Wir müssen Solidarität üben! - Im Gespräch mit Astrid Fehrenbach

Astrid Fehrenbach leitet seit 2022 Amalie, die Beratungsstelle für Frauen in der Prostitution | Foto: Jessica Bader
  • Astrid Fehrenbach leitet seit 2022 Amalie, die Beratungsstelle für Frauen in der Prostitution
  • Foto: Jessica Bader
  • hochgeladen von Jessica Bader

Mannheim.Schon früh um 8.30 Uhr klingelt es an diesem Tag zum ersten Mal. Die Tür zu den hellen und offenen Räumen von Amalie in der Draisstraße 1 öffnet sich, die beiden Frauen treten ein und werden freundlich begrüßt. Heute steht ein Arzttermin an, zu dem sie begleitet werden.

Amalie gibt es seit 2013. Die Beratungsstelle für Frauen in der Prostitution in Trägerschaft des Diakonischen Werks besteht aus einem kleinen hauptamtlichen Team von sechs Personen, unter anderem vier Sozialarbeiterinnen und einer Sprachmittlerin, die bei Gesprächen, Amtsgängen und Arztbesuchen übersetzt und vermittelt. Zusammen mit zahlreichen Ehrenamtlichen möchten sie Frauen eine wichtige Anlaufstelle bieten. „Unser Hauptanliegen“, so Leiterin Astrid Fehrenbach, „ist die psychosoziale Begleitung der Frauen in der Prostitution“.

Wie sieht eine solche Begleitung aus, Frau Fehrenbach?

Die Grundlage unserer Arbeit ist die aufsuchende Arbeit. Es kommen zwar auch hin und wieder Frauen direkt in die Beratungsstelle, aber hauptsächlich suchen wir die Frauen direkt an den Prostitutionsorten auf. Mit Streetwork erreichen wir viele Frauen. Ein Teil findet dann den Weg zur Beratungsstelle, sie lernen uns kennen und es entsteht Vertrauen. Vertrauen ist die Basis! Nur so kann ein Beratungsprozess beginnen.

Die Probleme der Frauen sind ganz unterschiedlicher Natur. Ein wichtiges Angebot ist deshalb unsere gynäkologische Sprechstunde. Ehrenamtliche Ärztinnen bieten Gesundheitsberatung, Untersuchungen und unterschiedliche Tests an. Das ist wichtig, weil die Frauen häufig große gesundheitliche Probleme haben, die auch durch die Prostitution entstehen. In der Regel sind die Frauen, die zu uns kommen, nicht krankenversichert. Als Selbstständige müssten sie einen hohen Betrag zahlen, den sie nicht aufbringen können.

Unser Ansatz ist eine voraussetzungslose Beratung. Das bedeutet, wir beraten in allen Lebenssituationen und nicht mit einem konkreten Ziel, zum Beispiel einem Ausstieg. Wir nehmen erst mal die Fragen der Frauen auf. Viele wünschen sich tatsächlich eine Alternative, wissen aber nicht, wie sie das bewerkstelligen können. Selbst mit unserer Hilfe ist dieser Weg sehr schwer, weil es viele Hürden gibt.

Was haben die Frauen, die zu Ihnen kommen, gemeinsam?

Ein Großteil der Frauen, die uns aufsuchen, sind Migrantinnen. Das ist auch bundesweit die Beobachtung: Mindestens 80 Prozent der Prostituierten kommen aus dem Ausland. Zum Teil kommen sie aus der EU, zum Beispiel aus Rumänien und Bulgarien - das nehmen wir auch hier in der Neckarstadt wahr. Viele kommen allerdings auch aus Herkunftsländern, die ihnen eine Aufenthaltserlaubnis hier unmöglich machen, werden teilweise von Menschenhändlern hergebracht und sind illegal in der Prostitution tätig. Wir gehen davon aus, dass sehr viele Frauen nicht angemeldet sind. Ein weiteres Problem ist eine sichere Wohnmöglichkeit. Die Frauen können keine Verdienstbescheinigung vorlegen, was auf dem Wohnungsmarkt essenziell ist. In der Regel leben sie deshalb in prekären Wohnverhältnissen, im Milieu oder ihrem „Arbeitszimmer“. Eine Meldeadresse kann sehr häufig nicht begründet werden. Bei einem Ausstieg ist es dann schwer nachzuweisen, wie lange man eigentlich schon hier ist – mit allen Folgeproblemen. Im Grunde haben die Frauen durch unsichere Wohnverhältnisse die gleichen Probleme wie wohnungslose Menschen. Damit müssen wir gerade, wenn wir im Ausstieg begleiten, arbeiten – Amalie hat deshalb auch eine Ausstiegswohnung mit drei Zimmern, die immer voll sind.

Womit sehen sich die Frauen, die aussteigen wollen, konfrontiert?

Prostitution ist legal – wir haben einen riesengroßen Markt für den Verkauf des Frauenkörpers und eine Gesellschaft, insbesondere Männer, die bei der Inanspruchnahme ohne Unrechtsbewusstsein Grenzen überschreiten. Darin sehen wir natürlich ein großes Problem. Ich bin sehr froh, dass es Vorstöße gibt, an der politischen Situation etwas zu ändern. Wir halten das für notwendig, weil wir sehen, dass der Einstieg in die Prostitution in Deutschland sehr leicht ist. Nach zwei Beratungsgesprächen beim Gesundheitsamt und dem Ordnungsamt kann man sich einen Ausweis ausstellen lassen und dann ganz legal in der Prostitution tätig sein. Auszusteigen dagegen ist sehr, sehr schwierig. Es gibt Probleme und Hürden, die können in jedem Einzelfall anders aussehen. Manchmal sind zum Beispiel die Papiere weg und eine Frau kann gar nicht nachweisen, dass sie schon zehn Jahre in Mannheim in der Prostitution tätig ist. Mit solchen Problemen konfrontiert, fällt es leicht nachzuvollziehen, dass die Verzweiflung der Frauen sehr groß ist. Wir können schlecht davon ausgehen, dass jemand heute in der Prostitution aufhört und morgen eine Vollzeittätigkeit hat. Die Voraussetzungen hierfür sind nicht da, sie müssen geschaffen werden. Wir haben hier ein Problembündel. Und ich denke, die Gesellschaft muss wahrnehmen, dass wir hier Frauen haben, mit denen wir Solidarität üben und die in ihren Rechten gestärkt werden müssen.

2022 haben Sie die Leitung von Amalie übernommen. Was hat Sie in diesen zwei Jahren besonders beschäftigt?

Wir haben hier gute Grundlagen, sind gut vernetzt, und sehr dicht an den Frauen dran. Aber die Landschaft verändert sich. Die Vermittlung verschiebt sich ins Internet und darauf müssen wir reagieren. Deshalb bin ich umso glücklicher darüber, dass in Baden-Württemberg im letzten Jahr ein Förderprogramm für die anonyme Krankenbehandlung von Menschen ohne Krankenversicherung aufgelegt hat. Es wurde auch die Zielgruppe der Prostituierten mit aufgenommen und wir haben uns auf ein Zusatzprojekt beworben. Jetzt können wir Frauen, die an anderen Orten tätig sind – zum Beispiel in der Wohnungsprostitution, in Boarding-Häusern oder als Escort – und nicht durch Streetwork erreichen werden, ganz gezielt online „aufsuchen“ und ansprechen.

Öffentlichkeitsarbeit und die Vernetzung in der Mannheimer Stadtgesellschaft ist sehr wichtig für uns. Außerdem versuchen wir in die Prävention zu gehen. Letztes Jahr zum Beispiel waren wir mit einer Lesung zur Loverboy-Methode an Mannheimer Schulen. Im Austausch mit den Jugendlichen erfahren wir, wie häufig junge Frauen über diese Methode angesprochen werden und das sehr viel über die sozialen Medien. Es ist eine stärkere Sensibilisierung gegenüber dem Thema digitale Gewalt notwendig.

Gibt es einen Moment in den letzten beiden Jahren, der Sie besonders berührt hat?

Unsere Arbeit hat natürlich Abgründe, aber wir erleben gemeinsam mit den Frauen auch sehr viele schöne Momente. Im letzten Jahr ist eine Frau, die wir schon sehr lange kennen und begleiten, 40 geworden. Wir haben in größerer Runde ihren Geburtstag gefeiert und sie war sehr gerührt. Noch nie in ihrem Leben hat man ihr eine Geburtstagsparty ausgerichtet, hat sie uns erzählt. Es war ein wunderschöner Abend.
Wir teilen die Freude der Frauen, wenn sie zum Beispiel einen Sprachkurs absolviert und ein Zertifikat bekommen haben, wenn eine nach langem Kampf endlich weiß, dass sie hier bleiben darf oder wenn jemand eine Stelle gefunden hat. Die Frauen freuen sich über jeden kleinen Schritt und wir freuen uns über jeden Schritt von Herzen mit.

Was geht Ihnen an einem Tag wie dem 8. März durch den Kopf?

Der 8. März ist ja der Frauenkampftag für die Rechte von Frauen und ich sehe, dass weltweit immer noch Frauen und ihre Kinder stark von Armut betroffen sind. Aufgrund von Armut und mangelnder Existenzsicherungsmöglichkeiten gelangen Frauen in die Prostitution. Männern ist es möglich, einen Frauenkörper zu kaufen - wie eine Ware - und das verstößt natürlich fundamental gegen die Gleichstellung der Geschlechter. Viele Frauen in der Prostitution erleben Gewalt, gegen die wir in allen anderen Sparten der Gesellschaft sehr sensibel reagieren. Aber hier haben wir eine Art Parallelwelt, in der Gewalt an Frauen ausgeübt wird. Das kann nicht in Ordnung sein. Hier müssen wir die Augen öffnen. Solidarität mit Prostituierten ist wichtig; Solidarität mit den Menschen und ein Nachdenken über das System. Das Ziel ist ein selbstbestimmtes Leben ohne Gewalt oder um es mit den Worten unserer Namensgeberin Amalie Struve zu sagen: ‚Frauenrechte sind Menschenrechte!‘ [sic]

Die nächsten Termine:

Mittwoch, 13. März, 18 Uhr, Vortrag im Marchivum: Eine „anrüchige Kolonie“? - Die Auseinandersetzung um Prostitutionsorte in Mannheim damals und heute

Freitag, 28. Juni, 10 bis 18 Uhr, jährliche Handtaschen-Charity-Aktion auf dem Paradeplatz: gut erhaltene Handtaschen werden gesammelt und gegen Spende abgegeben

Mittwoch, 2. Oktober, 18 Uhr, Veranstaltung im Marchivum: „Frauenrechte sind Menschenrechte“ – Zum 200. Geburtstag der Mannheimer Revolutionärin Amalie Struve

Am 8. März ist Internationaler Frauentag - wo der Feiertag herkommt und warum er gefeiert wird
Wie wird man eigentlich Gleichstellungsbeauftragte, Isabelle Stähle?
Ausgehen & Genießen
Alles neu: Der Weihnachtsmarkt Ludwigshafen überrascht mit neuer Weihnachtspyramide und neuem Riesenrad | Foto: Lukom / Martina Wörz
36 Bilder

Volle City: Die schönsten Fotos vom Weihnachtsmarkt Ludwigshafen

Ludwigshafen. Dass der Weihnachtsmarkt Ludwigshafen bei den Stadtbewohnern und Menschen aus dem Umland gut ankommt, war schon am ersten Samstagabend zu erleben: Um 18 Uhr füllte sich das Adventsdorf langsam, um 19 Uhr kamen die großen Besucherströme. Und ab 20 Uhr gab es den bisherigen Höchstwert mit rund 4000 Gästen im Jahr 2024, der bis 21.30 Uhr anhielt. Egal, wen man an diesem Abend fragte, von Ausstellern und Publikum erhielt man immer die dieselbe Antwort. Die Besucher zählen den...

Autor:

Jessica Bader aus Mannheim

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

31 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

RatgeberAnzeige
Im Trauerfall benötigen Familie und Freunde des Verstorbenen Beistand und Fürsorge - auch in Form von Trauerbegleitung bei der Planung einer Bestattung oder Beerdigung.  | Foto: Africa Studio/stock.adobe.com
2 Bilder

Bestatter Ludwigshafen: Einfühlsame Begleitung im Trauerfall

Bestatter Ludwigshafen. Wenn ein geliebter Mensch stirbt, stehen Angehörige vor großen Herausforderungen mitten in ihrer Trauer. Wie plant man eine Bestattung in Ludwigshafen am Rhein, welche Beisetzungsformen gibt es und welche Dokumente werden benötigt? Das Bestattungsinstitut Trauerhilfe Göck begleitet Menschen in dieser schweren Lebensphase individuell und persönlich. So kann man sich aufs Abschied nehmen konzentrieren und alle Formalitäten in vertrauensvollen Hände geben.  Die Belastung...

Wirtschaft & HandelAnzeige
App für Finanzen: Monatliche Einnahmen und Ausgaben im Überblick behalten und ganz einfach Überweisungen tätigen? Das alles kann die Finanz-App der Sparkasse | Foto: Maria Vitkovska/stock.adobe.com
4 Bilder

App für Finanzen: So behalten Sie Ihr Geld ganz leicht im Blick

App für Finanzen. Immer die Übersicht über die eigenen Finanzen bewahren, von überall Überweisungen tätigen und ganz einfach Rechnungen mit dem Handy bezahlen – das geht mit der preisgekrönten App der Sparkasse. Anschauliche Übersicht: Kontostand, Überweisungen, Einnahmen und Ausgaben auf einen BlickMit der Finanz App der Sparkasse kann man sich den Weg in die Filiale oder den Gang an den Rechner sparen. Überweisungen ausführen sowie Kontostand und Umsätze prüfen – das geht immer und überall....

RatgeberAnzeige
KFZ-Versicherung wechseln: Der Wechsel der Autoversicherung kann sich richtig lohnen. Mit einem Tarifvergleich findet man schnell und kostenfrei die beste Versicherung für die eigenen Ansprüche. | Foto: AntonioDiaz/stock.adobe.com
3 Bilder

Kfz-Versicherung wechseln: So sichern Sie sich die besten Konditionen

Kfz-Versicherung wechseln: Sie sind unzufrieden mit dem Preis oder der Leistung Ihrer Kfz-Versicherung? Dann lohnt es sich, über einen Wechsel nachzudenken. Den besten und günstigsten Tarif zu finden, ist mithilfe eines Vergleichsportals nicht aufwendig und auch der Versicherungswechsel selbst funktioniert hier schnell und unkompliziert.  Kfz-Versicherung wechseln: Darum lohnt es sich genau jetzt  Wenn Sie mit dem Gedanken spielen, Ihre Kfz-Versicherung zu wechseln oder eine neue Versicherung...

Ausgehen & GenießenAnzeige
Kreuzfahrt als Gruppenreise erleben: Gemeinsam mit den Kreuzfahrtfreunden aus der Pfalz kann man die schönsten und interessantesten Ziele der Welt entdecken. Rundum betreut und sicher.  | Foto: stock.adobe.com/ Pav-Pro Photography
2 Bilder

Kreuzfahrt als Gruppenreise: Entdecken Sie die schönsten Reiseziele

Kreuzfahrt als Gruppenreise. Gemeinsam mit Gleichgesinnten einzigartige und unvergessliche Erfahrungen an Bord eines Kreuzfahrtschiffs erleben und die schönsten Reiseziele der Welt in einer entspannten und intensiven Art erkunden. Lassen Sie sich von traumhaften Orten beeindrucken und erleben Sie faszinierende Landschaften, kulturelle Begegnungen und abenteuerliche Ausflüge als deutschsprachige Gruppenreise gemeinsam mit dem Kreuzfahrtfreunden.  Warum eine Kreuzfahrt in der Gruppe buchen?Seit...

Wirtschaft & HandelAnzeige
BWL Mannheim: Neben dem Job an der VWA studieren und mit diesem Booster für die Karriere: ins Management durchstarten. Die Studiengänge beginnen jeweils zum Wintersemester und zum Sommersemester. | Foto: VWA Rhein-Neckar
4 Bilder

BWL Mannheim: Betriebswirt, Bachelor und Master erlangen

BWL. Studium in Mannheim. Motto: „Wir lehren Wirtschaft." Mit der VWA Rhein-Neckar zum Bachelor und Master in Betriebswirtschaftslehre. Die VWA bereitet Studierende auf ihre Karriere vor - ob sie gerade aus der Schule kommen oder eine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen haben und im Berufsleben stehen. Wer sich für einen Studiengang bei dem Mannheimer Bildungspartner für Verwaltung und Wirtschaft entscheidet, studiert in der Regel berufsbegleitend neben dem Job. BWL Mannheim ist auch in...

Wirtschaft & HandelAnzeige
Digital Sales Manager Ludwigshafen: Die Vermarktungsexperten für Medialösungen der Tageszeitung DIE RHEINPFALZ und der Wochenzeitung WOCHENBLATT vertrauen auf gute Beziehungen zu ihren Kunden. | Foto: JKLoma/stock.adobe.com

Digital Sales Manager Ludwigshafen: Bei Mediawerk Südwest

Digital Sales Manager Ludwigshafen. Das Team der MWS Mediawerk Südwest GmbH heißt regelmäßig neue Kollegen willkommen. Es lohnt sich, sich zu bewerben - nach der Schule um eine Ausbildung oder als Berufserfahrener um eine Anstellung. Die Vertriebsmitarbeiter entwickeln im Austausch mit ihren Kunden maßgeschneiderte Strategien, um mit den innovativen Medialösungen den Service,  die Produkte oder die Technologie der Unternehmen erfolgreich in den Blickpunkt relevanter Personengruppen zu rücken....

Online-Prospekte aus Mannheim und Umgebung



add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.