Gratwanderung über den Watzmann
Dem Himmel so nahe
Watzmann. Sie gilt als bayrische Königstour und ist neben dem Zugspitz-Jubiläumsgrat die bekannteste Gratwanderung der deutschen Alpen: Die berühmte Watzmannüberschreitung, der Traum vieler Bergsteiger.
Von Markus Pacher
Groß und mächtig thront das dominante, aus mehreren Gipfeln bestehende Felsmassiv über dem Talkessel. „Aufi, aufi, hollarodulliöh, der Watzmann ruft!“ An einem schönen Sommertag, mitten im Familienurlaub auf der Alm, reift in bester Bierlaune der Entschluss, dem Schlachtruf der legendären Bergbauernparodie von Wolfgang Ambros zu folgen und den Schicksalsberg der Deutschen mitsamt seinen Nebengipfeln zu besteigen. Mit meinen beiden Bergsteigerfreunden Fritz und Joe mache ich mich in der Morgendämmerung auf den Weg, um das vermeintlich Unmögliche zu schaffen: Die gesamte Überschreitung an einem einzigen Tag. Unsere Frauen runzeln besorgt die Stirn: „Seid ihr mit euren 55 Jahren nicht etwas zu alt für ein solch „gefährliches„ Unterfangen?“
Trittsicherheit und Schwindelfreiheit erforderlich
Aller guten Dinge sind: Drei Kilometer misst unser luftiger Spaziergang über die drei Hauptgipfel Südspitze, Mittelspitze und Hocheck. Das hört sich harmlos an, aber um es gleich vorwegzunehmen: Die Watzmannüberschreitung ist kein reiner Klettersteig - auch wenn das Set an einigen Stellen den Bergsteiger sichert, stoßen wir am Grat auf viele ausgesetzte und ungesicherte Passagen, die absolute Trittsicherheit und Schwindelfreiheit erfordern. Die meisten Bergsteiger kalkulieren für das Projekt „Watzmann“ drei Tage ein, übernachten nach einem vierstündigen Aufstieg im Watzmannhaus und nutzen nach der zehnstündigen Überschreitung die Wimbachgrieshütte als Nachtquartier. Am nächsten Morgen geht es dann frisch erholt durchs Wimbachgries zurück zum Parkplatz an der Wimbachbrücke. Wir dagegen zäumen das Pferd von hinten auf und laufen die Tour in umgekehrter Richtung. Der Vorteil: Die Zahl der zu bewältigenden Höhenmeter, nämlich stolze 2.389, ist die gleiche - aber der gefürchtete Geröllabstieg von der Südspitze ins Wimbachgries wird in einen Aufstieg verwandelt, die Gefahr von Ausrutschern infolge müder Beine dadurch erheblich minimiert.
Ein Hatscher zum Auftakt
Der Tag begrüßt uns noch vor Sonnenaufgang mit einem Hatscher: In zweieinhalb Stunden durchwandern wir das berühmte Wimbachgries und damit eine Natursensation, die im gesamten Alpenraum ihresgleichen sucht: Es ist ein riesiger Schuttstrom aus den. Dolomitgesteinen des Watzmann- und Hochkaltermassivs , der in einer mächtigen Schicht den Talboden bedeckt und die Urgewalten der Natur unmittelbar spüren lässt. Nach der Wimbachgrieshütte wirds ernst: Der Aufstieg zur 1.400 Höhenmeter höher gelegenen Südspitze erfordert ein Höchstmaß an Kondition. Unglaublich: Es ist gerade mal 11 Uhr und schon rennen uns die ersten Bergläufer vom Watzmannhaus aus entgegen. Im letzten Jahr schaffte der Spitzenausdauersportler Toni Palzer die Watzmannüberschreitung in 2:47 Minuten.
2000 Höhenmeter in fünf Stunden
Völlig ausgepowert aber zufrieden mit unserer Leistung - 2000 Höhenmeter in fünf Stunden – erreichen wir die Südspitze und damit den Einstieg zum Watzmanngrat. Der Tag ist gerettet, jetzt kann der Spaß beginnen! Es ist das ewige Spiel mit der Zeit, das wir heute gewonnen haben. Wenn nichts mehr schiefgeht, sollten wir spätestens in den frühen Abendstunden das Watzmannhaus und damit das rettende Ziel erreicht haben.
Grandiose Tiefblicke
Der Tiefblick über die legendäre Watzmann-Ostwand hinunter zum Königssee ist überwältigend. Ein weiteres Mal stockt uns der Atem, als wir die Linie des Grates mit ihren vielen Felszacken, die sich wie die Perlen einer Kette aneinanderreihen, verfolgen und sich plötzlich das Kopfkino einschaltet: Dürfen wir uns trauen, reicht unsere bergsteigerische Erfahrung, um wieder heil vom Berg herunterzukommen? Auf dem Grat selbst verfliegen die Ängste. Wir passen aufeinander auf, helfen uns bei heiklen Stellen, drücken manchmal ein bisschen nach, wenn im schweren Fels die Armkraft nicht ausreicht oder der Fuß vergeblich nach Halt sucht.
Ein Bierchen zum Abschluss
So hangeln wir uns im wilden Auf und Ab zur Mittelspitze, unter uns der Königssee mit seinen wie Spielzeuge wirkenden Booten, dabei den Blick stets konzentriert auf den Grat mit seinen scharfen Kanten und heiklen Geröllabschnitten gerichtet. Nur das Knacken der Karabiner stört die endlose Ruhe. Nie fühlten wir uns dem Himmel so nahe. Noch vor dem Erreichen der Mittelspitze, mit 2713 Metern höchster Punkt der Tour, blicken wir hinunter auf die am Westufer des Königsees gelegene barocke Wallfahrtskirche St. Bartholomäe, eines der beliebtesten Fotomotive Deutschlands. Die Mittelspitze müssen wir uns mit vielen anderen Bergsteigern teilen. Nun liegen alle technischen Schwierigkeiten hinter uns. Den Rückweg über Hocheck und Watzmannhaus können auch müde Beine bewältigen. Und sogar ein Bierchen gönnen wir uns noch, bevor wir beim 1.300-Meter-Abstieg zur Wimbachbrücke unsere letzten Reserven herauskitzeln und uns nach insgesamt 13 Stunden müde aber glücklich in die Arme fallen. pac
Autor:Markus Pacher aus Neustadt/Weinstraße |
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