Dreiköpfige Historiker-Kommission prüft Speyerer Straßennamen
Speyer. Die Liste, die Lenelotte Möller, Christiane Pfanz-Sponagel und Wilhelm Kreutz in Empfang genommen haben, enthält mehr als 500 Straßennamen. Die Historiker-Kommission, deren drei Mitglieder ihre Arbeit Mitte vergangenen Jahres aufgenommen haben, nimmt die Speyerer Straßennamen unter die Lupe. Im Auftrag des Stadtrates prüft die Kommission, ob es in Speyer Straßenbenennungen gibt, die zwischenzeitlich als problematisch eingestuft werden können, etwa wegen des Umgangs ihrer Namensgeber mit dem NS-Regime. Am Ende sollen Empfehlungen der Historiker-Kommission an den Speyerer Stadtrat stehen.
Lenelotte Möller, Leiterin des Friedrich-Magnus-Schwerd-Gymnasiums, kennt sich bestens aus mit den Speyerer Straßen und arbeitet gerade an einem Buch zum Thema Straßennamen. Christiane Pfanz-Sponagel ist Leiterin des Speyerer Stadtarchivs und hat bereits in ihrer vorherigen Tätigkeit an der Prüfung der Straßennamen in Freiburg mitgewirkt. Dritter Gutachter ist Wilhelm Kreutz, außerplanmäßiger Professor für Neuere Geschichte an der Universität Mannheim und Vorsitzender der Hambach-Gesellschaft für historische Forschung und politische Bildung. Kreutz bereichert das Gremium, indem er die Innensicht der beiden Expertinnen mit einem „Blick von außen“ ergänzt.
500 Namen - das klingt nach viel Arbeit, doch die allermeisten Straßenbenennungen sind gänzlich unproblematisch. Die Blumennamen in der Siedlung etwa oder Straßennamen, die größtenteils seit dem Mittelalter unverändert gelten: die Lebkuchengasse, der Fischmarkt, der Holzmarkt. Auch Richtungsstraßen wie die Wormser oder die Dudenhofer Straße - harmlos. Nachdem die aussortiert waren, blieben noch 40 bis 50 Straßennamen übrig. Zwischenzeitlich hat die Kommission die Liste weiter ausgedünnt: Zwischen 15 und 20 Namen bedürfen einer genaueren Prüfung.
"Wir müssen das Rad nicht neu erfinden", sagt dazu Lenelotte Möller. Die Historiker-Kommission kann auf Forschungsergebnisse und Erfahrungen anderer Städte zurückgreifen. Zu einem frühen Zeitpunkt und besonders vorbildlich haben die Städte Freiburg und Münster das Thema aufgearbeitet. In Speyer haben bereits 1945 die Franzosen Straßen umbenannt. Damals wurde zum Beispiel aus der Adolf-Hitler-Straße wieder "Am Wasserturm". Für ihre Nachforschungen nutzen die Mitglieder der Kommission alle ihnen zur Verfügung stehenden Quellen - nicht nur deutsche.
Um an Informationen in französischen Archiven - etwa im Besatzungsarchiv in Paris - heranzukommen, profitiert die Speyerer Kommission von den Kontakten Michael Martins. Der Historiker und frühere Leiter des Landauer Stadtarchivs unterhält beste Beziehungen nach Frankreich; das hilft. Auch die Akten im Landesarchiv Speyer und die Mitgliederkartei der NSDAP im Berlin Document Center des Bundesarchivs liefern wertvolle Hinweise. "Es gibt nicht nur Schwarz oder Weiß, sondern ganz viel Grau dazwischen" - da sind sich die beiden Speyerer Expertinnen einig. Alle drei Mitglieder recherchieren getrennt voneinander; regelmäßig tauschen sie sich aus.
Die Benennung einer Straße nach einer Person stellt eine außerordentliche Ehrung dar: Der Namensgeber - leider eher noch selten die Namensgeberin - wird dadurch zum Vorbild erhoben, mit dem sich die Bürgerinnen und Bürger identifizieren sollen. Vor diesem Hintergrund fällt die Kommission ihr Urteil, das die Werte der heutigen Gesellschaft spiegelt. Nicht nur der Umgang mit dem Nationalsozialismus wird kritisch hinterfragt, auch der Umgang mit Antisemitismus, Kolonialismus, Rassismus und Militarismus bedarf heute einer differenzierteren Betrachtungsweise.
"Jemand, der Menschen auf dem Gewissen hat" benennt Stadtarchivarin Pfanz-Sponagel als klares Ausschlusskriterium. In der Grauzone allerdings werde die Prüfung schwieriger. So sind etwa Verfehlungen während der NS-Zeit leichter zu beurteilen als der Umgang mit dem sogenannten Dritten Reich und seinen Vertretern im Anschluss. Möller nennt die Benennung eines Platzes in Hamburg nach der Volksschauspielerin Heidi Kabel als Beispiel. Kabel war Mitglied in der NS-Frauenschaft, distanzierte sich später aber ausdrücklich. Nicht immer müsse eine Straße oder ein Platz umbenannt werden, wenn sich Hinweise ergeben, dass ein Namenspate sich nach heutigen Wertmaßstäben in seiner Zeit nicht "politisch korrekt" verhalten habe. In manchen Fällen könnte auch ein Erläuterungsschild ausreichen.
Bereits vor der Einsetzung der Kommission hatten neue Forschungsergebnisse über die Zeit des Nationalsozialismus in Speyer dazu geführt, dass konkret drei Namensgeber Speyerer Straßen als möglicherweise problematisch gelten: der frühere Oberbürgermeister Karl Leiling, Kirchenpräsident Hans Stempel und Museumsdirektor Friedrich Sprater. Aber nicht nur Personen müssen eventuell neu bewertet werden, auch Orte oder historische Ereignisse und Daten können heute kritischer gesehen werden als zum Zeitpunkt der Benennung.
Zu Zwischenergebnissen wollen sich Pfanz-Sponagel und Möller nicht äußern - ihre Ergebnisse gehen zunächst an den Kulturausschuss und anschließend an den Stadtrat. Wann genau das sein wird, können die Mitglieder der Kommission derzeit noch nicht sagen. Nur so viel: Nicht in allen Fällen wird die Kommission einstimmige Empfehlungen aussprechen, dafür gibt es zu viele Grauschattierungen und zu wenig Schwarz oder Weiß. Am Ende entscheiden die Stadträte, wie damit umgegangen werden soll.
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