Kommunalpolitik in Zeiten von Corona - im Gespräch mit OB Stefanie Seiler
"Meine wichtigste Aufgabe ist es, besonnene und verhältnismäßige Entscheidungen zu treffen"

Stefanie Seiler, Oberbürgermeisterin in Speyer | Foto: ps
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Speyer. Mit dem Ausbruch des Coronavirus hat sich das Leben und der Alltag überall einschneidend verändert. Menschen sollen ihre Wohnungen nur noch im Notfall verlassen, dürfen Freunde nicht mehr treffen. Unternehmen schließen, verlieren Einnahmen müssen innerhalb weniger Tage neue Vermarktungsstrategien entwickeln. Aber auch die Politik hat mit den Auswirkungen von Corona zu kämpfen - plötzlich ergeben sich in der Verwaltung ganz neue Betätigungsfelder, persönliche Sprechstunden - und damit auch die Bürgernähe - fallen weg, Ratssitzungen können nur noch unter strengen Hygienevorgaben abgehalten werden. Gleichzeitig steigt gerade jetzt die Erwartung an die Politik: Bürger wünschen sich jetzt klare Vorgaben, unbürokratische Hilfen und vor allem auch Hoffnung.

"Wochenblatt"-Redakteurin Heike Schwitalla hat mit Kommunalpolitikern aus der Region über diese neue "Corona-Realität" gesprochen. Den Anfang macht Stefanie Seiler, Oberbürgermeisterin in Speyer.

???:Wie hat sich die Arbeit in der Verwaltung in den letzten Wochen verändert?
Stefanie Seiler: Die Arbeit hat sich grundlegend verändert, nicht nur inhaltlich, sondern auch in der Art und Weise, wie sie erledigt wird. Zum Großteil werden Sachfragen nun in Telefonkonferenzen oder elektronisch geklärt, Ortstermine oder Face-to-face-Gespräche finden kaum noch – und wenn, dann nur mit dem nötigen Abstand – statt. Nahezu jeder Arbeitsbereich der Verwaltung ist von der Krise betroffen und muss damit umgehen. Auch können wir weniger vorausschauend arbeiten als sonst und müssen die Situation jeden Tag neu bewerten und somit auch in Teilen neu strukturieren. Zudem arbeiten wir seit zwei Wochen in sogenannten redundanten Teams. Vereinfacht gesagt: Ein Teil der Mitarbeiter, das Team 2 ist für 14 Tage mit Lohnfortzahlung freigestellt und Team 1 ist im Arbeitseinsatz. Nach 14 Tagen wird gewechselt. Somit wollen wird aktiv zur Kontaktreduzierung beitragen, im Falle einer Infektion, die Funktionsfähigkeit der Verwaltung gewährleisten und allen voran so gut wie möglich unsere Mitarbeiter schützen.

???: Gibt es eher mehr oder weniger Arbeit?
Stefanie Seiler: Eine pauschale Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Die Aufgaben haben sich eher verlagert. In einigen Bereichen ist beispielsweise durch den massiv eingeschränkten Publikumsverkehr, die Veranstaltungsabsagen oder die ausbleibenden Touristen das komplette Kerngeschäft weggebrochen. Hinter den Kulissen wird aber viel getan, um entweder die Folgen der Krise abzumildern oder um Wege zu finden, wie das Angebot trotz Corona-bedingter Einschränkungen fortgeführt werden kann. Auch sind Kollegen teilweise in anderen Bereichen eingesetzt, um Mehrarbeit in bestimmten Feldern aufzufangen.
Für den Verwaltungsstab, der direkt in das städtische Krisenmanagement eingebunden ist, bedeutet die Krise sicherlich Mehrarbeit und dauerhafte Rufbereitschaft.

???: Was sind jetzt die wichtigsten Aufgaben während der Corona-Krise?
Stefanie Seiler: Meine wichtigste Aufgabe ist es, besonnene und verhältnismäßige Entscheidungen zu treffen und die entsprechenden Maßnahmen in die Wege zu leiten. Ich sehe mich auch als Bindeglied zwischen den vielen verschiedenen Akteuren, die in das Krisenmanagement auf unterschiedlichste Weise eingebunden sind. Letztendlich wollen wir für unsere Stadt alle nur das Beste und dieses gilt es, gemeinsam auszuloten.
Besonders wichtig ist mir in diesem Zusammenhang der ständige Austausch mit den beiden Krankenhäusern vor Ort und unserem medizinischen Fachberater. Denn es sind maßgeblich die Krankenhäuser und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die wir vor einer Überbelastung schützen und deren Arbeitsfähigkeit zum Wohle der Bevölkerung gewährleistet sein muss.

???:Ohne die Möglichkeit des direkten Kontakts, wie bleiben Sie mit den Bürgern in Kontakt? Nutzen Sie das auch soziale Netzwerke – wenn ja welche?
Stefanie Seiler: Wir informieren über unsere Pressestelle täglich die lokalen und regionalen Medien. Darüber hinaus stellen wir alle Pressemeldungen sowie die aktuellen Fallzahlen und FAQs zum Thema auf www.speyer.de/corona zu Verfügung, sodass jeder die Möglichkeit hat, sich dort tagesaktuell zu informieren. Darüber hinaus nutzen wir sehr intensiv Facebook, um die Speyerer auf dem Laufenden zu halten. Instagram nutzen wir ebenso, wobei Facebook in Sachen Krisenkommunikation und –information sicherlich die größte Bedeutung zukommt.

???: Und was sind die Aufgaben einer Oberbürgermeisterin in dieser Situation? Sind Sie Vorbild (etwa in Sachen häusliche Isolation), sind Sie Mutmacher? Koordinator? Mahner? Wie sehen Sie ihre Rolle?
Stefanie Seiler: Es ist eine gute Mischung aus allem. Meine Aufgabe ist es, das große Ganze im Blick zu haben und alles zu koordinieren, damit unsere Stadt diese Krise so gut wie nur möglich meistern wird. Dazu müssen – natürlich mit der Unterstützung der Experten und Fachberatern sowie meiner engsten Mitarbeitern – Entscheidungen getroffen und entsprechende Maßnahmen organisiert und vorbereitet werden.
Gleichzeitig ist es mir ein besonderes Anliegen, denjenigen, die durch diese Krise in existenzielle Nöte geraten, unter die Arme zu greifen und ihnen zu zeigen, dass die Stadt sie nicht alleine lässt.
Darüber hinaus versuche ich als Multiplikatorin zu wirken. Gerade in Ausnahmesituationen wie diesen ist es wichtig, die Bürgern transparent zu informieren, sie mitzunehmen und sie immer wieder daran zu erinnern, warum welche Maßnahmen getroffen werden und warum diese wichtig sind. Der Verwaltungsstab - inklusive meiner Person - leistet also auch viel Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit.

???: Wie sind die Rückmeldungen der Bürger? Was sind derzeit die größten Sorgen?
Stefanie Seiler: Die Rückmeldungen der Bürger sind so vielfältig wie unsere Stadt. Die wohl größten Sorgen sind meinem Eindruck nach existenzieller Natur. Einerseits gibt es die Gastronomen, Gewerbetreibenden und Schausteller, die zur Eindämmung des Virus ihre Geschäfte nicht mehr öffnen können und damit oftmals ihre Lebensgrundlage in großer Gefahr sehen. Andererseits sind viele Bürger als Arbeitnehmer von den Schließungen betroffen, wurden in Kurzarbeit geschickt oder müssen sich nun aufgrund der Schul- und Kitaschließungen neben den Aufgaben im Home-Office auch um die Betreuung ihrer Kinder kümmern.
Das ist alles andere als einfach und geht auf Dauer an die Substanz. Natürlich sind viele Menschen auch einfach verunsichert ob der Situation an sich und den daraus resultierenden Maßnahmen zur Kontaktreduzierung oder was die Gesundheitsversorgung anbelangt.

???:Gibt es in einer Stadtverwaltung „Krisenpläne“ für Szenario wie das derzeitige oder hat das Virus organisatorisch alles auf den Kopf gestellt und erfordert Improvisationstalent?
Stefanie Seiler: Es gibt entsprechende Pläne, ja. Diese sind aber immer nur theoretischer Natur. Obwohl wir einen Katastrophen- und Pandemieplan haben, erfordert die derzeitige Krise oftmals die Fähigkeit, spontan auf neue Entwicklungen zu reagieren. Denn einen passgenauen Plan für eine derartige Ausnahmesituation und genau diesen neuartigen Coronavirus gibt es nicht. Improvisationstalent ist deshalb ebenso gefragt, wie die nötige Ruhe und das ständige Hinterfragen von Entscheidungen bei gleichzeitiger Entscheidungsfreude und Durchsetzungskraft.

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Autor:

Heike Schwitalla aus Germersheim

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