Stefan Wagner gibt den Ohnmächtigen in Speyer eine Stimme

Stefan Wagner | Foto: Cornelia Bauer
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Speyer. Stefan Wagner macht sich in Speyer seit Jahren für all jene stark, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht selbst für sich einstehen können: arme Menschen, Menschen ohne Wohnung, Obdachlose.

Stefan Wagner stammt eigentlich aus Hütschenhausen in der Westpfalz, wo er als Verwaltungsangestellter im Bürgerbüro und als Standesbeamter gearbeitet hat. Was es bedeutet, wenn das Schicksal mit einem Achterbahn fährt, das hat er früh erfahren. Sein Vater stirbt als er zehn ist. Mit 15 hat Stefan Wagner einen Unfall, bei dem die Bauchschlagader reißt. Zwei Mal fällt er ins Koma, muss eine zeitlang im Rollstuhl sitzen. Er, der vor der Unfall sportlich so aktiv war, arbeitet sich in der Reha wieder aus dem Rollstuhl raus. Bis dahin war Tennis sein Lebensinhalt; nach dem Unfall muss er sich neu aufstellen.

Nach einer Medikamentenumstellung muss Wagner 2005 abermals lange intensivmedizinisch betreut werden. Mit weiteren schweren Beeinträchtigungen für seine inneren Organe. 2007 wird er verrentet. Da ist er gerade einmal 34 Jahre alt. Wagner fällt in ein Loch, verliert seine Struktur, liegt bis mittags im Bett. Er wird depressiv, hat suizidale Gedanken. Mit professioneller Hilfe, vor allem aber auch mit der Hilfe seiner Familie, schafft er den Neustart. Wegen seiner Frau ist er in die Vorderpfalz gezogen; inzwischen wohnt er mit ihr und dem fünfjährigen Sohn Paul in Schifferstadt.

Die erste große Liebe: der FCK

Neben seiner Familie hat Stefan Wagner noch eine weitere große Liebe: Seit er zehn Jahre alt ist, schlägt sein Herz für den 1. FC Kaiserslautern. Nach dem Tod des Vaters nimmt ein Nachbar ihn zum ersten Mal mit auf den Betze. "Ich hatte meinen Anker verloren und dieses große Zusammengehörigkeitsgefühl hat mir geholfen und mich geprägt." Früher war er bei jedem FCK-Heimspiel vor Ort, inzwischen lässt seine Autoimmunerkrankung das nicht mehr immer zu. 

In Speyer baut Wagner sein ehrenamtliches Engagement aus. Schon davor hat er sich für andere engagiert: bei der Tafel Kaiserslautern und im FCK-Fanclub. 2009 fängt er bei der Mahlzeit an. Das Konzept gefällt ihm. Vor allem, dass jeder kommen kann. Bei der Tafel in Lautern hat er einmal den Berechtigungsschein seiner Nachbarin kontrollieren müssen. "Ein beschämender Moment - für uns beide", erinnert sich Wagner. Die Tafeln findet er gut; den Zwang zur Offenlegung der Daten weniger. Überhaupt macht Wagner sich stark für einen anderen Ansatz, einen bei dem man sich ganzheitlich um den Menschen kümmert. "Wenn Menschen sich aufgeben, dann muss man sie dennoch wahrnehmen und ihnen helfen", weiß Wagner. 

Mit der Mahlzeit erreicht er viel, doch die Zusammenarbeit endet, als sich die Mahlzeit rein als Suppenküche ausrichtet. Für ihn ein Rückschritt. "Natürlich ist das gut, wenn jemand sich den Bauch füllen kann - aber zwei Stunden später hat der andere Probleme." Wagner will den Mensch mit all seinen Problemen in den Mittelpunkt stellen. 2012 erstellt er auf dieser Basis ein Konzept für ein soziales Haus Speyer. Die Idee einer sozialen Anlaufstelle Speyer ist geboren.

"Das darf nie mehr passieren"

Solange es die noch nicht gibt, sind Wagner und seine Mitstreiter zunächst im Winterbus unterwegs. Finanziert durch Spenden erreichen sie mit Kaffee, Kleidung, Isomatten und Schlafsäcken viele Wohnungslose. Doch Wagner will mehr - vor allem nach dem Tod des Obdachlosen Oli im Juni 2018 in einer Bushaltestelle am Speyerer Postplatz. Dass da ein wertvoller Mensch scheinbar unbeachtet stirbt - und am nächsten Morgen halten dort wieder Busse, als wäre nichts gewesen, das hat ihn betroffen gemacht. "Das darf nie mehr passieren", sagt Wagner. Mit dem Kiosk am Speyerer Festplatz findet er den geeigneten Ort für seine Pläne. Das Kiosk wird zu diesem Zeitpunkt ausschließlich als Lagerraum genutzt - und es regnet rein. Wagner geht mit seinen Ideen auf Stefanie Seiler zu. Die ist damals noch nicht OB, sondern Beigeordnete, und sie unterstützt das Vorhaben. 

Stefan Wagner sucht Handwerker und Sponsoren; die Stadt unterstützt mit Leistungen des Bauhofs. Fast genau vier Jahre ist es her, dass das Kiosk zur SAS wurde, zur Sozialen Anlaufstelle Speyer. Obdachlose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen kommen seitdem hierher, um zu duschen, ihre Kleidung zu waschen, sich die Haare schneiden zu lassen und einen Kaffee zu trinken. Hier sind sie zu Gast, erfahren Wertschätzung. Mehr als 3.500 Gäste besuchen die SAS pro Jahr an zwei Öffnungstagen in der Woche.

"Wir erreichen die Menschen", sagt Stefan Wagner. Trotzdem möchte er nicht von einer Erfolgsgeschichte sprechen. Wagner ist keiner, der den Status quo verwalten möchte. "Wir müssen das Projekt und uns selbst verändern", sagt er. Und wird nicht müde, sich mit allen und jedem deswegen anzulegen. "Es geht bedauerlicherweise nur mit der Öffentlichkeit und mit klaren Worten", gibt er sich kämpferisch. Und sagt: "Leider braucht die Politik den Druck, sonst passiert nichts." Er wünscht sich schnelleres Handeln, etwa beim Wohnraum, und pragmatische Hilfen, die sich an der Lebensrealität der Menschen orientieren. Auch um eine weitere Spaltung der Gesellschaft zu verhindern. Schon jetzt spricht Wagner von "sozial vererbter Armut" in der "Wohlfühlstadt" Speyer.

Stefan Wagner redet Tacheles

Als streitbarer Projektleiter gibt er den Ohnmächtigen eine Stimme, will für diese Menschen, die nicht für sich selbst einstehen können, das Maximum. Und redet gerne Tacheles. "Für den diplomatischen Dienst oder die Politik bin ich nicht gemacht", sagt er über sich selbst. "Wir haben richtig viel erreicht", freut sich Wagner. Die Unterstützung in Speyer sei ungebrochen. Seine Freude darüber sei aber von Wehmut und Wut begleitet, "weil wir noch viel mehr erreichen könnten", sagt er. Die Räumlichkeiten der SAS sieht er heute nicht nur am, sondern überm Limit. Die Zahl der Gäste hat sich seit den Anfängen verdreifacht. In der warmen Jahreszeit weichen sie nach draußen aus, wenn es drinnen voll wird, aber der Winter sei schwierig.

Eine bauliche Erweiterung, Containermodule - für Wagner gibt es keine Denkverbote, wenn es um mehr Raum für die SAS geht. Den Standort im Herzen der Stadt mit Blick auf dem Dom würde er nur ungern verlassen. Es ist eine Lage mit Aussage:  "Unsere Gäste gehören in die Mitte der Gesellschaft", unterstreicht Wagner. Er arbeitet mit Nachdruck und Konsequenz an seiner Vision: ein soziales Netz über Speyer auszubreiten und die Hilfen der unterschiedlichen Träger da hinzubringen, wo die Menschen sind.

Da geht noch mehr: Wagner wird nicht müde, auf Missstände hinzuweisen oder die Politik dazu aufzufordern, nachzujustieren. Beharrlichkeit ist einer seiner wesentlichen Charakterzüge. Die Menschen, die er vertritt, danken Wagner seinen Einsatz mit großem Vertrauen. Es ist seine Lebensgeschichte, die ihn mit seinen Gästen zusammenschweißt. In mehr als einem Jahrzehnt, in dem er sich auf Augenhöhe kümmert, sind enge Freundschaften entstanden. Die SAS-Familie ohne Stefan Wagner? Undenkbar. [cobc]

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Cornelia Bauer aus Speyer

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