LGBTIQ Freedom Zone Mannheim
Queer und gut
Mannheim. Am Abend des 23. Juni 2021 hingen überall in Deutschland Regenbogenfahnen, Gebäude wurden in Regenbogenfarben angestrahlt. Auch in Mannheim waren etliche Gebäude beflaggt oder illuminiert, unter anderem der Wasserturm, das Nationaltheater, das Rathaus, die SAP Arena und das Kulturhaus Capitol. Auslöser war eine Debatte über die Regenbogenfarben, die als Symbol gegen Homophobie und für gesellschaftliche Vielfalt stehen. In diesen Farben wollte die Stadt München das Stadion beim EM-Spiel Deutschland gegen Ungarn erstrahlen lassen. In der Woche vor dem Spiel hatte das ungarische Parlament ein Gesetz gebilligt, das die Informationsrechte in Hinblick auf Homosexualität und Transsexualität in Ungarn einschränkt. Dagegen sollte ein Zeichen gesetzt werden, was die UEFA nicht genehmigte. Daraufhin bekannten zahlreiche Kommunen und Institutionen im ganzen Land Farbe und setzten mit Regenbogenfahnen und Illuminationen in Regenbogenfarben ein Zeichen für Solidarität. Mannheim war an diesem Abend bunt - eine starke Positionierung der Stadt, der Politik und der Stadtgesellschaft.
Im Juli dieses Jahres hat sich die Stadt Mannheim nun zum Freiheitsraum für LGBTIQ-Personen (LGBTIQ Freedom Zone) erklärt. Wir sprachen dazu mit Margret Göth und Sören Landmann, den beiden LSBTI-Beauftragten der Stadt Mannheim.
Können Sie unseren Leser*innen erklären, was genau dieser Beschluss bedeutet? Und warum werden solche Freiheitsräume überhaupt benötigt?
„Die Stadt Mannheim hat sich als eine der ersten Städte Europas und als erste Stadt in Baden-Württemberg zum Freiheitsraum für LGBTIQ-Personen (LGBTIQ Freedom Zone) erklärt. Dies beschloss der Mannheimer Gemeinderat in seiner Sitzung am 27. Juli 2021. Damit folgt die Stadt Mannheim einer vielbeachteten Entschließung des Europäischen Parlaments. Mit der Ausrufung verpflichtet sich die Stadt Mannheim zu öffentlichen Maßnahmen zur Förderung und zum Schutz der Rechte von LGBTIQ-Personen.
In der Beschlussvorlage, die Grundlage des Entschlusses des Mannheimer Gemeinderats ist, sind eine Reihe von Gründen genannt. Zwei sind besonders herauszugreifen: Die Deklaration steht in direktem Zusammen mit der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Ausrufung der EU zum Freiheitsraum für LGBTIQ-Personen am 11. März 2021. Dies wiederum bezieht sich direkt auf die von staatlichen Stellen immer stärker vorangetriebene systematische Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung von LGBTIQ-Personen insbesondere in Polen und Ungarn. Diese besorgniserregende Entwicklung stellt aber ein EU-weites Problem dar, da bei der Eindämmung der bis heute anhaltenden Diskriminierung, Schikane und Hetze sowie Hasskriminalität gegenüber LGBTIQ-Personen nur wenig bis gar keine Fortschritte erzielt wurden. Es geht hier also darum, als Stadt große gesellschaftliche Herausforderungen im europäischen Verbund, aber konkret auf lokaler Ebene anzugehen. Es ist sozusagen auch ein kommunales Zeichen der Akzeptanz und Wertschätzung von Vielfalt, das somit einen expliziten Kontrapunkt setzt zu den ebenfalls auf lokaler Ebene erfolgten Ausrufungen von LGBTI-freien Zonen in einer Vielzahl von polnischen Städten und Regionen. Die Mannheimer Partnerstadt in Polen Bydgoszcz hat sich erfreulicherweise entschieden, die ausgrenzende Politik nicht zu verfolgen, sondern hat im Gegensatz dazu einen „Equality Council“, ein Gremium zur Stärkung der Chancengleichheit eingerichtet.
Der zweite Grund ist, dass LGBTIQ-Personen in allen europäischen Staaten nach wie vor in einer Vielzahl von Lebensbereichen im Vergleich zu Allgemeinbevölkerung stark erhöhte Diskriminierungswerte berichten, beispielsweise bei der Arbeit, in der Schule oder im Gesundheitswesen und überproportional häufig körperlichen, emotionalen und sexuellen Übergriffen – sowohl online als auch offline – ausgesetzt sind. Das führt unter anderem dazu, dass die Suizidrate sowie andere Gesundheitsparameter unter jungen LGBTIQ-Personen und insbesondere unter jungen trans Personen besorgniserregend sind. Dies gilt auch für Mannheim. Deswegen ist der Beschluss und die damit verknüpfte Verpflichtung zu Maßnahmen ein richtiger und wichtiger nächster Schritt auf dem Weg zu einer Stadt, in der – wie im Leitbild Mannheim 2030 formuliert – niemand diskriminiert oder ausgegrenzt wird.“
Sie sind die LSBTI-Beauftragten der Stadt – was genau ist Ihre Aufgabe?
„Die LSBTI-Beauftragung setzt sich in der Verwaltung und in der Stadtgesellschaft für alle Belange von Menschen vielfältiger sexueller und geschlechtlicher Identitäten ein, also insbesondere für lesbische, schwule, bisexuelle, trans und inter (kurz: lsbti) Menschen, aber auch nicht-binäre Menschen und alle weiteren Mitglieder der queeren Community sowie ihre Zu- und Angehörigen.
Gemeinsam mit den weiteren Vielfaltsbeauftragten der Stadt Mannheim arbeitet die LSBTI-Beauftragung an der Umsetzung und Weiterentwicklung der städtischen Vielfalts- und Antidiskriminierungspolitik, entwickelt Strategien und befördert die zielgruppenrelevante Vernetzung. Sie ist außerdem für die Durchführung von fachspezifischen verwaltungsinternen und externen Beratungen, Projekten und Veranstaltungen zuständig, begleitet durch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit.“
Melden sich auch Menschen mit konkreten Fragestellungen direkt bei Ihnen? Was sind deren Anliegen?
„Ja, es melden sich Menschen mit sehr unterschiedlichen Anliegen und Fragen. Diese reichen von dem Wunsch, sich in Mannheim zu vernetzen und zu engagieren, über die Bitte um Unterstützung bei konkreten Schwierigkeiten bis zur Beratung von Führungskräften und Teams beispielsweise im Umgang mit dem Coming-out und der Transition von Kolleg*innen.
Konkrete Schwierigkeiten können sein, die Suche nach der passenden Ansprechperson in der Verwaltung oder bei der Polizei. Auch die Begleitung und Unterstützung beispielsweise nach Erfahrungen von Diskriminierung oder Angriffen im öffentlichen Raum sind Gründe, uns anzusprechen.
Die LSBTI-Beauftragung arbeitet aber auch eng mit den Vereinen und Organisationen der Mannheimer queeren Community zusammen. Ein zentrales Gremium ist dabei der Runde Tisch sexuelle und geschlechtliche Vielfalt Mannheim. Hier kommen auf Einladung des Oberbürgermeisters Vertreter*innen der Verwaltung, Fachpolitiker*innen und Vertreter*innen der lokalen queeren Community zusammen, diskutieren vielfältige Themen und erarbeiten gemeinsam gute Vorgehensweisen und Lösungen.“
Fühlen sich Menschen, die sich dem LSBTI-Spektrum zuordnen, in Mannheim sicher? Was hat diesbezüglich die Mannheimer Sicherheitsbefragung 2020 ergeben?
„Ja, grundsätzlich fühlen sich lsbti Menschen in Mannheim und der Region im öffentlichen Raum sicher. Dies zeigten die Ergebnisse der Befragung „Sicher Out?“ 2018, die PLUS, die Psychologische Lesben- und Schwulenberatung in Kooperation mit der LSBTI-Beauftragung der Stadt Mannheim und dem Amt für Chancengleichheit der Stadt Heidelberg durchgeführt hat. Aber es gab auch besorgniserregende Erkenntnisse. 61 Prozent der Befragten berichteten, in den letzten 12 Monaten Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen gemacht zu haben. Knapp 90 Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich in der Öffentlichkeit verstecken und Vermeidungsstrategien anwenden, um sich sicher zu fühlen. Diese Erkenntnisse hat die Stadt Mannheim zum Anlass genommen, die Mannheimer Sicherheitsbefragung im Jahr 2020 erstmals um explizite Fragen zur sexuellen und geschlechtlichen Identität zu ergänzen. Auch hier zeigten sich erschreckende Erkenntnisse. Von allen Befragten, die in der Öffentlichkeit beleidigt oder bedroht wurden, führten dies 30 Prozent auf ihr äußeres Erscheinungsbild oder Auftreten bezogen auf ihr Geschlecht und damit verknüpfte gesellschaftliche Geschlechterrollen und –normen zurück, in 28 Prozent der Fälle auf ihr Geschlecht und ihre geschlechtliche Identität. Dies waren die beiden wichtigsten Faktoren. Ausgehend von diesen Erkenntnissen hat Prof. Herrmann, der Leiter der Sicherheitsbefragung, dem Gemeinderat konkrete Präventionsmaßnahmen vorgeschlagen, deren Umsetzung im Herbst startet.“
Wie ändert sich die Situation für die LSBTI-Community durch die Corona-Pandemie? Wie kann die Stadt hier Hilfestellung leisten?
„Verschiedene Studien stellten fest, dass die LSBTI-Community von besonderen Härten durch die Pandemie und ihre Auswirkungen betroffen ist. Es lassen sich dabei vier zentrale Bereiche erkennen:
Durch den wiederholten Lockdown und die Kontaktbeschränkungen sind gerade auch lsbti Menschen in große Einsamkeit geraten. Nach wie vor haben nicht alle einen guten Kontakt zur Familie oder ein vermeintlich „sicheres“ Zuhause. Teilweise mussten sie den Lockdown mit Familienmitgliedern verbringen, von denen sie abgelehnt, diskriminiert oder gar körperlich angegriffen werden. Wer in Einrichtungen für geflüchtete oder wohnungslose Personen lebt, kann sich nicht ins Private zurückziehen. Lsbti Menschen erfahren in diesen Einrichtungen häufig Gewalt und Diskriminierung.
Weiterhin mussten auch queere Kneipen und Clubs geschlossen und Veranstaltungen abgesagt werden, Vereine und Selbsthilfeangebote konnten keine Treffen durchführen. Dabei sind diese Orte wichtige Schutzräume für die LSBTI-Community, die an anderen Orten oft Diskriminierung erfahren. Hier findet außerdem wichtige Aufklärungsarbeit unter anderem zu HIV-Prävention statt. Die Beratungs- und Selbsthilfeangebote mussten an Infektionsschutzmaßnahmen angepasst werden. Dies verschärfte für nicht wenige Vereine und Angebote die finanzielle Situation, da sie auch vor der Pandemie schon in einer schwierigen finanziellen Lage waren. Nicht immer standen ausreichend finanzielle Mittel für die eigentlich dringend benötigte Digitalisierung der Angebote zur Verfügung.
Gerade im Gesundheitssystem erleben vor allem trans und inter Personen nach wie vor Diskriminierungen und haben dadurch weniger Zugang zu Gesundheitsversorgung. Durch die Einschränkung der Angebote in der Pandemie hat sich für viele der schwierige Zugang nochmals verschlechtert.
Öffentliche Debatten und Diskussionen kreisten während des Lockdowns um die Kontaktbeschränkungen und Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung. Öffentlich diskutierte Ausnahmen wurden hauptsächlich für biologische Familien und Paarbeziehungen gemacht. Dies benachteiligt Menschen mit anderen Lebens- und Familienformen, darunter viele lsbti Menschen. In der Krise verfestigen sich traditionelle Geschlechterverhältnisse und Geschlechternormen damit wieder. Lebens- und Familienformen jenseits der traditionellen heterosexuellen Kleinfamilie geraten aus dem Blick. Rechte Bewegungen nutzen die gesellschaftliche Verunsicherung durch die Pandemie, um gegen geschlechtliche und sexuelle Vielfalt Stimmung zu machen.“
Warum positioniert sich die Kommune so stark in diesem Thema?
„Die Stadt Mannheim engagiert sich seit vielen Jahren für das Zusammenleben in Vielfalt. Bereits im Leitbild Mannheim 2030 wurde diesbezüglich eine klare Formulierung verankert, die durch den jetzigen Beschluss zum Freiheitsraum noch einmal unterstrichen wird. Dort heißt es: „Im Mannheim 2030 wird kein Mensch aufgrund […] des biologischen und sozialen Geschlechts, […] der sexuellen oder geschlechtlichen Identität, des Geschlechtsausdrucks oder der vielfältigen Geschlechtsmerkmale herabgewürdigt oder diskriminiert. LSBTI sind selbstverständlicher und wertgeschätzter Teil der Stadtgesellschaft – von der Schule über das Arbeitsleben bis hin zum Fußballverein.“ (vgl. https://www.mannheim.de/sites/default/files/2019-03/Leitbild%20Mannheim%202030_%2013.03.2019_Deutsch_WebFile.pdf)
Es geht darum, für lsbti Menschen, aber auch insgesamt ein sichtbares Zeichen für die Offenheit und das respektvolle Zusammenleben in Vielfalt in Mannheim zu setzen und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung die rote Karte zu zeigen.“
Autor:Charlotte Basaric-Steinhübl aus Ludwigshafen |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.