Wertvolles Zeitdokument
Edith Steins Brief an eine ihrer Schülerinnen
Speyer. Die Heilige Edith Stein hat im Bistum Speyer bleibende Spuren hinterlassen. Ein Brief, den sie 1932 an eine Schülerin der Realschule in Bad Dürkheim geschrieben hat und der heute als Originaldokument im Speyerer Bischofshaus aufbewahrt wird, erinnert an die Philosophin, die von 1923 bis 1931 als Lehrerin an der Schule der Dominikanerinnen von St. Magdalena in Speyer unterrichtet hat.
„An die kleine Marianne erinnere ich mich noch gut“, beginnt Edith Stein ihren Brief an die Schülerin Marianne Karg, die aus Landau stammte und in Speyer die Schule der Dominikanerinnen besucht hatte. Als Realschülerin in Bad Dürkheim stand die junge Frau 1932 vor der Frage der Berufswahl. Es ist zu vermuten, dass sie sich in dieser Situation an ihre Lehrerin Edith Stein gewandt und sie um Rat gebeten hat.
Offenbar war die Schülerin unentschlossen, ob sie einen sozialen Beruf oder den Lehrerinnenberuf ergreifen soll. Edith Stein spricht die ehemalige Schülerin als „Liebes Fräulein Karg“ an und legt ihr nahe, Mathematik für das Lehramt in Kombination mit Theologie zu studieren. „In Münster studieren viele Mädchen Theologie. Allerdings bekommen sie vorläufig noch nicht die Erlaubnis, den Katechismusunterricht zu geben“, setzt sie hinzu. Doch Edith Stein ist optimistisch: „Aber ich glaube, dass das einmal kommen wird. Und selbst wenn das zu Ihrer Zeit noch nicht der Fall wäre, würde Ihnen die Ausbildung im sonstigen Unterricht und vor allem für die Erziehung sehr viel helfen.“
Von einem sozialen Beruf wolle sie dem Mädchen nicht abraten. „Es ist gewiß ein sehr schöner Beruf, aber sehr schwer und wenig aussichtsreich“, gibt sie zu bedenken. „Die Stellen waren schon immer sehr schlecht bezahlt, und jetzt wird natürlich noch immer mehr abgezogen; außerdem werden Stellen eingespart, und so wie die Lage gegenwärtig in Deutschland ist, muß man damit rechnen, daß immer weniger Mittel für caritative Zwecke ausgegeben werden“, teil Edith Stein der Schülerin ihre Einschätzung mit und gibt ihr Hinweise auf verschiedene Ausbildungsgänge. Sie schließt ihren Brief „mit den besten Wünschen für eine gute Wahl und herzlichen Grüßen“ ab.
Der Brief ist von Hand geschrieben, mit ruhiger, gleichmäßiger Schrift. Verfasst wurde er in Breslau, dem Geburtsort von Edith Stein. Nach acht Jahren als Lehrerin in Speyer, war Edith Stein 1932 kurzzeitig zu ihrer Familie nach Breslau gezogen. Kurz darauf übernahm sie eine Dozentenstelle am „Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik“ in Münster.
Entdecker des Briefes ist der Pfarrer im Ruhestand und frühere Landauer Dekan Klaus Armbrust. Er hatte den Brief Anfang der 90er-Jahre aus dem Nachlass von Marianne Karg erhalten. „Ein Originalbrief von Edith Stein, das ist schon eine Besonderheit“, erinnert er sich. Eine Mitarbeiterin der Sozialstation, die Marianne Karg in ihren letzten Lebensjahren betreut hatte, hatte ihm den Brief übergeben.
„Mir war klar, dass der Brief zu bedeutsam ist, um bei mir auf Dauer in der Schublade zu liegen“, erzählt Klaus Armbrust. Vor etwa fünf Jahren hat er ihn daher dem Speyerer Bischof übergeben. „Die Hauskapelle im Speyerer Bischofshaus ist der Ort, an dem Edith Stein im Februar 1922 gefirmt wurde und der auch heute noch an sie erinnert“, stellt er die Verbindung her. In diesem Jahr wird an Taufe und Firmung von Edith Stein vor 100 Jahren in besonderer Weise gedacht. „In dieses Erinnern fügt sich der Brief sehr gut ein“, findet auch Dr. Thomas Stubenrauch, der persönliche Referent von Bischof Wiesemann.
Der Brief Edith Steins an die Landauer Schülerin Marianne Karg ist ein berührendes Zeitdokument. Es zeigt, wie sehr Edith Stein ihren Schülerinnen zugetan und verbunden war. Obwohl sich Edith Stein 1932 ganz dem Thema einer neuen Habilitationsschrift über die Philosophie des Thomas von Aquin und die Phänomenologie widmete, nahm sie sich Zeit für einen ausführlichen Brief an ihre ehemalige Schülerin. Der Brief wirft zugleich ein Licht auf die Bildungswege von Frauen in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts - einschließlich der Beschränkungen, die für Frauen damals gegolten haben.
Auch Edith Stein hat diese Einschränkungen erfahren. Ihr Studium der Philosophie, Psychologie, Germanistik und Geschichte hatte sie mit einer Promotion bei dem bedeutenden Phänomenologen Edmund Husserl abgeschlossen. Ihre vier Habilitationsversuche wurden allesamt zurückgewiesen – nicht etwa wegen mangelnden Talents, sondern weil sie eine Frau war. 1987 selig- und 1998 heiliggesprochen, wird Edith Stein heute zu den bedeutendsten Persönlichkeiten des vergangenen Jahrhunderts gezählt. Sie hat wichtige Brücken zwischen Judentum und Christentum, zwischen Wissenschaft und Glaube gebaut. Ihre geistige Haltung hat sie selbst auf die Formel gebracht: „Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht.“
Weitere Informationen
https://www.bistum-speyer.de/aktuelles/edith-stein-jubilaeumsjahr/
https://www.edith-stein.eu/
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.