Klimawandel und Waldwende
"Völlig verfehltes Krisenmanagement"
Speyer/Mannheim/Heidelberg. Sprecher der Bürgerinitiative "Waldwende Jetzt" und von Greenpeace Mannheim-Heidelberg haben sich in einem offenen Brief an politische Verantwortliche - allen voran an Ministerpräsident Winfried Kretschmann - gewandt, um vor dem Hintergrund von Klimawandel und Verlust der Biodiversität eine Waldwende für Baden-Württemberg zu fordern.
Sie begründen diese Forderung damit, dass es den Waldökosystemen noch nie so schlecht gegangen sei wie am Ende des Jahres 2020. Die Massenvermehrung der Fichtenborkenkäfer und die sichtbar werdenden Kahlflächen in den Wäldern seien nur ein äußeres Zeichen für die Anfälligkeit der Waldökosysteme gegen die Folgen des Klimawandels, eines gescheiterten Grundwassermanagements und einer verfehlten forstlichen Nutzung der Wälder. Die Wälder in Baden-Württemberg hätten einen Kipppunkt erreicht, der mit hoher Wahrscheinlichkeit eine existenzielle Gefahr für ihren Fortbestand darstelle.
Die Bürgerinitiative "Waldwende Jetzt" und Greenpeace Mannheim-Heidelberg haben sich mit anderen Initiativen vernetzt, um auf ein aus ihrer Sicht "völlig verfehltes Krisenmanagement im Wald" aufmerksam zu machen. Es brauche einen Paradigmenwechsel: Die Produktion von Rohholz dürfe nicht länger die Behandlung des Waldes dominieren. Das Modell einer „multifunktionalen Forstwirtschaft“, die von einem Harmoniemodell zwischen den unterschiedlichen Anforderungen an den Wald ausgeht, sehen die Schreiber des offenen Briefes als gescheitert an.
Stattdessen fordern sie, dass lokaler Klimaschutz, Erhalt der Biodiversität, Kohlenstoffbindung, Schutz der Waldböden, die Erhaltung des Waldes als Erholungsraum für den Menschen und der Schutz des Wassers künftig bei der Behandlung der Wälder Vorrang haben sollen. Konkret hieße das: Baden-Württemberg müsste sein Landeswaldgesetz ändern. "Wir fordern eine völlig neue Ausrichtung der Waldbehandlung, eine Abkehr vom Primat der forstwirtschaftlichen Nutzung und eine umgehende Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen", heißt es in dem Schreiben. Auch von Förderrichtlinien.
In ihrem Schreiben fordern die Naturschützer auch die Umsetzung der 2007 vom Bund beschlossenen Biodiversitätsstrategie. Diese sieht vor, dass bis 2020 fünf Prozent der Wälder in Deutschland beziehungsweise zehn Prozent der öffentlichen Wälder aus der forstlichen Nutzung genommen werden, um sich zu Urwäldern zu entwickeln. Dieses Ziel habe Baden-Württemberg zum Ende des Jahres 2020 sehr deutlich verfehlt. Zum Ende des Verpflichtungszeitraumes seien im Land gerade einmal zwei Prozent des Waldes stillgelegt worden.
"Wir fordern daher die Stilllegungsflächen im Wald bis Ende des Jahres 2021 auf fünf Prozent der Waldfläche anzuheben", heißt es in dem offenen Brief an die Verantwortlichen im Land. Da die Schreiber es für unwahrscheinlich halten, dass die Privatwaldbesitzer im Land diese Fläche anbieten werden und die Kommunen sich ebenfalls verweigern würden, bliebe nur vom Land Baden-Württemberg bereitgestellte Flächen still zu legen.
In Baden-Württemberg gibt es 350 FFH- und Vogelschutzgebiete. Große Teile davon betreffen die Waldfläche. Die EU-Richtlinien schreiben vor, dass Tier- und Pflanzenarten sowie Lebensraumtypen in einen günstigen Erhaltungszustand versetzt werden müssen. Von diesen Vorgaben sei Baden-Württemberg weit entfernt, heißt es in dem offenen Brief. Und das, obwohl die Landesregierung fast flächendeckend Landschaftserhaltungsverbände eingerichtet und die Sachmittel für Natura 2000 erhöht habe. Viele Arten befänden sich noch immer in „ungünstig-schlechtem“, beziehungsweise in „ungünstig-kritischem“ Erhaltungszustand. Auch dafür machen die Briefschreiber "eine unangemessene Forstwirtschaft" verantwortlich.
Die Naturschützer prangern in ihrem offenen Brief an, die Politik handele nicht. Die von dieser Untätigkeit ausgehenden Bedrohungen für Wälder, für die gesamte Umwelt und die unmittelbaren Auswirkungen auf den Menschen seien hochgefährlich und akut. Es gelte keine weitere Zeit zu verlieren. Abschließend signalisieren die Unterzeichnenden ihre Dialogbereitschaft.
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