Interview mit DFB-Funktionär Ronny Zimmermann
„Dieses Turnier wird definitiv ein ganz spezielles “
Fußball. In wenigen Tagen erfolgt im Wüstenstaat Katar der Anpfiff zur 22. Fußballweltmeisterschaft. Und selten zuvor wurde bereits im Vorfeld so kontrovers über den äußerst umstrittenen Austragungsort diskutiert. Ein Riesenturnier in einem Wüstenstaat, in dem das Thema Menschenrechte eher eine sekundäre Rolle spielt? Noch dazu im europäischen Winter? Hätte man da nicht vorzeitig gewichtige Einwände vorbringen können. Der Zuschlag im Jahre 2010 passt aber zu den Entwicklungen des internationalen Fußballs im letzten Jahrzehnt. Das Geld und die daraus folgenden immensen Einnahmen spielen für die FIFA eine immer größere (und nahezu die einzige) entscheidende Rolle.
von Peter Engelhardt
Ronny Zimmermann, unweit von Mühlhausen bei Heidelberg geboren, seit einigen Zeit frischgekürter Präsident des Süddeutschen Fußballverbandes und seit 2013 Mitglied des DFB-Präsidiums macht sich sowohl privat wie auch beruflich tagtäglich Gedanken über die Entwicklung des Fußballs hierzulande und auf internationaler Ebene.
???: Freut sich Ronny Zimmermann auf die Fußball-Weltmeisterschaft?
Ronny Zimmermann: Grundsätzlich stehe ich total auf Turniere. Das sind sportliche Wettbewerbe der besonderen Art. Leider sind die Rahmenbedingungen bei dieser WM kaum auszublenden. Ich hoffe, dass wir uns trotzdem auf spannenden Fußball freuen können.
???: Wie wird sie beziehungsweise könnte sie laufen in a) sportlicher b) politischer und c) gesellschaftlicher Hinsicht?
Zimmermann: Das ist schwierig zu beantworten. In sportlicher Hinsicht hoffe ich, dass sich unser Team stabilisiert und ein besseres Turnier hinlegt als zuletzt.
Politisch und gesellschaftlich ist die Lage sehr komplex. Einerseits haben wir den problematischen Umgang mit den Menschenrechten, andererseits haben wir die Entwicklungen in Katar, die auch von vielen Nichtregierungsorganisationen durchaus als positiv dargestellt werden. Wir stehen nach wie vor im Austausch mit vielen Organisationen und mit anderen Nationalverbänden, um das Auftreten vor Ort zu besprechen. Der große Wunsch wäre, dass sich im Gastgeberland nachhaltige positive Veränderungen ergeben. Ob das aber dem Sport alleine gelingt, vermag ich nicht zu beurteilen.
???: Wie sehen Sie die sportliche Entwicklung des Fußballs seit Ihrem Amtsantritt als Funktionär?
Zimmermann: Der Sport im Allgemeinen und der Fußball im Speziellen sind viel schneller, athletischer und technischer geworden. Gerade in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren hat sich eine Menge getan. Ernährungsberater und Psychologen waren 2004 noch so gut wie kein Thema. Heute gibt es ständig weitere Erkenntnisse, die es natürlich zu sondieren gilt. Sind sie sinnvoll oder nicht? Auf manches hätte man vielleicht schon früher kommen können, aber ganz generell verändern sich die Dinge in einem irrwitzigem Tempo. Im Spiel selbst stehen heute Aspekte wie Geschwindigkeit, die Beherrschung des Raumes ganz vorne - zusammen mit Kreativität und Individualität.
???: Stichworte: Financial Fair Play? Super League? Zu viele Wettbewerbe? Ist das Rad in Sachen Fußball allmählich nicht überdreht?
Zimmermann: Der Fußball ist sowohl national als auch international wirtschaftlich auf einem absoluten Spitzenlevel angekommen. Er ist mittlerweile ein Bestandteil der Unterhaltungsbranche. Solange der Kunde zahlt, gibt es kein Limit. Es sind die ganz einfachen Mechanismen unserer freien Marktwirtschaft: immer höher, immer weiter, immer mehr - wie in der Industrie. Die Bundesliga oder die Champions League sind zwischenzeitlich weltweite Systeme und sie stehen in natürlicher Konkurrenz zu anderen Ligen und Branchen, daher gilt es hier zusätzliche Märkte zu öffnen. Der Sport alleine, insbesondere die Verbände, können derartige Entwicklungen nicht verhindern denn wir können keine Regelungen treffen, die gegen öffentliches und damit höherrangigeres Recht verstoßen. Mein Wunsch wäre ein allgemeingültiges, öffentliches Sportrecht für Deutschland und Europa. Die Möglichkeit eines Überdrehens ist sicher gegeben. Jetzt sind wir alle sehr gespannt, wie die gerichtlichen Verfahren zur Super League enden. Ich wünsche mir, dass die UEFA hier am Ende Recht behält und es zu keiner solchen Liga kommen wird.
???: Ständig neue aufgeblähte Wettbewerbe, Fußball auf allen Kanälen nahezu rund um die Uhr – Kommt es irgendwann mal zu einer Übersättigung?
Zimmermann: Diese Gefahr sehe ich durchaus, bislang kam es aber noch nicht dazu. Es hängt immer auch von der Qualität des Wettbewerbs ab. Aber Fußball ist eben auch eine wunderbare Unterhaltung - und Unterhaltung ist gerade in einer Welt voller Probleme sehr gefragt. Aber diese Unterhaltung muss bezahlbar bleiben.
???: FIFA + UEFA – warum werden Funktionäre mit zunehmender Macht immer korrupter?
Zimmermann: Mit Verallgemeinerungen zu arbeiten, halte ich für unseriös und sehr gefährlich. Gerade wenn es um solch schwerwiegende Vorwürfe wie Korruption geht. Man sollte nicht alles in einen Topf werfen, sondern sehr gründlich betrachten, welcher Sachverhalt jeweils im Einzelnen zugrunde liegt. Fehlverhalten ist auf jeden Fall streng zu ahnden.
???: Wie begann eigentlich ihre Laufbahn als Funktionär?
Zimmermann: Ich habe in Heidelberg Jura studiert und arbeite noch heute als eigenständiger Jurist. Mein Ziel war nie, eine Verbandskarriere einzuschlagen. 1995 hat mich ein Schiedsrichter angefragt: „Ronny, der Badische Fußballverband sucht einen Juristen.“ So ist meine Karriere als Verbandsfunktionär ins Laufen gekommen.
???: Was sind Ihre speziellen Aufgaben und was macht Ihnen am meisten Freude bei der Arbeit?
Zimmermann: Beim DFB leite ich unter anderem die Konferenz der Regional- und Landesverbandspräsidenten. Hier geht es regelmäßig um die zentralen Themen des Amateurfußballs und wie immer beim Fußball gibt es die unterschiedlichsten Auffassungen, welches der richtige Lösungsansatz ist. Es treffen verschiedenste Haltungen und natürlich auch Interessenlagen aufeinander, die es zu berücksichtigen gilt. Eine meiner zentralen Aufgaben ist darüber hinaus das Schiedsrichterwesen. Ich bin Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der neu eingerichteten Schiedsrichter GmbH. Fußball kann bisweilen sehr föderalistisch sein. Bis wir bspw. die Jugendreform bundesweit auf den Weg gebracht haben, hat es rund fünf Jahre gedauert. Abgesehen von den offiziellen und administrativen Aufgaben macht mir weiterhin am meisten Spaß, Fußball zu spielen, Fußball zu schauen und über Fußball zu reden. Und zwar genau in dieser Reihenfolge. Leider geht ersteres aufgrund meiner kaputten Knie nicht mehr wirklich.
???: Fußball ohne Gewalt ist Ihr wichtigstes Credo – wo stehen wir hier?
Zimmermann: Der Profi- und der Amateurfußball stellen hier zwei Welten mit unterschiedlichen Problemfeldern dar. Ich habe noch nie verstanden, warum man im Fußball aufeinander einschlagen oder sich beleidigen muss. Gerade im Sport muss in Deutschland ein zivilisierter Umgang möglich sein. Egal ob Spieler, Betreuer oder Zuschauer – jeder der am Spiel teilnimmt, muss sich an die Regeln halten, sonst funktioniert kein Spiel der Welt Andernfalls muss man entsprechend sanktionieren, was keinen Spaß macht. Gewalt war aber schon immer da und ist es leider auch heute noch. Zudem ist heute alles viel transparenter, viel öffentlicher. Es gibt Vereine, die sich sehr bemühen, diese Thematik aufzuarbeiten, andere weniger. Am Ende müssen sich schlichtweg alle dieses Thema mehr zu Herzen nehmen. Wenn man die einfachsten zwischenmenschlichen Grundparameter zugrunde legt, kann schon nicht mehr allzu viel passieren. Fußball besteht immer aus Gast und Gastgeber. Wenn hier jeder seiner Rolle gerecht wird ist schon vieles in Ordnung. Das gilt im Übrigen nicht nur im Sport. Etwas mehr Empathie würde in allen Bereichen nicht schaden.
???: Das Ehrenamt verlangt sehr viel Herzblut und Zeitaufwand? Wie beurteilen Sie dieses Engagement in den Vereinen?
Zimmermann: Das Engagement hat in vielen Bereichen nachgelassen. Das sind möglicherweise Tendenzen unserer Gesellschaft. Damit beschäftigen wir uns auch im Verband. Aber es wird leider auch vieles komplizierter und die Aufgaben im Fußball werden vielfältiger. Ein Trainer beispielsweise muss auf so viele Dinge achten: Soziale Kompetenz, interkulturelle Kompetenz, rechtliche Rahmenbedingungen wie die Datenschutzgrundverordnung. Auch die Eltern sind insgesamt nicht einfacher geworden.
???: Wie sehen Sie die sportlichen Entwicklungen und Perspektiven der badischen Vereine?
Zimmermann: Der SV Waldhof möchte den nächsten Schritt nach oben machen, das finde ich grundsätzlich gut und richtig. Das Zeug dazu hat der Club. Ob es gelingt, werden wir im Mai 2023 sehen, die 3. Liga hat eine enorme Leistungsdichte. Das wird ein sehr enges Aufstiegsrennen. Mit der TSG Hoffenheim haben wir seit vielen Jahren einen Bundesligisten, mit Sandhausen und Karlsruhe zwei Zweitligisten und den SVW in der 3. Liga. Das kann sich für unsere Metropolregion durchaus sehen lassen. Der SV Sandhausen wird diese Spielzeit aus meiner Sicht nichts mit dem Abstieg zu tun haben, sie werden eine eher ruhige Saison haben. Sie sind jetzt seit 10 Jahren in der 2. Bundesliga, das ist eine äußerst respektable Leistung. (pete)
„Eine Verbandskarriere war eigentlich nie vorgesehen“Zimmermann mit vielen Funktionen beim DFB
Autor:Peter Engelhardt aus Mannheim |
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