Wie unser Leben nach Corona aussehen könnte
Wird alles so wie früher, Andreas Sturm?
Speyer. Was macht Corona mit unserer Gesellschaft? Rücken wir näher zusammen - oder spaltet uns die Pandemie? Ändert sich dauerhaft etwas - oder wird alles wieder so wie früher? Das "Wochenblatt" stellt diese Fragen Speyererinnen und Speyerern aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen und fragt sie nach ihrer Einschätzung. Heute: Andreas Sturm, Generalvikar des Bistums Speyer.
Auch wenn der Aufschrei bei vielen Gläubigen groß gewesen sei, als während der Pandemie plötzlich keine öffentlichen Gottesdienste mehr möglich waren, hört Generalvikar Andreas Sturm bei seinen Pastoralbesuchen auch viel Positives über diese Zeit und die Herausforderungen, die sie für die Pfarreien bedeutet hat. Mit Besuchen, Anrufen und alternativen Gottesdienstformen übers Internet sei versucht worden, den Kontakt zu den Gemeindemitgliedern aufrecht zu erhalten. Sturm freut sich über dieses kreative Engagement vor Ort, ist sich aber sicher: "Wir haben in dieser Phase viele Menschen verloren." Und das, obwohl auch ohne öffentliche Gottesdienste die Kirchen offen gehalten wurden. Als ein Ort, an dem man eine Kerze anzünden, einen Ruhepunkt finden und dem Irrsinn des Pandemie-Alltags auch einmal entfliehen konnte.
Harte Briefe seien beim Bistum Speyer eingegangen. Der Tenor: "Wie könnt Ihr mir auch noch meinen Gottesdienst wegnehmen?" Die Sehnsucht sei groß gewesen, sich während der Pandemie doch wenigstens dieses kleine Stück Normalität zu erhalten. Auf der anderen Seite gab es wertvolle Alternativen: Gottesdienste im Garten des Priesterseminars und tolle Aktionen der Netzgemeinde, nennt Andreas Sturm als Beispiele. Viele, die ansonsten treu in die eigene Kirche gehen, hätten es genossen, virtuell auch einmal die Gottesdienste anderer Gemeinden zu besuchen. "Wer das gut gemacht hat, der hat auch Menschen erreicht, die sonst nicht jeden Sonntag in den Gottesdienst gehen", ist sich der Generalvikar sicher.
"Was macht uns als Kirche aus?"
"Was macht uns als Kirche aus? Und: Wozu braucht es uns?" - Das seien Fragen, denen sich die Kirche nach der Pandemie verstärkt stellen müsse. Der Generalvikar glaubt nicht, dass Gottesdienste im Livestream eine ausreichende Antwort darauf sind. Ein weiteres Thema, von dem sich Sturm wünscht, dass man es auch nach Corona nicht aus den Augen verliert: die Solidarität innerhalb der Gesellschaft. Er erinnert an die Hamsterkäufe zu Beginn der Pandemie und fragt sich, wie der Egoismus die Menschen so schnell hat vergessen lassen können, dass alle gemeinsam im selben Boot saßen. Und immer noch sitzen. Zwar sei Deutschland auf einem guten Weg aus der Pandemie, es sei jetzt aber wichtig, das Erreichte nicht aufs Spiel zu setzen. "Der Wunsch nach Normalität verführt zu mangelnder Vorsicht", glaubt Sturm. Mit den Bildern aus Portugal und von der Fußball-EM im Kopf warnt er vor den Konsequenzen: "Dieses Kapitel ist noch nicht abgeschlossen."
Die Pandemie hat auch Andreas Sturm mehr Zeit zur persönlichen Verfügung geschenkt: zum Lesen und zum Spazieren gehen zum Beispiel. Videokonferenzen haben Dienstreisen ersetzt - eine Praxis, von der Andreas Sturm hofft, dass sie auch nach Corona zumindest teilweise beibehalten wird. "Oft war ich in der Vergangenheit für ein paar Stunden Konferenz ewig lange unterwegs", erinnert er sich. Der Austausch sei aber per Video ebenso möglich, Sturm hält ihn sogar für intensiver. Auch mit den Mitarbeitenden des Bistums. Sogar privat hat Andreas Sturm das Treffen per Video für sich entdeckt: Alle paar Wochen "trifft" er sich jetzt mit Schulfreunden auf ein virtuelles Glas Wein. "Auf die Idee wären wir ohne Corona sicher nicht gekommen", sagt Sturm. Und vermutlich auch nicht auf die Gründung einer Whatsapp-Gruppe mit der Hausgemeinschaft, wo jeder einfach reinschreibt, wenn was fehlt - und wer als nächster einkauft, bringt's mit.
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