Interview mit Volker Ziesling
"Der Patient Wald braucht Ruhe"

Der Waldbestand an der Iggelheimer Straße ist aus Sicht der Bürgerinitiative "Waldwende jetzt" ausgeplündert.
 | Foto: privat
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  • Der Waldbestand an der Iggelheimer Straße ist aus Sicht der Bürgerinitiative "Waldwende jetzt" ausgeplündert.
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Speyer. Bäume und Wälder sind eine wirksame Waffe gegen den KIimawandel, doch der "Klimaschützer Wald" leidet unter den Folgen eben dieses Klimawandels. Stürme, Hitze und Trockenheit setzen ihm zu und machen die Bäume anfälliger für Schädlinge. Der Speyerer Volker Ziesling ist Mitbegründer der Bürgerinitiative "Waldwende jetzt". Ziel der im Juni gegründeten Initiative ist es, die Wälder der Rheinebene zu schützen. Cornelia Bauer sprach mit dem gelernten Forstwirt.

???: Wie schlimm ist es um das Waldgebiet zwischen Speyer und Neustadt bestellt? 
Volker Ziesling: Die Waldschäden im Gebiet zwischen Speyer und Neustadt sind deutlich sichtbar. Durch die fortlaufende Entnahme abgestorbener Bäume wird dies allerdings weniger sichtbar als in anderen Waldgebieten. In der Folge sinken die Holzvorräte und damit die Kohlenstoffvorräte des Waldes dramatisch ab. Im Landesdurchschnitt stehen auf jedem Hektar Wald noch 320 Kubikmeter Holz, in einem Naturwald wären das deutlich über 500 Kubikmeter. Im Speyerer Stadtwald und im Bürgerhospitalwald sind durch die fortlaufenden Entnahmen von Holz inzwischen nur noch Vorräte von rund 180 Kubikmeter Holz je Flächeneinheit zu finden.
Die fortlaufenden Holzentnahmen erodieren den Wald „von Innen“ heraus und schränken damit seine Leistungsfähigkeit bezüglich Klimaschutz, Grundwasserspeicherung, Biodiversität und CO2- Bindung deutlich ein. Die größten Verluste hat die Baumart Kiefer, eigentlich eine Baumart der borealen Nadelwaldzone, die in besonderem Maße vom Trockenstress betroffen ist. Durch die permanente Auflichtung der Waldbestände leiden aber auch zunehmend die Buche und andere Laubhölzer. Der Wald benötigt dringend eine Ruhephase.

???: Ihre Initiative sucht möglichst viele Mitstreiter aus dem Umlandgemeinden und will sich auch mit anderen Waldinitiativen der Rheinebene vernetzen. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Ziesling: Die Idee einer Bürgerinitiative wurde in der AG Wald des Kreisverbandes Speyer Bündnis90/ Die Grünen geboren. Zunächst ging es um einen Paradigmenwechsel der Waldbehandlung im Stadtwald Speyer. Klimawandel und Waldsterben machen aber an Verwaltungsgrenzen nicht Halt. So wollten wir zunächst die Umlandgemeinden zu einer Umsteuerung in der Waldbehandlung bewegen. Durch die Unterstützung zahlreicher lokaler Bürgerinitiativen in der Rhein-Neckar-Region und im südbadischen Raum wurde schnell klar, dass wir nur mit einer länderübergreifenden Initiative die politische Entscheidungsträger erreichen können. Die Bürgerinitiative "Waldwende jetzt" hat inzwischen einen Aktionsradius, der von der Schweizer Grenze bis ins Mittelrheintal nach Koblenz reicht.

???: Sie fordern einen Verzicht auf die Produktion von Rohholz in der Oberrheinebene und den angrenzenden „Vorbergzonen“ zwischen Frankfurt und Basel. Was hat die Forstwirtschaft falsch gemacht? Und: Wie kommt Ihre Forderung bei den Waldeigentümern an? 
Ziesling: Es geht nicht um eine Anklage der bisherigen Forstwirtschaft. Was bis gestern noch richtig war, kann heute schon existenzbedrohend für den Wald sein. Wir brauchen aber nach den drei Dürrejahren jetzt einen radikalen Schnitt bei der Behandlung der Wälder. Die Durchforstungsmaßnahmen mit Rückegassen (Befahrungslinien der Harvester) in einem Abstand von 20 Metern und die verfahrensbedingt intensiven Eingriffe haben zu einer starken Durchlichtung unserer Wälder geführt. Diese intensive Durchlichtung der Wälder, aber auch die Bodenverdichtungen durch den Großmaschineneinsatz führten zu einer Aufhebung des Waldinnenklimas, das gerade in Hitzeperioden das System Wald aufrecht erhält.
Der Boden ist das wichtigste Kapital des Waldwachstums. Dieses Kapital wurde durch Nährstoffentzüge und Befahrungen im Rahmen der Holzernte und maschineller Pflanzungen in großen Teilen zerstört und behindert damit das Wachstum zukünftiger Waldgenerationen. Wir sind mitten in einem Meinungsbildungsprozess. Einige Waldbesitzer, so die Stadt Mannheim oder die Stadt Hockenheim haben die existentielle Bedrohung ihres Waldes rechtzeitig erkannt. Dennoch sind auch dort noch einige Widerstände zu brechen, die Gesamtstrategie scheint aber auf einen Paradigmenwechsel hinauszulaufen.
Andere Waldbesitzer verteidigen ihre bisherige Waldbehandlung und lehnen jede Anpassungsstrategie an die Folgen des Klimawandels strikt ab. Dazu gehört auch die Stadt Speyer, die ihren Betrieb nach wie vor als Wirtschaftsbetrieb betrachtet, obwohl dieser seit Jahren nur durch Zuführungsbeträge aus Steuermitteln in sechsstelliger Höhe überlebensfähig ist. Ein klares Zielsystem fehlt dort. Die Bedeutung des Waldes für den lokalen Klimaschutz, für die CO2-Speicherung, für den Schutz des Grundwassers und die Erholung des Menschen wurde hier noch nicht erkannt und stattdessen wird weiterhin eine hochdefizitäre Holzproduktion betrieben.

???: Was muss sich sonst noch ändern, damit der Wald auch in Zukunft seine klimaschützende Funktion erfüllen kann?
Ziesling: Ändern muss sich unser Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Hauptursache des Klimawandels ist der hohe Ausstoß von klimaschädlichen Gasen wie CO2 und Methan. Die Überforderung unseres Waldes ist zunächst klimawandelbedingt. Deshalb müssen wir alle Anstrengungen unternehmen die Emissionen dieser Klimagase zu reduzieren und einen schnellen Wechsel weg von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energien hinzubekommen.
Der Patient Wald benötigt, wie andere Patienten auch, zunächst einmal eine mehrjährige Ruhephase. Unser in den Wäldern der Rheinebene produziertes Holz ist eine Wegwerfware, die in kurzlebige Verwendungen eingesteuert wird (Brennholz, Spanplatten, Papier, Paletten). Es liegt auch an unserem Konsumverhalten, solche kurzlebigen Produkte künftig zu vermeiden. Nicht zuletzt ist es auch eine Frage der landwirtschaftlichen Produktion und der Ernährungsweise, ob wir es schaffen das Ruder herumzureißen. Insbesondere der Konsum von Fleisch ist weltweit einer der Hauptverursacher für den Ausstoß des klimaschädlichen Methan, das sich von seiner Wirkung vielfach schädlicher auf den Treibhauseffekt auswirkt als Kohlendioxyd. Letztendlich müssen wir unser gesamtes Konsumverhalten von Ernährung, Verkehr, Ressourcenverbrauch in Frage stellen, um die globale Katastrophe zu vermeiden.

???: Wie wird der Wald der Zukunft aussehen? Und in welchem Verhältnis wird der Mensch zum Wald stehen?
Ziesling: Wie der Wald der Zukunft aussehen wird, entscheiden wir jetzt. Generationengerechtigkeit beginnt auch bei der Waldbehandlung. Nur eine sofortige Umsteuerung der Waldwirtschaft, aber auch aller angesprochenen Politikbereiche kann die Waldökosysteme in der Oberrheinebene noch retten. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren und bestehen auf einen radikalen Wechsel im Umgang mit dem Wald.
Nach einem sofortigen Einschlagstopp und einem Befahrungsverbot der Waldböden müssen dennoch sanfte Steuerungsmaßnahmen erfolgen, damit sich nicht die bereits vorhandenen exotischen Baumarten weiter durchsetzen und die potenziell natürliche Vegetation verdrängen. In den Wäldern der Oberrheinebene setzen sich zwischenzeitlich Götterbaum, spätblühende Traubenkirsche und Robinie aus überseeischen Herkünften durch. Einheimische Baum- und Straucharten werden dadurch zurückgedrängt. Wer Biodiversität ernst nimmt, sollte auch alles dafür tun, diese Neophyten zurückzudrängen. Tun wir das nicht, werden sich Sekundärwälder entwickeln, die unsere Landschaft verändern.
Wenn wir das 1,5 Grad Ziel nicht verfehlen, können sich in der Rheinebene Waldgesellschaften entwickeln, die den potentiell natürlichen Waldgesellschaften sehr nahe kommen. Dies sind auf der Niederterrasse des Rheines überwiegend verschiedene Buchenwaldgesellschaften mit hohem Eichenanteil. Innerhalb des Kollektives wird es zu Verschiebungen zugunsten von wärmeliebenden Baumarten wie Traubeneiche, Hainbuche, Feldahorn, Winterlinde kommen. Der Mensch wird ein neues Verhältnis zu seinen Wäldern entwickeln. Er wird erkennen, dass nicht einige Forstexperten oder Stadträte alleine das Recht besitzen Entscheidungen zu Lasten künftiger Generationen zu treffen. Die Bürger selbst entscheiden, in welche Richtung Wälder zu entwickeln sind.
Der Mensch wird erkennen, dass Wald in den zunehmenden Hitzeperioden kühlende Wirkungen für die angrenzenden Wohnbebauungen entfaltet. Er wird erkennen, dass Wasser einen intakten Wald benötigt um künftig in gleicher Menge und Qualität zur Verfügung zu stehen. Wald macht gesund und in einer virtuellen Welt ist der Wald Rückzugsraum für eine Bevölkerung, die sich weit von ihrer Zugehörigkeit zu natürlichen Prozessen entfernt hat. Wald wird damit zu einem neuen Lernraum und Rückzugsgebiet für künftige Generationen.

Das geht uns alle an:
Nachhaltigkeit liegt uns am Herzen. Unsere Wochenblätter werden auf Recycling-Papier gedruckt. Hierfür musste kein Baum sterben. Gegenüber Frischfaserpapier werden bei der Herstellung von Recyclingpapier zudem bis zu 60 Prozent Energie, bis zu 70 Prozent Wasser sowie CO2-Emissionen und Abfall eingespart. Der Nachhaltigkeitsgedanke ist auch der Grund für eine Kooperation der Wochenblätter, Stadtanzeiger und des Trifels Kuriers mit der Natur- und Umweltschutzorganisation World Wide Fund For Nature (WWF), der jetzt zusammen mit dem Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter (BVDA) die Kampagne „#together4forests“ startet. Dem BVDA gehören neben unserem Verlag rund 200 Verlage mit einer wöchentlichen Auflage von etwa 60 Millionen Zeitungen an. Wenn Ihnen ein nachhaltiger Umgang mit unserer Umwelt genauso am Herzen liegt wie uns, geben Sie bitte diese Zeitung nach dem Lesen ins Altpapier.

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Der Waldbestand an der Iggelheimer Straße ist aus Sicht der Bürgerinitiative "Waldwende jetzt" ausgeplündert.
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Volker Ziesling ist Mitbegründer der Bürgerinitiative "Waldwende jetzt". | Foto: privat
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Cornelia Bauer aus Speyer

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