‚Ausbildung (k)ein Thema?‘ erzielt Erfolge
Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich?: Jugendliche entdecken ihre Stärken
Die Zahlen sprechen für sich. Bundesweit blieben 2023 rund 73.400 Ausbildungsstellen - das sind 13,4 Prozent des gesamten betrieblichen Angebots - unbesetzt und 63.700 junge Menschen (11,5 Prozent der Jugendlichen) waren Ende September noch ohne Ausbildungsplatz. Das ist ein neuer Höchstwert. Das zeigt: Auf dem Ausbildungsmarkt gibt es ein erhebliches Matching-Problem. Andersgesagt: Unternehmen und Jugendliche finden zu oft nicht zueinander. Das hat ernstzunehmende Folgen für beide Seiten: Den Betrieben fehlt der Nachwuchs und den Jugendlichen die Perspektive.
Ein Projekt des Deutsch-Türkischen Instituts für Arbeit und Bildung e.V. setzt genau hier an. „Ausbildung (k)ein Thema?“, so lautet das Projekt des gemeinnützigen Vereins aus Mannheim, das im September 2023 mit Schüler:innen der 9. Klassen der Marie-Curie-Realschule und der Johannes-Kepler-Gemeinschaftsschule in Mannheim startete. So trafen sich die 30 Schüler:innen zu einem ersten Kennenlernen, gefolgt von einem Workshop zur Teambildung im TECHNOSEUM.
Im Kern des Projekts standen individuelle Schüler:innen-Interviews zur Erstellung von Kurzbewerbungsprofilen – so genannten Spotlights und direkte Kontakte zu Unternehmen. In wöchentlichen Treffen erhielten die Schüler:innen in ihren Schulen Einblicke in die Arbeit einzelner Unternehmen, dabei kamen besonders auch aktuelle Auszubildende der Betriebe zu Wort. An dem Projekt haben sich sowohl kleine und mittelständische Betriebe beteiligt – wie der Malerbetrieb Karl Fritz in der Mannheimer Schwetzingerstadt - aber auch große Firmen waren dabei. Entweder haben sie ihre Türen geöffnet, wie etwa BASF, um die Schüler:innen vor Ort zu informieren, oder sie waren in den Klassenzimmern präsent – wie die Akademie der UMM, um den Jugendlichen Fragen zu Berufen von Pflegefachfrau/Pflegefachmann bis zur technischen Systemplaner:in zu beantworten und auf Augenhöhe zu beraten.
„Bildungsqualität, Inklusion und Berufsorientierung sind die Schlüssel für mehr Bildungsgerechtigkeit“ betont der Arbeitsmarkt- und Berufsforscher, Prof. Dr. Franz Egle, der sich seit über zehn Jahren als geschäftsführender Vorstand ehrenamtlich beim DTI e.V. engagiert.
„Für eine erfolgreiche Berufsorientierung sind Kontakte und Netzwerke zwischen Schulen und Unternehmen unverzichtbar. Gerade sozial benachteiligte Schüler:innen profitieren bei der Suche nach hochwertigen Praktikums- und Ausbildungsplätzen von solchen Netzwerken, die ihnen im privaten und familiären Umfeld nicht zur Verfügung stehen. Für eine zielgerichtete und wirksame Berufsorientierung für Schüler:innen mit kognitiven und/oder sozialen Einschränkungen braucht es sowohl zivilgesellschaftliches Engagement als auch außerschulische, unternehmensnahe Partner. Ein solcher geeigneter außerschulischer Partner ist das DTI e.V. mit seinem hervorragenden regionalen Netzwerk“.
Die Unternehmen zu den Jugendlichen bringen: Persönliche Kurzprofile
„In einer zunehmend komplexen Welt, in der die beruflichen Möglichkeiten vielfältiger denn je sind, stehen junge Menschen oft vor der Herausforderung, ihren eigenen Weg zu finden. Nicht immer spiegeln schulische Leistungen das volle Potenzial eines Individuums wider. Daher ist es entscheidend, auch die anderen Stärken und Fähigkeiten eines Schülers oder einer Schülerin sichtbar zu machen“ betont Muna Yeniocak, die Projektbetreuerin. „Um diesem Bedürfnis gerecht zu werden, haben wir im Rahmen unseres Projekts die Erstellung von Kurzprofilen angeboten. Diese Profile entstehen aus gezielten Interviews, die dazu dienen, die einzigartigen Eigenschaften und Fähigkeiten der Schüler:innen herauszuarbeiten. Das Ziel: Jeder Jugendliche erhält eine qualifizierte Berufsorientierung auf Basis der individuellen Interessen und Talente.“
Ein Beispiel: „Dem bilingualen Jugendlichen H. (meist türkisch/deutsch) macht das Lernen Spaß, er arbeitet gut unter Zeitdruck und legt gleichzeitig großen Wert auf eine sorgfältige und genaue Arbeitsweise, wofür er sich auch gern Zeit nimmt. Der Teamplayer ist durchaus in der Lage Gruppen zu leiten, Verantwortung zu übernehmen und auch seine Meinung zu vertreten, was ihm auch für seine Fußballlaufbahn zugutekam. Er ist schwindelfrei, was ihn prädestiniert für jegliche handwerkliche Branche. H. ist sportlich und aktiv und wünscht sich für sein Berufsleben eine aktive Aufgabe. Der Schüler ist empathisch und folgt durchaus seiner Intuition. Er ist selbstständig und kompromissfähig und handwerklich begabt, weshalb er eine Ausbildung in diesem Bereich machen möchte. Weil H. vielfältig interessiert ist, kann er sich eine Ausbildung als Elektroniker, im Bereich Sanitär-, Heizungs-und Klimatechnik, als Kfz-Mechatroniker, als Anlagenmechaniker oder auch im Straßenbau vorstellen“ so lautet der Kurzprofil von H., der zunächst ein Praktikum bei dem Unternehmen Haustechnischer Service GmbH (HTC) in Ludwigshafen absolviert hat. Die Firma konnte selbst überprüfen, ob die beschriebenen Merkmale zutreffen. Er ist einer der Schüler:innen, die ihre Projektzeit mit einem Ausbildungsvertrag abgeschlossen haben.
Die Zusammenarbeit mit WÖRK - Ausbildung & Studium (@woerk.app)
Das HR-Startup WÖRK, früher bekannt als nextx, revolutioniert die Berufsorientierung durch Social Media. Mit ihrem innovativen Konzept ermöglicht die Plattform Unternehmen, authentische Einblicke in verschiedene Berufe zu gewähren, wodurch Nutzer:innen eine einzigartige Orientierung im Jobmarkt erhalten. Im Gegenzug profitieren die Unternehmen von wertvoller Aufmerksamkeit in der stark umkämpften Zielgruppe. In einer aktuellen Kooperation mit dem DTI e.V. erstellte WÖRK Kurz-Interviews in Zusammenarbeit mit drei ausgewählten Betrieben: der Uniklinik Mannheim, dem Malerbetrieb Karl Fritz und der Tans Brotboutique.
Bedarf an gezielter Berufsorientierung - Das Potenzial für eine Ausweitung auf andere Schulen?
„Unser Berufsorientierungsteam arbeite eng mit unserer Schülerschaft zusammen. Gemeinsam werden ihre Interessen, Fähigkeiten und beruflichen Ziele erörtert, um passende Berufswege aufzuzeigen. Durch das Projekt ‚Ausbildung (K)ein Thema?‘ konnte diese individuelle Betreuung noch weiter intensiviert werden,“ erklärt Neslihan Küçük-Langer, Konrektorin der Johannes-Kepler-Gemeinschaftsschule.
Junge Menschen mit hoher Schulbildung vermissen bei der Berufsorientierung und der Suche nach einem Ausbildungsplatz häufiger Unterstützung als Gleichaltrige mit niedriger oder mittlerer Schulbildung. Das geht aus einer repräsentativen Befragung junger Menschen im Alter von 14 bis 25 Jahren der Bertelsmann Stiftung hervor. So gaben 43 Prozent der jungen Menschen mit hoher Schulbildung an, sich über Ausbildungsberufe von der Schule nicht gut informiert zu fühlen. Aber der Bericht „Ausbildungsperspektive 2024“ sagt auch: Obwohl sich Hauptschüler:innen besser über Ausbildungsmöglichkeiten informiert fühlen als die gleichaltrigen Befragten auf dem Gymnasium, bewerten sie ihre Chancen am Ausbildungsmarkt deutlich pessimistischer als diejenigen mit höherer Schulbildung.
Ob das Projekt im kommenden Schuljahr fortgesetzt werden kann, hängt von der Verfügbarkeit weiterer Fördermittel ab. Eine kontinuierliche Unterstützung ist entscheidend, um die gewonnenen Erfolge zu sichern und das Projekt weiter auszubauen.
Autor:Gizem Ayse Weber aus Mannheim |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.