wenige Ausnahmen nur einmal im Kontakt mit den Betroffenen, wir sind keine Therapeutinnen und Therapeuten, die langfristig in die Begleitung gehen. Notfallseelsorge ist „Erste Hilfe für die Seele“. Im übertragenen Sinn: Wir kleben das Pflaster auf, heilen können wir nicht.
Interview: Christian Gaier

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Autor:

Christian Gaier aus Mannheim

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