Inklusion und Teilhabe
Rollstuhl-Tour durch Rülzheim zeigt Hindernisse und Fehlkonstruktionen auf
Rülzheim. Quergefälle an Gehwegen, Bordsteinkanten, parkende Autos, gut gemeinte aber schier unüberwindbar steile Rampen – Menschen, die auf einen Rollstuhl oder Rollator angewiesen oder mit Kinderwagen unterwegs sind, haben es im Alltag nicht leicht. Denn auch wenn Kommunen und Unternehmen sich die Barrierefreiheit mittlerweile groß auf ihre Fahnen schreiben und der Gesetzgeber diese in den Bau- und Sanierungsvorschriften fest integriert hat, gibt es noch allzu viele Hindernisse und Unwägbarkeiten, die Gehenden oft gar nicht auffallen.
Unterwegs im Rollstuhl - ein Selbstversuch und Perspektivenwechsel
Aus diesem Grund lud am Donnerstag der Rülzheimer Inklusionsbeauftragte Fritz Knutas zu einer „Tour mit dem Rollstuhl“ ein. Vom Rathaus der Verbandsgemeinde ging es an neuralgische Punkte im Zentrum und dann weiter zum Braun’schen Stift, wo Behinderte und Nichtbehinderte gemeinsam über das Erlebte ins Gespräch kamen.
Für die Teilnehmenden ohne Gehbehinderung standen Rollstühle bereit, damit sie den Rundgang durch den Ort aus der Sicht eines Rollstuhlfahrenden erleben konnten. Auch Matthias Schardt, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Rülzheim, und Michael Braun, Beigeordneter der Ortsgemeinde Rülzheim, ließen es sich nicht nehmen die „Rülzheimer Einkaufsmeile“ in der Mittleren Ortsstraße aus der Rolli-Perspektive zu erfahren. Dieser Perspektivwechsel solle neue Erkenntnisse bringen. Für noch mehr Empathie und Solidarität sei es so wichtig, einmal selbst zu erleben, wo es schwierige Stellen und Hindernisse gibt, die einem als Fußgänger meist nicht auffallen, sagt Schardt.
Erkenntnisse und Bestürzung
Ein Kabelkanal sorgt für das erste, schier unüberwindbare Hindernis und lässt die Kommunalpolitiker bestürzt zurück. „Wenn man bedenkt, dass Menschen aus solchen Gründen einen Weihnachtsmarkt oder eine Kerwe nicht besuchen können, macht das einfach traurig“, so der Bürgermeister.
Und siehe da, schon beim Rathaus der Verbandsgemeinde tun sich die nächsten Probleme auf: die Rampe vor der „eigenen Haustür“ ist zu steil und zu schmal – und damit für die meisten Rollstuhlfahrer*innen nur sehr schwer zu bewältigen. Matthias Schardt ist sichtlich beeindruckt: „Da sprechen wir darüber unseren Eingangsbereich ansprechender zu gestalten und vielleicht ein paar Bäume und Blumen mehr zu pflanzen und dann erlebt man so was. Wir müssen schauen, wie wir das schnell und sinnvoll verbessern können. Das darf nicht so sein. Gerade ins Rathaus muss jeder Mensch ohne Hilfe kommen.“
Entlang der Straße fällt den Nichtbehinderten im Rollstuhl sofort auf: Das gesetzliche vorgegebene Quergefälle vom Gehweg zur Straße hin, das für das Ablaufen des Regenwassers sorgen soll, ist im Rollstuhl ein echtes Problem. Schon eine geringe Neigung zieht das Gefährt Richtung Straße, ohne Übung und ohne großen Kraftaufwand lässt sich da kaum gegensteuern. Viele Rülzheimer Geschäfte sind aufgrund der baulichen Verhältnisse nicht barrierefrei und können von Rollstuhlfahrenden nur schwer aufgesucht werden – meist gibt es Treppen, man ist auf Hilfe angewiesen. Auch die existierenden Rampen sind häufig zwar gut gemeint, aber nicht nutzbar: In Rülzheim ist es die bei der VR-Bank, die den Menschen mit Behinderung Rätsel aufgibt: Sie ist so steil, dass man fast nach hinten überkippt und sich mit Armeskraft am Geländer entlang hoch hangeln muss. Regnet ist, wir der Belag so rutschig, dass man die Reifen des Rollstuhls fast nicht mehr kontrollieren kann. Nicht nur ärgerlich, sondern auch gefährlich, sind sich alle einig.
Auch parkende Autos und die Querung der Straße sind für Menschen im Rollstuhl ein großes Problem, erkennen die Nichtbehinderten schnell. „Es ist unangenehm, zu wissen, dass man im Rollstuhl von Autofahrern fast nicht gesehen werden kann“, sagt Matthias Schardt und kämpft gleichzeitig mit der Bordsteinkante beim Überqueren der Straße. Das geht für die ungeübten Rolli-Fahrer überhaupt nur, weil Fritz Knutas die Autos aufhält. Alle erkennen: die Bordsteine müssen dringend abgesenkt werden, es braucht Übergänge und Zebrastreifen.
Inklusion und Teilhabe müssen noch selbstverständlicher werden
Im abschließenden Gespräch fast Schardt das Erlebte zusammen: „Inklusion und Barrierefreiheit sind wichtige Themen: Sei es auf der Straße oder auch auf unserer Internetseite oder wenn wir die Bürger anschreiben. Wir müssen dieses Thema ganz neu denken. Und wenn es an die Kostenfrage geht, darf keiner mehr fragen, wie vielen Menschen eine Maßnahme überhaupt nutzen würde und ob sich das lohnt. Denn für mich steht fest: Es darf kein einziger Mensch ausgeschlossen werden und prinzipiell muss jeder Mensch jede Einrichtung ohne fremde Hilfe besuchen können", so Matthias Schardt abschließend.
Autor:Heike Schwitalla aus Germersheim | |
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